Die Geschichte ist absolut berechenbar: Die europäische Fondsindustrie und der Finanzvertrieb hängen an neuen Produkten wie der Junkie an der Nadel. Aktuelle Trends an den Kapitalmärkten werden ziemlich genau von der Absatzpolitik der Fondsanbieter und der Kundenansprache durch den Vertrieb widergespiegelt. Das zeigt sich Jahr für Jahr aufs Neue, und wir haben bereits häufig davon berichtet (lesen Sie hier die Bilanz des vergangenen Jahres). Regelmäßig vereinen neue Fonds den Löwenanteil des Neugeschäfts europaweit auf sich.
Die Fonds-Auflagebilanz der ersten sechs Monate 2013
Dieses Jahr stellt keine Ausnahme dar: Im ersten Halbjahr 2013 verzeichneten Publikumsfonds europaweit (ohne Geldmarktfonds) Nettomittelzuflüsse von 180,84 Milliarden Euro. Davon sammelten Fonds, die weniger als ein Jahr alt waren, 108,83 Milliarden Euro ein, was gut 60% der Netto-Neugelder in Fonds entspricht. Fonds, die über keine Dreijahres-Historie verfügen, sammelten sogar gut 204 Milliarden Euro ein, etwa 113% der Zuflüsse der Zeit zwischen Januar und Juni. Das bedeutet, dass die Newcomer deutlich mehr als das gesamte Geschäft auf sich vereinen konnten, während etablierte Fonds am Markt per Saldo Abflüsse hinnehmen mussten.
Die erste Deutung der Zahlen lässt den Schluss zu, dass Anleger die Fondsanlage offenbar als eine Art Erlebnis- oder Abenteuerurlaub verstehen – prickelnd und spannend muss die Investment-Story offenbar sein. Das stimmt bedenklich, denn der Prozess des Investierens sollte nicht nur langfristig angelegt, sondern auch furchtbar langweilig sein. Auf die kleinen, wiederholbaren Erfolge kommt es an!
Über die Qualität eines Fonds lässt sich erst einigermaßen zuverlässig urteilen, wenn ein voller Börsen-Zyklus abgelaufen ist.
Zudem: Über die Qualität eines Fonds lässt sich erst - einigermaßen - zuverlässig urteilen, wenn ein voller Börsen-Zyklus abgelaufen ist, und der dauert fünf bis sieben Jahre. Wer einen Fonds mit einer kurzen Performance-Historie kauft, nimmt dem Fondsanbieter seine nicht validierten Leistungsversprechen ab. Hand aufs Herz: Haben Sie jemals einen Backtest (so heißen die Simulationen der Anbieter im Vorfeld einer Fondsauflage) gesehen, der nicht im Sinne des Erfinders ausgefallen ist?
RDR bringt zunächst den Briten Transparenz
Doch da der Fondsvertrieb in Europa angebots- und nicht nachfragegetrieben ist und somit am ehesten die Bank darüber entscheidet, was beim Anleger im Portfolio landet, dürfte sich an diesem Vertriebsbild in Zukunft nichts Grundsätzliches ändern, auch wenn das Provisionsverbot in Großbritannien und den Niederlanden zumindest in manchen Ländern mehr Transparenz in der Frage bringen wird, wie viel der Anleger in der Realität für die vermeintlich „kostenlose“ Wertpapierberatung wirklich zahlt.
Wie dem auch sein: Wir wollen einen Blick auf die Details der Auflagezahlen 2013 werfen. Was stand bei den Produktschmieden auf der Agenda? Mit welchen Themen sind die Fondsanbieter an den Markt gegangen? Wir haben unsere Datenbank Morningstar Direct angeworfen und die Neuauflagen in Europa von Januar bis Juni beleuchtet.
5.651 neue Fonds auf dem Markt
Fangen wir mit dem Blick auf das große Ganze an. Neu auf den Markt sind im ersten Halbjahr 5.651 Publikumsfonds. In dieser Zählweise enthalten sind auch Tranchen von bereits bestehenden Fonds am Markt. Was nach Redundanz klingt, ist allerdings ein legitime Zählweise, wenn man den europäischen Fondsmarkt als eine Einheit begreift und den Anleger in den Mittelpunkt setzt. Eine neue Fondstranche für Deutschland, Österreich oder die Schweiz ist für die betreffenden Investoren dieser Länder ein neuer Fonds, und für diese Investoren ist es unerheblich, ob der Fonds, dem die neuen Tranchen zugrunde liegen, bereits in Großbritannien oder Frankreich erhältlich ist.
