Uns erreichen in diesen Tagen wiederholt Anfragen besorgter Investoren zu „den Risiken von den ETFs“. Die Sprache kommt bei derartigen Anfragen auf die tatsächlichen oder vermeintlichen systemischen Risiken, die der Einsatz von ETFs mit sich bringe. „Machen“ ETFs infolge ihres rasanten Wachstums inzwischen „den Markt“? Das Medienecho scheint diese Sorge widerzuspiegeln. Sogar die Financial Times warf jüngst die – vermutlich rhetorisch zu verstehende – Frage auf, ob es an der Zeit sei, „den Aufstieg der ETF Maschine zu stoppen?“. In dem Artikel wurde auch eine inzwischen doch recht abgestandene Untersuchung der Meta-Regulierungsbehörde Financial Stability Board (FSB) aus dem Jahr 2011 zitiert, in der die Rede von „Auswüchsen“ in der ETF-Branche war.
Es versteht sich von selbst, dass solche Sorgen ernst zu nehmen sind. Denn ETFs sind ein sehr stark wachsendes Segment am Kapitalmarkt. Allerdings zeugen viele Fragen und Sorgen von einem doch recht rudimentären Verständnis von ETFs und vom Markt, in dem sie operieren. Wir wollen deshalb den Versuch unternehmen, einige dieser Sorgen aufzugreifen und Hintergründe zu erläutern.
ETFs sind in Europa keine Giganten
Kommen wir zunächst zur Frage nach dem Einfluss von ETFs auf das Marktgeschehen. In Europa bringen ETFs inzwischen (Stand Ende Januar) rund 450 Milliarden Euro auf die Waage. Das ist natürlich sehr viel Geld, macht aber nur einen Bruchteil des gesamten Vermögens aus, das in Fonds investiert ist. Zum Vergleich: Europaweit waren nach unserer Zählweise per Ende 2015 gut 7.500 Milliarden Euro in nichtbörsennotierten Publikumsfonds investiert. ETFs machen also unter 6% des Publikumsfondsmarkts in Europa aus.
Hinzu kommt das Vermögen außerhalb von Publikumsfonds, das durch unsere Statistik nicht erfasst wird. Der deutsche Investmentverband BVI nennt allein für Deutschland ein Vermögen von 1.350 Milliarden Euro, die in so genannten Spezialfonds und knapp 360 Milliarden Euro, die in institutionellen Mandaten außerhalb von Investmentfonds investiert sind. ETFs sind so gesehen zwar mehr als ein Tropfen auf dem sprichwörtlichen heißen Stein, die börsennotierten Indexfonds schicken sich aber noch längst nicht an, „den Markt“ zu dominieren.
ETF-Aktien-Investoren stemmten sich im Januar gegen den Trend
Ein Indikator für den recht geringen Einfluss von ETFs auf das Marktgeschehen stellen übrigens die aktuellen Mittelflussdaten dar: Im Januar brachen die Aktienkurse auf breiter Front ein. Indes verbuchten Aktien-ETFs in Europa eine positive Nachfrage. Netto wurden nach unseren Schätzungen im Januar in Aktien-ETFs gut 830 Millionen Euro investiert. Zeuge dieses antizyklischen Verhaltens ist auch, dass im Janaur 20,5 Milliarden Euro an Aktien-ETF-Vermögen in Europa infolge von Kursverlusten vernichtet wurden. Aktien-Index-Investoren stemmten sich also gegen den negativen Trend und erlitten dabei per Saldo Verluste wie andere buy-and-hold-Investoren auch. Es ist wichtig, sich diese Entwicklung zu vergegenwärtigen; die gängige Annahme, dass ETFs den Herdentrieb von Investoren verstärken, lässt sich nicht immer bestätigen!
Doch auch in anderen Marktsegmenten, in denen der Einsatz von ETFs für Unbehagen sorgt, sprechen die Zahlen gegen ein systemisches Risiko von ETFs: etwa der Markt für Unternehmensanleihen. EUR Hochzins-ETFs brachten es per Ende Januar europaweit auf ein Vermögen von gerade einmal 4,7 Milliarden Euro. In EUR-Unternehmensanleihen mit Investmentgrade Ratings steckten 19,2 Milliarden Euro. Das ist wenig verglichen mit dem Emissionsvolumen von Unternehmensanleihen insgesamt. Laut einer Untersuchung der Rating Agentur Creditreform wurden zwischen 2005 und dem ersten Quartal 2015 Corporate Bonds (ex Financials) im Volumen von 1.822 Milliarden Euro in Europa emittiert. 2014 lag das Emissionsvolumen demnach bei 245 Milliarden Euro. Das in ETFs investierte Vermögen in den beiden Bond-Kategorien sind also nicht viel mehr als die sprichwörtlichen „Peanuts“.
