Was erwarten Anleger von der Fondsindustrie? Glaubt man den Fonds-Profis, dann ist der Fondskauf für Anleger eine Art Erlebnisurlaub. Spannend muss es sein, packend die Story hinter den drögen Wertpapierkennnummern. Der scheidende Chef der Vermögensverwaltung von Goldman Sachs, Jim O´Neill, bringt es stellvertretend für viele aus der Fondsbranche auf den Punkt: „Privatanleger mögen thematische, Beta-getriebene Investments“, sagte O´Neill Ende Januar am Rande der 28. ZFU-Kapitalanlegertagung in der Nähe von Zürich.
Investieren nach Akronymen ist stark in Mode gekommen
Dass thematischen Fonds oft exotische Konzepte zugrunde liegen, versteht sich dabei fast von selbst. Wer eine spannende Anlagestory sucht, braucht, bitteschön, keine Euroland-Aktien oder US-Standardwerte. Schließlich hat jedermann die Schlagzeilen zur Eurokrise und zum US-Haushaltsdefizit vor Augen. Anders dagegen das Image der Wachstumsmärkte, vor allem der Emerging Markets. Das sieht naturgemäß auch O´Neill von Goldman Sachs so, der wie kein anderer für Trend-Investments in den Schwellenländern steht. Nach den Brics (Bric steht für Brasilien, Russland, Indien und China) erfand der Volkswirt 2005 das Next-11-Konzept. „Wir verzeichnen mit dem Next-11-Fonds vor allem in Deutschland und den Benelux-Ländern einen starken Absatz“, so der oberste Vermögensverwalter von Goldman Sachs.
Next 11-Fonds investieren in Schwellenländern aus der zweiten Reihe, die heute noch klassische Entwicklungsländer sind, es aufgrund ihres Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums aber in Zukunft in die erste Reihe schaffen könnten. Bangladesch statt Brasilien, Vietnam statt China, Iran statt Indien, lautet das Motto. Seit Anfang 2011 befindet sich der Goldman Sachs N-11 Equity Portfolio auf dem Markt und hat rund 630 Millionen Euro europaweit von Privatinvestoren eingesammelt. O´Neill: „Am Anfang war ich skeptisch, aber der Zuspruch der Anleger zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“. Er führt die Performance von gut 19% im Jahr 2012 als Beleg für den Erfolg des Next-11-Konzepts auf. (Die annualisierte Volatilität von 17,2% und die Sharpe Ratio von 0,22 weisen auf das erhöhte Risiko des Goldman Sachs N-11 Equity Portfolio hin.)
Die Fondsanbieter hängen am Neugeschäft wie Junkies
Das Beispiel von O´Neills Next-11-Fonds steht stellvertretend für die europäische Fondsbranche. Sie ist angewiesen auf neue Fonds und die spannenden Begleitstories, die anscheinend die Phantasie der Anleger wecken und sie motivieren, ihr Geld locker zu machen. Gekauft wird auf Europas Fondsmärkten alles, was neu ist.
Ein Blick auf die Morningstar-Absatz-Statistik belegt, dass die Fondsanbieter wie Junkies an den neuen Trend-Stories hängen. Im vergangenen Jahr investierten Anleger netto 218,3 Milliarden Euro netto in Wertpapier-Publikumsfonds europaweit. Knapp die Hälfte dieser Zuflüsse kam neuen Produkten zugute, nämlich 107,8 Milliarden Euro.
Die untere Tabelle setzt die Geldflüsse in Fonds, die 2012 aufgelegt wurden, ins Verhältnis zum gesamten Fonds-Absatz des vergangenen Jahres. Relativ ausgewogen sieht das Bild noch bei Anleihefonds aus: Insgesamt wurden 177,8 Milliarden Euro in Bond-Fonds investiert. Davon gingen 56,6 Milliarden Euro in neue Rentenprodukte.
Tabelle: Seid umschlungen, Neuauflagen! Der Fondsabsatz in Europa 2012
Bei Mischfonds deutet sich bereits eine Unwucht an: Flossen 29,4 Milliarden in alle Aktien-Renten-Mischfonds am Markt, so betrug der Nettoabsatz bei 2012 aufgelegten Mischfonds mit 15 Milliarden Euro mehr als die Hälfte aller Nettoneugelder, die im vergangenen Jahr in diese Fondsgattung investiert wurden.
