Ungeachtet des Vertrauensverlusts und der zu erwartenden hohen Entschädigungszahlungen, unter denen Volkswagen im Zuge der Manipulation von Abgaswerten leidet (bzw. leiden wird), haben unsere Analysten die Kursabschläge bei der VW-Vorzugsaktie als übertrieben bezeichnet. Auch nach der zweimaligen Abstufung des fairen Werts der VW-Vorzüge innerhalb weniger Tage von 230 auf 190 Euro ist die Aktie noch immer deutlich unterbewertet. Zur Erinnerung: Am Freitag vergangener Woche belief sich der Schlusskurs der Aktie auf 107,30 Euro (lesen Sie mehr zur Einschätzung unserer Aktienanalysten hier).
Doch wir wollen die Causa VW in den Kontext des gesamten europäischen Automobilsektors setzen. Ausgehend von unserer sehr stark bewertungsgetriebenen Aktienmethodologie (lesen Sie hier mehr) wollen wir uns den europäischen Autosektor etwas näher ansehen. Als Kennzahl zu Messung der Über- bzw. Unterbewertung von Aktien verwenden wir unsere proprietäre Kennzahl Kurs/Fair Value Verhältnis (KFV).
Ausgehend von unserer reduzierten Fair-Value-Schätzung von zuletzt 190 Euro lag das KFV der VW-Vorzugsaktie bei 0,56 per Freitag vergangener Woche. Ein KFV von 1 signalisiert eine faire Bewertung; ein Wert von über 1,0 zeigt eine Überbewertung, ein KFV < 1,0 signalisiert eine Unterbewertung.
Wo steht VW im Gesamtkontext des europäischen Markts? Die untere Tabelle enthält die europäischen Automobilhersteller, die sich auf der Coverage-Liste unserer Analysten befinden. Ähnlich günstig ist nur Fiat Chrysler bewertet --- die Aktie weist ein KFV von 0,59 auf. Die anderen europäischen Autohersteller sind ebenfalls mehrheitlich günstig, auch wenn sie bei weitem nicht so günstig bewertet sind wie VW und Fiat Chrysler. BMW weist ein KFV von 0,79, Renault von 0,85, Daimler von 0,88 auf. Überbewertet ist zur Zeit nur Peugeot mit einem KFV von 1,19.
Tabelle: Die Bewertung der europäischen Autokonzerne im Überblick
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Bewertungen in den vergangenen Wochen. Auch wer die VW-Aktie derzeit nicht mit der Kneifzange anfassen mag (der Kurs der VW-Vorzüge gab am Montagvormittag, also nach Abschluss unserer kleinen Auswertung, noch einmal um gut 5% nach), kommt nicht umhin, die Abschläge bei den anderen Auto-Aktien zur Kenntnis zu nehmen. Europäische Autoaktien haben in den vergangenen Wochen gegenüber dem breiten Markt verloren überproportional hohe Verluste verzeichnet. Der STOXX Europe 600 Auto&Part Index verlor per Freitag vergangener Woche 12,5% in den vergangenen 30 Tagen. In den vergangenen drei Monaten belief sich das Minus auf knapp 27%.
Natürlich spiegeln diese Verluste zu einem gewissen Teil auch die Unsicherheiten über die globale konjunkturelle Entwicklung wider. Vor allem die Abkühlung der Wirtschaft Chinas lassen Anleger befürchten, dass die Geschäfte der europäischen Autohersteller im Reich der Mitte schwächeln werden. Zur Erinnerung: Der Autosektor ist in hohem Maße zyklisch und somit viel stärker vom Auf und Ab der Konjunktur betroffen als nichtzyklische Konsumwerte oder etwa die Pharmabranche.
Allerdings waren die branchenweiten Kursverluste im Verlaufe des Septembers doch maßgeblich vom VW-Skandal getrieben. Und es handelt sich bisher nur um einen VW-Skandal und nicht um eine nachgewiesene branchenweite Manipulation von Abgaswerten. Aber die Märkte hassen nichts so sehr wie unklare Perspektiven. Sie ziehen lieber gleich die Reißleine und diskriminieren dabei oftmals nicht. (Im Englischen gibt es den treffenden Ausdruck: "better safe than sorry".) Es spricht einiges dafür, dass der Liebesentzug der Anleger wenig differenziert ausfällt und somit nur ein temporäres Phänomen ist. Gut möglich, dass sich so manche Auto-Aktie zügig erholen wird, wenn sich der Pulverdampf in Wolfsburg verzogen hat.
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