Der europäische Aktienmarkt befindet sich derzeit in einer Art Schwebezustand: Die historischen Höchstmarken sind nicht allzuweit entfernt – und scheinen dennoch derzeit schwer erreichbar – DAX und Euro Stoxx 50 treten seit Anfang des Jahres auf der Schwelle, ganz so, als trauten Anleger dem Braten nicht recht. Möglicherweise sieht es nur scheinbar anders in der Schweiz aus, wo der SMI von Höchststand zu Höchststand eilt; man könnte argumentieren, dass in konjunkturell schwierigen Zeiten Anleger den SMI wegen der defensiven Natur des Schweizer Aktienmarktes hochkaufen. (Alle Fondsmanager lieben heute Nestlé, wie sehr, zeigt, dass sogar Emerging Markets-Fonds sich mit der Aktie des Nahrungsmittelkonzerns vollgeladen haben, mit dem Argument, dass Nestlé einen großen Teil seines Umsatzes in den Schwellenländern erzielt!)
Die vorsichtigen Investoren könnten Recht haben. Seitdem die Europäische Zentralbank dem Euro im vergangenen Sommer eine Art Blankoscheck ausgestellt hat, sind die Aktienkurse weit vorausgeeilt. Zu weit, könnte sagen, wer die Entwicklung der Konjunktur im Blick hat. Denn der Ausblick für Europa ist trübe; die Eurokrise ist längst nicht gelöst, und die chronische Wachstumsschwäche des Euro-Südens dehnt sich unaufhaltsam in Richtung Norden aus und macht sich auch in den Kernstaaten der Eurozone bemerkbar (von Großbritannien brauchen wir gar nicht erst zu reden!).
Der Blankoscheck der EZB für den Euro im vergangenen Sommer hat die Aktienkurse in ungeahnte Höhen katapultiert
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage nach den Bewertungen an Bedeutung. Was zahle ich eigentlich für eine Aktie, und ist das Unternehmen diesen Preis wert? Diese Frage stellen sich nicht nur Anleger, sondern auch die 125 Aktien- und Kreditanalysten bei Morningstar. Sie analysieren laufend 1.800 Unternehmen weltweit und ermitteln ihren fairen Wert (lesen Sie hier mehr zu unserer Bewertungsmethodologie für Aktien).
Wo steht der europäische Aktienmarkt heute? Klar ist, dass es in den meisten Sektoren inzwischen deutlich schwieriger geworden ist, werthaltige Unternehmen zu finden, die zu einem günstigen Preis gehandelt werden. Das zeigt die untere Übersicht. Sie zeigt die Entwicklung des so genannten Kurs-Fair-Value-Verhältnisses (KFVV), das Morningstar zur Messung der Attraktivität von Aktien verwendet. Ein KFVVs von über 1,0 signalisiert, dass ein Unternehmen überbewertet ist. Ein Wert von exakt 1,0 drückt aus, dass es auf dem aktuellen Kursniveau fair bewertet ist, ein Wert von weniger als 1,0 deutet auf eine Unterbewertung.
Grafik: Value in Europa nur noch in Nischen erkennbar
Unsere obere Grafik zeigt, dass die Kurse von Banken, vor allem jedoch die von Konsumgüterherstellern und Finanzdienstleistern, weit vorausgeeilt sind. Auch Gesundheitstitel sind inzwischen ambitioniert bewertet. Diese Branchen weisen im Schnitt einen KFVV von über 1,0 aus. Besonders teuer sind dabei Konsumgüteraktien, die gemeinhin als defensives Marktsegment geschätzt werden. Das dürfte ein Problem für eher skeptisch eingestellte Investoren darstellen: Wer Unbill am Aktienmarkt erwartet, flüchtet ungerne in teure Titel. Ähnliches gilt für die Aktien von Pharmaunternehmen.
Etwas anders stellt sich die Lage bei den Sektoren Rohstoffe, Versorger, Automobile sowie – mit Einschränkungen – Telekommunikation dar. Wie aus der oberen Grafik hervorgeht, liegt der KFVV in diesen Sektoren bei unter 1,0. Doch auch hier sind die Kurse nicht weit von ihrem fairen Wert entfernt, wie aus der Verlaufsgrafik hervorgeht.
Insofern ist klar, dass Differenzierung Not tut. Im Folgenden werden wir deshalb in einen dreiteiligen Artikel das Für und Wider der jeweiligen Branchen herausarbeiten und auch auf die aussichtsreichen und die weniger aussichtsreichen Unternehmen aus unserem europäischen Aktienuniversum eingehen, frei nach dem Filmtitel „The Good, the Bad and the Ugly“ (der deutsche Titel des Spaghetti-Westerns mit Clint Eastwood als Hauptdarsteller „Zwei glorreiche Halunken“ will so recht nicht zu dem Thema passen). Lesen Sie hier weiter!
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