Bei Strategic Beta ETFs, in der Marketing-Sprache der Produktanbieter auch als „smart“ bezeichnet, kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Anleger trauen ihnen zu viel zu und blenden die Risiken aus. Das verwundert nicht, denn solche Produkte weichen in fundamentaler Hinsicht von herkömmlichen Indexprodukten ab. Sie haben nicht das Ziel, einen repräsentativen Markt, sagen wir den S&P 500, abzubilden, sondern sie sollen vielmehr durch die Konzentration auf bestimmte Eigenschaften Gruppen von Wertpapieren zusammenzubringen, die im Kollektiv ein überlegenes Rendite- oder Risikoprofil aufweisen. Das ist nichts anderes als die Verheißungen, die man aus dem Mund von aktiven Managern hört. Und bekanntlich werden ja auch die häufiger denn nicht missverstanden.
Eine wichtige Quelle für Missverständnisse ist das Ding mit der Fristigkeit: Anleger vertrauen allzu häufig darauf, dass ihr „smarter“ ETF zu jeder Zeit „besser“ sein wird als der zugrundeliegende Markt. Wer mit der Welt des Faktor-Investing vertraut ist, weiß, dass dem natürlich nicht so sein kann. Selbst dann nicht, wenn es sich um eine nachhaltige Rendite-Quelle handelt und nicht um eine kurzfristige Anomalie, können Risikoprämien auch einmal nicht sprudeln. Sogar sehr lange Zeit nicht – Value Investoren in Europa können seit 2007 ein Lied singen. (Nicht alles, was in Anlegerportfolios schiefgeht, basiert auf Anlegerfehlern. Das ETF-Marketing trägt oft auch dazu bei – Dividenden-ETFs wurden noch kurz vor der Finanzkrise als ein risiko-reduzierender Zugang zum Aktienmarkt angepriesen, zu einer Zeit, als die größten Dividendenzahler europäische Banken waren. Das vorläufige Ende der Geschichte ist bekannt.)
Absturz der ehemaligen Shooting Stars Low Vol ETFs
Wie ich auf das Thema komme? Nun, es hat den Anschein, dass Anleger etwas Grundlegendes missverstanden haben und seit etwa zwölf Monaten darüber ein beredtes Zeugnis ablegen. Es geht um das Thema Risiko-reduzierende ETFs, die typischerweise tief schwankende Aktien im Portfolio vereinen. Im vergangenen Jahr haben Anleger in Europa Anteilsscheine im Umfang von gut 20 Prozent der Gelder in diesen Fonds zurückgegeben, etwa 1,4 Milliarden Euro. Wir erinnern uns, dass Risiko-reduzierende ETFs den Anspruch haben, geringer zu schwanken als der breite Markt, auf dem sie sich bewegen. Das ist übrigens ein probates Mittel, um langfristig eine Outperformance zu erzielen – etwas, was nicht so tief fällt, benötigt weniger Zeit/Mühe, um wieder auf den alten Stand zu kommen. Langfristig, wohlgemerkt.
Doch gehen wir auf den Anfang der Geschichte zurück. Risiko-reduzierende ETFs sind im Vergleich zu den Rendite-optimierern unter den Strategic Beta ETFs, wie etwa Value- oder Growth-ETFs, ein recht junges Phänomen. Sie kamen erst ab 2012 in signifikanter Zahl auf den Markt. Und das genau zur rechten Zeit. In der Folge trat ein höchst seltenes Phänomen zutage: Den Produkten gelang es nicht nur, die Volatilität zu reduzieren, was in der Logik von Low-Volatility-Produkten liegt, sondern es gelang ihnen auch, eine ordentliche Outperformance hinzulegen.
Die untere Tabelle illustriert, wie gut es für die Risikoreduzierer zwischen 2013 und 2016 gelaufen ist. In ihr finden Sie die Kennzahlen Up Capture und Down Capture Ratios. Die Kennzahl besagt, in welchem Maße ein Investment in Auf- und in Abwärtsphasen mit dem ausgewählten Referenzindex mitgegangen ist. Die Up Capture Ratio besagt, wie stark ein Investment bei 100 Performance-Einheiten des zugrundeliegenden Marktes nach oben gegangen ist, die Down Capture Ratio besagt, wie stark sich ein Investment bei einer spiegelbildlichen Abwärtsphase nach unten bewegt hat. Dass Risiko-reduzierende ETFs nur 67 der 100 Abwärtspunkte mitgenommen haben, ist nicht spektakulär. Dass sie jedoch 85 Einheiten mit nach oben gegangen sind, ist es schon. Sie lieferten also den sprichwörtlichen Free Lunch.
Tabelle: Der Stoff, aus dem Heldenlegenden gestrickt sind
Dass diese Mechanik nicht von Dauer sein würde, ist eigentlich klar. Doch dann kam der Herbst 2016 und Low-Volatility-Aktien blieben im Zuge der zyklischen Rally zurück. Konnten die Produkte noch 2014 und 2015 locker die zugrundeliegenden kapitalisierungsgewichteten „Mutterindizes“ übertreffen, so fielen sie 2016 um 3,8 Prozentpunkte hinter ihre breiten Benchmarks zurück. Zwischen Ende November 2016 und Ende Oktober 2017 hinkten sie sogar um sechs Punkte hinter ihren Benchmarks zurück. Die Folge wurde bereits erwähnt: Anleger stimmen seitdem mit den Füßen ab. In diesem Jahr verloren Risiko-reduzierende ETFs gut 20 Prozent ihrer Assets.
Tabelle: Schmerzhafte Underperformance nach gigantischer Outperformance
Doch blicken wir in Kürze auf das tatsächliche Ausmaß der Underperformance von Strategic Beta ETFs in den vergangenen Monaten. Die Rückgaben der Anleger kamen nicht im Zuge massiver Verluste, nein, die Renditen waren bescheiden, aber durch die Bank im positiven Terrain. Wie die untere Tabelle, welche die Perzentil-Rangfolge der Produkte im Durchschnitt abbildet, illustriert, kam im Schnitt in den vergangenen zwölf Monaten eine Performance von 11,7 Prozent zustande. Damit lagen diese Fonds zwar im Schnitt im 85. Perzentil der jeweiligen Fondskategorie. Doch eine Performance von über zehn Prozent ist alles andere als eine Katastrophe, zumal Low-volatility Produkte nicht darauf programmiert sind, bei geringem Risiko immer eine Outperformance zu erzielen. In diesem Jahr hat sich die relative Performance deutlich verbessert, was allerdings bisher nicht dazu beitrug, das Tempo der Mittelabflüsse zu reduzieren.
Tabelle: Absolut gesehen waren 2016 und 2017 kein Beinbruch
Das lässt den Schluss nahe, dass Anleger schlicht und ergreifend in diesen Faktor-ETFs die Eier legenden Wollmilchsäue gesehen haben, die sie nicht sein konnten. Investoren wollten offenbar Risikoreduzierer haben, die auch kurzfristig outperformen. Als sich zeigte, dass solche Fonds keinen dauerhaften Free Lunch ermöglichen, zogen sie die Reißleine. Das war wenig smart, und man ist versucht zu rufen: "Meine Damen und Herren, so wird das nix mit der Altersvorsorge!"
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