Auch wenn Aktien in den vergangenen Jahren Bonds deutlich in der Gunst der Anleger hinterherliefen, waren Aktienfonds die am häufigsten aufgelegten Produkte am europäischen Fondsmarkt in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. 1.975 neue Aktienprodukte wurden von Januar bis Juni 2013 an den Markt gebracht, allerdings knapp gefolgt von den allseits beliebten Bond-Fonds, von denen 1.824 aufgelegt wurden. Im selben Zeitraum wurden 942 Mischfonds und 447 alternative Fonds neu aufgelegt, wie aus der Tabelle hervorgeht.
Tabelle: Wie viele Fonds 2013 aufgelegt wurden
Die höchsten Verwaltungsgebühren* werden von Aktienfonds erhoben, gefolgt von alternativen Fonds und Mischfonds. Bemerkenswert ist, dass erfolgsabhängige Gebühren heute nicht nur bei alternativen Produkten, sondern auch bei Mischfonds am häufigsten vorkommen. Mindestens 154 der neu aufgelegten Mischfonds erheben laut ihren Fondsprospekten so genannte Performance Fees. Das entspricht 16,3% aller neuen Mischfonds. Dem gegenüber erheben 6,4% aller Aktien- und 6,8% der Bond-Fonds Performance Fees. Nur bei alternativen Fonds ist die Quote mit 26,2% höher.
Welche Kategorien die Anbieter bevorzugen
Doch worauf haben die Fondsgesellschaften en Detail gesetzt? Wir blicken ein Ebene tiefer auf die Produktgruppen in den jeweiligen Asset-Klassen.
Von knapp 2.000 neuen Aktienfonds am Markt waren 454 Produkte oder 23% auf Schwellenländer ausgerichtet.
Wenig überraschend kommen bei Aktienfonds an erster Stelle Emerging-Markets-Produkte. Von den knapp 2.000 neuen Aktienfonds am Markt waren 454 Produkte oder 23% Produkte auf Schwellenländer-Aktien ausgerichtet. Das ist viel, bedenkt man, dass das Gewicht von Schwellenländern in globalen Indizes wie dem MSCI All Countries World Index bei unter 10% liegt. Doch angesichts der Marketing-Gewitter, das bereits seit Jahren auf die Anlegerschaft in Europa niedergeht, ist dieser Befund nicht spektakulär. Schwellenländer, so die Story der Fondsanbieter, werden das Wachstum der Weltwirtschaft stützen – und die Rendite der Anleger in den Industrienationen retten.
Tabelle: Die Auflagebilanz von Aktienfonds
Angesichts der überdurchschnittlich hohen Managementgebühr von 1,24%, die bei Emerging Markets Aktienfonds veranschlagt werden, dürften auch die Bilanzen der Fondsanbieter profitieren.
Doch auch innerhalb der Gruppe der Emerging-Markets-Aktienfonds variieren die Kosten je nach „Exotik“ des Anlageuniversums. Während Afrika- und Frontier-Fonds jährliche Management-Fees von 1,63 bzw. 1,91 kosten, fallen bei herkömmlichen neuen globalen Schwellenländerfonds im Schnitt 1,18% an.
Mit 424 Produkten folgen bei Aktienfonds europäische, britische und amerikanische Produkte für Standardwerte, gefolgt von globalen Standardwertefonds (389), Branchen- und Nebenwertefonds (250 bzw. 194). Interessant ist, dass die Fondsanbieter offenbar die „Abenomics“-Hypeantizipiert haben: Japanfonds zählten mit 194 neuen Produkten europaweit zu den am häufigsten aufgelegten Aktienfondskategorien.
Auch bei Bond-Fonds waren Emerging Markets das Gebot des Halbjahres
Die meisten neuen Rentenprodukte im ersten Halbjahr waren – analog zur Aktienseite – ebenfalls auf Schwellenländer ausgerichtet. Unter den 1.824 neuen Rentenfonds befanden sich 500 Fonds für Schwellenländeranleihen. Der größte Anteil dieser Produkte – 152 an der Zahl - entfiel auf Fonds, die auf in Hartwährungen denominierte - vorwiegend US-Dollar lautende – Papiere setzen, gefolgt von Schwellenländerfonds für lokale Währungen (117), und immerhin 76 neue Fonds legen in Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern an.
