Beta statt Alpha oder das Klonen von Warren Buffett

Eine Studie hat die Performance-Quellen von Warren Buffetts Holding, Berkshire Hathaway, untersucht – und das Geheimnis des Investment-Altmeisters ergründet. Einige Rendite-Quellen lassen sich auch von Otto-Normalanleger erschließen, andere definitiv nicht.

John Rekenthaler 28.02.2019
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Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die hochspannend sind, auch wenn ihr praktischer Nutzen für Investoren begrenzt sein mag. Andrea Frazzini, David Kabiller und Lasse Heje Pedersen, drei Prinzipale beim quantitativen Fondshaus AQR Capital Management, haben einen derartigen Aufsatz verfasst, der im vergangenen Jahr den Graham & Dodd Award als Top-Papier des CFA-Magazins, Financial Analysts Journal, gewonnen hat. Er analysiert die Performance der Warren-Buffett-Holding Berkshire Hathaway.

Und ein wissenschaftlicher Ansatz tut Not! Frühere Berichte über Warren Buffetts Erfolg als Investor waren weitgehend biographisch geprägt. Viele Narrationen vermittelten Buffetts persönliche Erfahrungen und Denkweise, aber sie waren auf der Analyse-Seite ziemlich schwachbrüstig. Der Aufsatz „Buffett's Alpha“ setzt dankenswerterweise woanders an. Vergiss die Biographie und die Lebenserfahrung des Mannes, was können wir über sein Portfolio sagen, wenn wir die neuesten diagnostischen Methoden ansetzen? 

Mehr ist mehr 

Eine eminent wichtige Rolle spielt zunächst die Buffett-Praxis, das Portfolio zu hebeln. Es ist egal, wie gut man Aktien auswählen kann; in einer anhaltenden Hausse kann es auch der beste Stockpicker nicht mit jemandem aufnehmen, der geschickt investiert und gleichzeitig mehr Vermögenswerte in die Gleichung einbringt. Und es gibt definitiv keinen, der sich dieses Geld fast kostenlos ausleihen kann. Das heißt: fast keinen.

Doch genau das ist bei Berkshire Hathaway der Fall. Es ist kein Geheimnis, dass das Versicherungsgeschäft des Unternehmens zusätzliche Mittel bereitstellt, da die Versicherungskunden ihre Prämien im Voraus bezahlen und ihre Ansprüche später erhalten. Es ist auch kein Geheimnis, dass die effektiven Kreditkosten von Berkshire Hathaway äußerst niedrig sind. Buffett hat beide Effekte häufig kommentiert. Die Autoren schätzen, dass Berkshire eine durchschnittliche Leverage-Quote von 1,7 einsetzt - bei durchschnittlichen Fremdkapitalkosten von 1,7%!

Dagegen hat Otto-Normalanleger keine Chance, sich zu solchen Konditionen Kredite zu beschaffen. (Das ist übrigens auch der Grund, warum Privatanleger selten mit Leverage-Strategien Erfolg haben. Die Kreditzinsen fressen regelmäßig den – zudem keinesfalls sicheren – Ertrag auf.) Hebeln ist für institutionelle Investoren praktikabler, aber selbst sie kommen nicht annähernd an die Refinanzierungskosten von Buffett heran. Übrigens auch nicht der amerikanische Staat. In den letzten 50 Jahren zahlte die Federal Reserve durchschnittlich 4,5% für ihre kurzfristige und mehr als 6% für ihre langfristige Finanzierung! 

Buffetts Faktoren-Klone 

Ein zweiter Aspekt der Buffett-Strategie könnte dagegen durchaus kopiert werden: seine Aktienauswahl! Dies ist auch oft versucht worden, allerdings ohne großen Erfolg. Die Autoren des Aufsatzes fragten sich, ob die Ergebnisse der Buffett-Aktienauswahl durch einen mechanischen Ersatz entschlüsselt werden können. Zu diesem Zweck werteten sie die veröffentlichten Trades von Berkshire Hathaway aus, zunächst unter dem Einsatz des Vier-Faktor-Modells von Fama-French-Carhart, das trotz seines langen Namens konzeptionell einfach ist. Das Modell misst das Exposure eines Portfolios gegenüber: 

 

1) dem gesamten Aktienmarkt (Beta),

2) Value-Aktien,

3) Nebenwerten,

4) Aktien mit hohem Momentum. 

 

Die Autoren fanden heraus, dass Berkshire in der Regel in relativ billige Aktien investiert (was Buffetts Ruf als Value-Investor stützt). Zugleich weisen diese Titel niedrige Betas auf. Die Buffett-Investments hatten auch eine etwas höhere Marktkapitalisierung als der Durchschnittliche Titel am Markt, und sie haben keine ungewöhnlichen Momentum-Eigenschaften. 