Auch kann bei ETF-Unternehmensanleihen derzeit wahrlich nicht von einem Massenexodus gesprochen werden. Im Januar zogen Anleger in Europa gerade einmal 255 Millionen Euro aus EUR Hochzins-ETFs ab; aus EUR Corporate Bond-ETFs flossen netto 640 Millionen Euro ab. Das entspricht gerade einmal 5% bzw. 3,2% des zu Jahresanfang in beiden Kategorien investierten Vermögens.
Liquidität kann zum Problem werden --- aber nicht nur für ETFs
Das bringt uns nun zu dem Thema, das vermutlich hochrelevant für Anleger ist, das jedoch keinesfalls als „ETF-Problem“ verstanden werden sollte: Das Problem der Liquidität. Gerade bei Unternehmensanleihen und anderen weniger liquiden Bonds besteht weithin die Sorge über sinkende Liquidität. Im Zuge des Abbaus der Risikopositionen bei den Banken nach der großen Finanzkrise ist auch ihre (inoffizielle) Rolle als Liquiditäts-Provider vor allem im Bond-Handel deutlich geringer geworden. Bond-Märkte sind heute deutlich weniger liquide als vor 2008, den Märkten fehlt, in der Fachsprache formuliert, die Tiefe.
Das bedeutet, dass im Falle einer Korrektur und Massenverkäufen die Kurse von Unternehmensbonds abstürzen können und Anleger gegebenenfalls nur mit sehr hohen Verlusten, oder gar nicht, aus ihren Positionen herauskommen. Die extrem ausgeweiteten Spreads 2008/09 könnten als Blaupause für eine derartige Entwicklung stehen. Finden panische Verkäufer partout keinen Käufer, kommt ggf. kein Handel zustande und der Investor ist in seiner Position „gefangen“.
Natürlich sind die Märkte heute weit von so einer Konstellation entfernt, der Handel verläuft auch in Zeiten sich ausweitender Spreads normal. ETF-Anleger sollten sich jedoch bewusst sein, dass ungeachtet der börsentäglichen (Intraday) Handelbarkeit ETFs nicht liquider sein werden als ihre Underlyings. Anders gesagt: Dass ein Hochzins-ETF börsentäglich handelbar ist, bedeutet nicht, dass er anderen Gesetzen unterliegt als der Hochzinsmarkt, den er abbildet.
Schlimmstenfalls kann ein ETF auch dann nicht mehr handelbar sein, wenn einige Bestandteile des Index, den er abbildet, nicht mehr handelbar sind. In Europa hat sich --- anders als in den USA --- die Praxis herausgebildet, dass der Handel von ETFs ausgesetzt wird, wenn der zugrunde liegende Markt unterbrochen ist. Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit waren die Einschränkungen im Handel mit Griechenland-ETFs während der Schließung der Athener Börse im Sommer 2015. Während in den USA der Handel mit Griechenland ETFs (bei sehr hohen Spreads) weiterlief, wurden entsprechende ETFs in Europa nicht an der Börse weitergehandelt.
ETF-Marketing sollte sich nicht auf Blue-Sky-Szenarien beschränken
Anleger, die in weniger liquide Märkte über ETFs investieren möchten, müssen also ihre Hausaufgaben machen und die Fallstricke dieser Segmente kennen --- idealweise bevor sie den Kauf tätigen! Und sie müssen wissen, dass die unschönen Folgen von Marktverwerfungen in illiquiden Segmenten alle Produkte betreffen werden und keinesfalls auf ETFs beschränkt sind. Auch die Manager aktiv verwalteter Fonds können ein Lied von der Liquiditätsproblematik singen.
Die aktuelle Debatte sollten die ETF-Anbieter als Chance sehen, mit Anlegern ins Gespräch zu kommen und sie besser als bisher über die Risiken informieren, die mit einer Anlage in ETFs verbunden sind. Zumal immer mehr ETF-Anbieter sich anschicken, den Bond-Markt zu erschließen, der eigene Gesetze aufweist. Das Marketing der ETF-Anbieter sollte sich nicht nur auf himmelblaue Marktszenarien beschränken, wenn es um die Hervorhebung der Produkteigenschaften geht. Nicht zuletzt sollte auch der steigende Anteil von Privatanlegern, die zunehmend die Vorzüge von ETFs entdecken (zu denen eben nicht die Intraday-Handelbarkeit gehört!), die ETF-Branche bewegen, stärker als bisher über die Marktmechanismen aufzuklären, denen ETFs bzw. ihre Investoren ausgesetzt sind.
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