Besonders eklatant fällt das Bild aus, wenn man sich die Zuflüsse in Aktien- und alternativen Fonds vor Augen führt: Während Aktienfonds 2012 insgesamt Zuflüsse von 7,1 Milliarden Euro verzeichneten, flossen neu aufgelegten Aktienfonds 21,1 Milliarden Euro zu. Mit anderen Worten: Ohne neue Produkte hätten die Fondsanbieter 2012 Abflüsse von 14 Milliarden Euro aus Aktienfonds hinnehmen müssen.
Hedgefonds braucht das Land - aber bitte nur neue
Alternative Fonds, die überwiegend hegefonds-ähnliche Rendite-Risiko-Profile aufweisen sollen, verzeichneten 2012 Zuflüsse von 4,3 Milliarden Euro. Dabei flossen knapp 13 Milliarden Euro neuen Produkten zu. Bestandsfonds aus dem Alternatives-Bereich mussten also auch hohe Abflüsse hinnehmen.
Nun könnte man argumentieren, dass beim Fondsverkauf entscheidend ist, dass Anleger überhaupt am Kapitalmarkt „dabei“ sind, statt ihr Geld auf Sparkonten zu parken (und dabei real Geld zu verlieren). So zu argumentieren, würde aber bedeuten, die Realität des Fondsmarkts zu ignorieren. Denn Fonds werden in Europa, vor allem auf dem Kontinent, verkauft und nicht gekauft. Soll heißen, dass der Fondsvertrieb in der Regel so funktioniert, dass Finanzberater (bzw. die Direktbanken) mit heißen Stories auf Anleger zukommen und nicht umgekehrt der Anleger sein Portfolio aus eigenem Antrieb ergänzen möchte.
Insofern sollte man den Trend-getriebenen Fondsmarkt durchaus kritisch sehen, kritischer jedenfalls, als es die Fondsbranche glauben macht. Warum? Das erste Argument gegen Trend-Produkte ist die prozyklische Auflagemechanik, die dahinter steht. Wer einen modisch klingenden Fonds kauft, erwirbt gebündelt solche Wertpapiere, die bereits gut an der Börse gelaufen sind. Dann ist aber die Kursphantasie bereits weitgehend „eingepreist“ und die Gefahr von Rückschlägen entsprechend groß.
2012 wären Eurofonds das Gebot der Stunde gewesen
Der Blick auch auf das vergangenen Jahr zeigt, dass Anleger - wieder einmal - kein gutes Händchen beim Timing hatten. Sie investierten – angetrieben von der Wachstumsphantasie für China - europaweit 18,2 Milliarden Euro in Schwellenländer-Aktienfonds. Verkauft wurden im Gegenzug vor allem Aktienfonds für die Eurozone sowie Fonds für deutsche und französische Aktien. Das Problem an der Sache: Viele Aktien aus den Schwellenländern – vor allem chinesische - legten 2012 eine veritable Bauchlandung hin, derweil Eurozonen-Aktien kräftige Kursgewinne verbuchten (man erinnere sich an die knapp 30% Plus beim DAX!). Euro-Aktien wären also 2012 Trumpf gewesen!
Doch nicht nur die prozyklische Auflagepolitik treibt Anleger in die falsche Richtung. Auch die Tatsache, dass hinter vielen neuen Fonds keine erprobten Anlagekonzepte stehen, erweist sich immer wieder als schädlich für Anleger. Denn sie sind bei vielen neuen Fonds gewissermaßen die Versuchskaninchen, an denen die Fondshäuser ihre neu erworbenen „Kernkompetenzen“ ausprobieren. Geht das Anlagekonzept auf, kommen die Gelder wie von selbst, geht es schief, wird der Fonds dichtgemacht.
Unsere Daten zu Fondsneuauflagen und -schließungen legen den Schluss nahe, dass offenbar viele der neuen Konzepte zu wenig erprobt sind. Sie verschwinden oft wenig später vom Markt.