Auf der Bond-Seite waren angesichts des Niedrigzinsumfelds in den Industrieländern auch Hochzinspapiere ein wichtiges Auflagethema für die Fondsanbieter. Nicht weniger als 308 neue Fonds kamen auf den Fondsmarkt, gefolgt von Fonds, die flexibel in Staatsanleihen und Unternehmensanleihen der unterschiedlichsten Couleur investieren. Hiervon wurden 281 Produkte aufgelegt.
Tabelle: Neue Bonds-Fonds am Markt
Mischfonds müssen offenbar flexibel sein
Die dritte große Produktgruppe am Markt sind Mischfonds. Sie versprechen, entweder das Rendite-Risiko-Profil von Kunden zu treffen und einen entsprechenden Mix aus Aktien- und Rentenpapieren hinzubekommen. Entsprechend weisen aggressive, ausgewogene und defensive Mischfonds unterschiedliche Risikoprofile aus. Alternativ dazu gibt es Fonds, die vollkommen flexibel in die Kapitalmärkte investieren können und eine Aktienquote von 0 bis 100% aufweisen können.
Gerade letztere Fondsgruppe wurde besonders häufig aufgelegt: 235 flexible Mischfonds kamen in den ersten 6 Monaten auf den Markt, gefolgt von defensiven (195), ausgewogenen (180) und aggressiven Mischfonds (151). Die verstärkte Vermarktung von flexiblen Produkten steht im starken Kontrast zum Anlageerfolg dieser Produkte. Die Manager dieser Produkte hatten in den vergangenen Jahren per Saldo wenig Fortüne bei der Suche nach dem richtigen Anlagemix (lesen Sie hier mehr).
Tabelle: Flexible Mischfonds sind obenb auf der Agenda
Long-Short heißt es bei den Alternatives
Zu guter Letzt blicken wir zum Schluss auf alternative Fonds. Diese Gruppe wird dominiert von so genannten Absolute-Return-Fonds, deren Leistungsversprechen im allgemeinen darin besteht, jederzeit eine positive Rendite zu erzielen, unabhängig von der Richtung der Kurse an den Kapitalmärkten. Doch da wir bei Morningstar Fonds nicht nach der Intention der Produktanbieter sortieren, sondern entsprechend der Anlagestrategie der Produkte und den Marktsegmenten, auf denen sie agieren, finden sich diese Fonds unter der Rubrik „Alternatives“, deren Untergruppen den gemeinhin bekannten Hedgefonds-Kategorien entsprechen. In der Summe wurden 447 alternative Fonds in der ersten Jahreshälfte aufgelegt.
Zahlenmäßig dominieren bei den Neuauflagen Long-Short-Bond-Fonds. Von dieser Kategorie wurden 95 Fonds aufgelegt, gefolgt von Multi-Strategiefonds (87), Long-Short-Aktienfonds (72) sowie Multi-Strategiedachfonds (45). Bezeichnenderweise zählten drei der vier am häufigsten bestückten Kategorien zu den teuersten alternativen Fonds mit durchschnittlichen Management-Kosten zwischen 0,98 (Multi-Strategiedachfonds) und 1,45% (Long-Short-Aktienfonds).
Tabelle: Alternative Fonds im Überblick
So weit, so beeindruckend die Produktflut des ersten Halbjahres. Im nächsten Teil des Artikels wollen wir den Fondsvertrieb mit dem Kaufverhalten der Anleger kontrastieren - und einen Blick auf den Anlageerfolg werfen. Bleiben Sie also dran!
*Anmerkung zu den in den Tabellen ausgewiesenen Kosten: Die tatsächliche Quote der Fonds mit Performance Fees liegt deutlich höher, da nicht in allen Ländern Europas über diese Kostenkomponente berichtet werden muss. Zudem weisen neue Fonds naturgemäß noch keine Gesamtkostenquoten auf. Deshalb entspricht die zum Start ausgewiesene Management Fee nicht den aggregierten Fondskosten, die zum Ende eines Fonds-Geschäftsjahres in den Fondsprospekten dokumentiert sind und die mit der Gesamtkostenquote (TER) ausgedrückt werden. In manchen Ländern, wie etwa Luxemburg, werden die Vertriebskosten zudem häufig getrennt von den Management-Kosten ausgewiesen.
Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.