Nimmt man die Value-Prämie und stellt den Leverage in Rechnung, verblieben satte 4,5 Prozentpunkte an jährlichem Alpha, also einen mit dem Faktormodell nicht erklärbaren Mehrwert. 

So weit, so vertraut. Auch frühere Autoren haben die Auswirkungen von Berkshires Leverage-Strategie und seinen Value-orientierten Stil erfasst. Dass der Rest der Outperformance nicht erklärbar war, trug dazu bei, die Legende des Investors Warren Buffett zu kreieren. Doch „Buffett's Alpha“ geht den entscheidenden Schritt. Mit zwei zusätzlichen Faktoren, so die Autoren, wird Buffetts Performance fast vollständig erklärbar – die neue schöne Welt der Faktoren macht es möglich! 

Diese Faktoren sind die eigenen Entdeckungen der Autoren: 

 

1)     Die „Wette gegen das Beta“ (Frazzini und Pedersen);

2)     Die Wette „Quality minus Schrott“ (Asness, Frazzini, Pedersen). 

 

Berkshire Hathaway wettet gegen das Marktbeta, indem es Low-Beta-Aktien einsetzt - eine Taktik, die höhere Renditen bietet als ein Ansatz, der auf High-Beta-Aktien setzt (ohne Leverage). Und Buffett setzt auf Qualität, indem er profitable, sichere Unternehmen kauft und nicht auf unsichere Kantonisten spekuliert. Erstere tendieren dazu die letzteren zu übertreffen. 

Und presto: Wenn die beiden Faktoren „Wetten gegen Beta“ und „Qualität-minus-Schrott“ zu Berkshire Hathaways Hebelwirkung und Value-Strategie hinzugefügt werden, verschwindet Buffetts Alpha! Die Autoren konstruierten anschließend ein Portfolio, das die Faktor-Exposures von Buffett nachahmt, ohne dabei die Möglichkeit der Aktienauswahl zu berücksichtigen. Dieses Portfolio schaffte es, die öffentlich bekannten Trades von Berkshire Hathaway zu übertreffen. Auch wenn diese Simulation keine Handelskosten berücksichtigte, lässt die Rechnung der Autoren den Schluss zu, dass Buffett geklont werden kann! 

Die Entzauberung des Alpha durch „neue“ Betas 

Somit ist es den drei Autoren gelungen, quasi in einem umgekehrten Alchemie-Verfahren aus Buffetts Gold Eisen zu machen. Sein Alpha entpuppt sich bei näherem Hinsehen als das ein Beta, das auf ermittelten Faktoren basiert.

Natürlich legen die Autoren insofern auch Demut an den Tag, als sie einräumen, dass es heute einfach ist zu konstatieren, dass eine gehebelte kombinierte Low-Volatility-, Quality- und Value-Strategie am US-Aktienmarkt die beste Wahl der vergangenen Jahrzehnte war. Das im Vorhinein, also vor 50 Jahren, zu erkennen, ist eine ganz andere Geschichte und zeigt den analytischen Scharfsinn Buffetts. Wir können im Nachhinein zurückblicken und Buffetts Alphas als bloße Betas bewerten. Doch wir können damit nur die Magie verstehen, die der Magier – und nur der Magier! - vor 50 Jahren erfand; wiedererlebbar machen können wir die Strategie nicht!

Und das zeigt die Begrenzungen dieser Strategie für die Zukunft: Buffetts Geheimnis wurde gelüftet; doch die künftigen Renditen einer derartigen Strategie, die möglicherweise bald von etlichen „Investiere-wie-Buffett-Fonds“ repliziert werden wird, dürften deutlich niedriger sein, als die Vergangenheits-Performance von Berkshire Hathaway. Ja, auch uns Normalsterblichen wird „Investieren wie Buffett“ bald möglich sein. Allerdings abzüglich des Leverage-Effekts und auch mit der Gewissheit, dass die Prämien einer weithin entdeckten und replizierten Strategie in der Zukunft aller Voraussicht nach geringer sein werden als in der Vergangenheit, als sie weitgehend unentdeckt war. 

Eine nützliche Erkenntnis 

Insofern ist diese Studie einerseits hochspannend für den Beobachter, aber zugleich vermutlich ein Muster ohne Wert für den, der nicht nur Buffetts Geheimnis ergründen, sondern auch kopieren will.

Und doch gibt es ein Buffett-Prinzip, das immer anwendbar bleibt: genügend Liquidität vorhalten. Die Performance von Berkshire Hathaway wäre nicht möglich gewesen, wenn sich Buffett während Marktkrisen Geld hätte beschaffen müssen. Er hatte immer das nötige Cash zur Hand und konnte es zu dem Zeitpunkt einsetzen, an dem es am vorteilhaftesten war. Das ist zumindest ein Vorsatz, den Kleinanleger durchaus beherzigen können: immer liquide bleiben und dann Opportunitäten beherzt wahrnehmen!

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

John Rekenthaler  is vice president of research for Morningstar.