Nehmen wir zwei Anlageklassen, die in den vergangenen Jahren besonders stark gefragt waren: Mischfonds und alternative Fonds. Nach verwaltetem Vermögen sind beide Fondsgruppen relativ klein, verglichen mit den beiden großen Anlageklassen Aktien und Renten, wie aus der unteren Tabelle hervorgeht. Während die Bedeutung von Mischfonds – gemessen am Fondsvermögen - in den vergangenen Jahren leicht gestiegen ist, sind alternative Fonds in den vergangenen 3 Jahren Nischenprodukte geblieben. Die Steigerungsraten beim Fondsvermögen waren überschaubar.
Tabelle: Das in alternativen Fonds investierte Vermögen tritt auf der Stelle
Blickt man indes auf die Zahl der Fondsneuheiten, fällt auf, dass alternative Fonds in den vergangenen Jahren weit oben auf der Agenda der Fondsanbieter standen. Höhepunkt der Auflagewut war das Jahr 2010, als europaweit 2.030 alternative Fonds aufgelegt wurden, wie aus der unteren Tabelle hervorgeht. Das entspricht rund 20% der gesamten Neuauflagen des Jahres 2010!
Dass viele der Neulinge allerdings wenig erfolgreich am Markt waren, zeigt die steigende Zahl der Fondsschließungen, deren Höhepunkt bei alternativen Fonds 2012 erreicht wurde. Im vergangenen Jahr wurden 1.509 alternative Fonds vom Marktgenommen. Damit übertraf die Zahl der Fondsfusionen oder Schließungen die Zahl der neuen Fonds dieser Kategorie. Mit Blick auf hedgefondsähnlichen Strategien scheint also Ernüchterung bei den Emittenten eingekehrt zu sein.
Tabelle: Alternative Fonds für die Neuauflagen - alternative Fonds für die Schließungen
Zwar nicht ähnlich inflationär, aber dennoch sehr bedeutend ist der Anstieg bei Mischfonds. Wurden 2010 noch 1.875 und 2011 1.649 Mischfonds auf den Markt gebracht, waren es 2012 bereits 2.076 Aktien-Renten-Fonds. Dabei standen vor allem flexible Mischfonds im Fokus der Anbieter. Die Zahl der neu aufgelegten flexiblen Mischfonds stieg von 297 im Jahr 2010 auf 417 im Jahr darauf. 2012 wurden immerhin 351 flexible Mischfonds auf den Markt gebracht.
Wir haben bereits mehrfach über die sehr gemischte Erfolgsbilanz von flexiblen Mischfonds hingewiesen (lesen Sie mehr hier). Insofern steht zu befürchten, dass in den kommenden Jahren auch viele flexible Mischfonds vom Markt genommen werden, wenn sich für Anleger offenbart, dass nicht alle Konzepte marktfähig sind.
Ein kritischer Blick sollte auch auf die steigende Zahl an Neuemissionen bei Rentenfonds geworfen werden. Die Zahl der Neuauflagen ist im vergangenen Jahr sprunghaft gegenüber 2011 gestiegen. Die sehr hohen Nettomittelzuflüsse in Anleihefonds 2012 dürften viele Neulinge zunächst weiter über die Runden bringen, was auch die relativ niedrige Zahl der Fondsschließungen 2012 andeutet.
Man benötigt indes keine prophetischen Gaben, um die Folgen eines Zinsanstiegs oder einer ernsthaften konjunkturellen Delle vorherzusagen: Langläufer- bzw. Hochzinsfonds, die vor allem Beta-Konzepte verfolgen, dürften dann empfindliche Kursverluste verzeichnen - und die Anleger dürften nach vertrautem Muster mit den Füßen abstimmen und eine Abwärtsspirale bei Bond-Fonds auslösen. Nach dem Scheitern folgt dann bei vielen Fonds die Schließung.
Stünden hinter derartigen Konsolidierungswellen nicht die enttäuschten Erwartungen vieler Anleger, könnte man Marktbereinigungen als positive Entwicklungen verbuchen. Wenn sich bei Fonds die Spreu vom Weizen trennt, sind allerdings Kollateralschäden in den Anlegerportfolios eine unvermeidliche Folge. Trendy ist eben leider nicht immer sexy, Next 11 hin, Bric her.
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