Der Markt für unabhängige Finanzberater (IFAs) hat seit Jahren einen schweren Stand in der Bevölkerung. Lebensversicherungen werden angesichts des Niedrigzinsumfelds immer unattraktiver, und die risikoscheuen Privatkunden halten sich von anderen langfristigen Investments fern. Zudem haben die Finanz-Crashs der vergangenen Jahre und die zahlreichen Produkt- und Vertriebsskandale das Image der Berater ramponiert. Wir trafen Rainer Juretzek, der als Finanzplaner, Coach, IHK-Sachverständiger und Geschäftsführer der Europäischen Akademie für Finanzplanung bestens mit dem Beratermarkt vertraut ist. Ein Gespräch über die Ursachen der Probleme, mit denen IFAs zu kämpfen haben, und die Perspektiven für eine Branche, die sich in Zeiten hoher Regulierungsdichte erkennbar neu erfinden muss.
Herr Juretzek, das Europäische Parlament hat jüngst die Finanzdienstleister-Richtlinie Mifid II verabschiedet. Im Gegensatz zur Aufregung, die mit der ersten großen paneuropäischen Vertriebsregulierung verbunden war, sind die Reaktionen eher verhalten. Ist mit Mifid II nichts substanziell Neues zu erwarten?
Juretzek: Der Finanzvertrieb in Deutschland hat derzeit so viel zu verdauen, da ist Mifid II tatsächlich eher eine Nebensache. Bei unabhängigen Vermittlern und Finanzdienstleistern wird die Frage der Provisionen einen größeren Raum in Kundengesprächen einnehmen. Sie müssen künftig erklären, ob sie abhängig sind und Provisionen vereinnahmen oder ob sie unabhängig sind und auf Honorarbasis arbeiten. Ich halte diese Frage aber nicht für kriegsentscheidend. Der Kunde wusste eigentlich schon immer, dass Finanzberatung im Ergebnis nicht umsonst ist. Insofern wird die Mifid substanziell nicht mehr so viel ändern. Das ist auch gar nicht nötig, die Dramatik ist groß genug…
… Sie heben darauf ab, dass die Finanzbranche seit Jahren über die hohe Regulierungsdichte klagt. Schon lange bevor Mifid II auf der Agenda stand war stets die Klage über eine tatsächliche oder vermeintliche Überregulierung zu hören…
Ja, die Regulierung des Finanzvertriebs ist in Deutschland schon ziemlich weit gekommen. Das fängt bei den Banken an. Die werden auf Herz und Nieren geprüft. Das fängt an mit Stresstests und geht hin bis zur Registrierung der einzelnen Berater bei der BaFin. Und jetzt hat die Regulierung mit dem Finanzanlagenvermittlergesetz und der dazu gehörenden Verordnung die freien Berater erfasst. Das große Problem des Vermittlermarktes ist, dass die verabschiedeten Gesetze überhaupt noch nicht ausgeführt wurden.
Es sind etliche Pflichten vorgesehen. Analog zu den Versicherungsvermittlern müssen Fondsberater eine Sachkundeprüfung bestehen und eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung abschließen. Analog zum Pflichtenheft für Bankberater kommen umfangreiche Dokumentationspflichten hinzu. So weit, so bekannt. Wo liegt das Problem?
Eigentlich müsste man anders herum fragen: Wo gibt es keine Probleme? Neben der Sachkundeprüfung sind die Dokumentationspflichten der große Aufreger, aber es hakt auch bei anderen, grundlegenden Fragen. Es fängt schon bei der jährlich vorgeschriebenen Betriebsprüfung an, die von einem gemäß § 24 Finanzvermittlerverordnung zugelassenen Prüfer – unter anderem Wirtschaftsprüfer, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige – testiert werden muss. Nach meiner Erfahrung als zugelassener Prüfer erfüllen viele Vermittler nicht die Mindestanforderungen.
Die Verordnung wurde im Mai 2012 veröffentlicht, die Regelungen sind also noch relativ neu. Sind das nicht nur die typischen Anlaufschwierigkeiten?
Nein, denn das hieße ja, dass sich die Vermittler mit der Materie auseinandersetzen würden. Mein Eindruck ist, dass sich erschreckend viele überhaupt noch nicht mit der Betriebsprüfung befasst haben, die legen die Hände in den Schoß und warten …
… die Umsetzungsfrist für das neue Vermittlerrecht endet Anfang 2015 …
Ich bin wirklich gespannt auf die Wirtschaftsprüfungsberichte, die ja auch rückwirkend für 2013 vorgelegt werden müssen. Ich vermute, dass sich Anfang 2015 herausstellen wird, dass viele Marktteilnehmer zwei Jahre lang ihren Beruf fehlerhaft ausgeführt haben.
Was werden die Folgen für fehlerhafte Prüfungsberichte sein?
Das kommt darauf an. Ordnungsrechtliche Fehler können mehr oder weniger schwerwiegend sein. Das kann mit einer Abmahnung der zuständigen Aufsichtsbehörde oder einem Bußgeld quittiert werden, oder es wird binnen einer bestimmten Frist eine Nachprüfung angeordnet.
Bis Mitte 2015 dürften sich noch einmal 10.000 Vermittler verabschieden.
Ich bin überzeugt, dass sich dann viele Finanzdienstleister endgültig aus dem Markt verabschieden werden. Das würde auch dieses totale Desinteresse an der Implementierung des Vermittlerrechts erklären, das mir auf Road Shows und anderen Veranstaltungen entgegenschlägt.
Per Ende März dieses Jahres waren laut Vermittlerregister der IHK gut 40.000 Finanzanlagenvermittler tätig. Das sind deutlich weniger als man vor Verabschiedung des Vermittlerrechts erwartet hat.
Und es werden noch einmal deutlich weniger werden. Bis Mitte 2015 dürften sich noch einmal 10.000 dieser Vermittler verabschieden.
Das heißt, Sie erwarten, dass der Markt noch stärker konsolidieren wird, als es heute den Anschein hat. Oder steht zu erwarten, dass da noch ein Schub an Registrierungen kommt?
Nein, ein paar Altvermittler werden noch den Weg ins Register finden, aber die kleckern allenfalls nach. Mittelfristig wird sich der Markt vermutlich halbieren. Nach wie vor gibt es noch eine große Anzahl Vermittler mit dem alten 34c herum, die Container und Kredite verkaufen, aber die werden über kurz oder lang vom Markt verschwinden, weil in naher Zukunft diese Regulierungslücken vom Gesetzgeber geschlossen werden.
Ich bin nicht sicher, dass ich verstanden habe, was das eigentliche Problem des deutschen Vermittlermarkts ist.
Es ist das fehlende fachliche Wissen und die absolute Ignoranz vieler Vermittler, was die Erfordernisse an den eigenen Berufsstand anbelangt. Um in Zukunft unter den neuen Bedingungen bestehen zu können, müssen viele völlig anders arbeiten als bisher. Die gesetzlichen Anforderungen müssen angewendet werden. Neben den formalen Kriterien wie Sachkundeprüfung, Haftpflichtversicherung und Betriebsprüfung mangelt es auch im Kern der Sache: am Beratungsprozess. Vermittler müssen nach Paragraf 16 der Finanzvermittlerverordnung eine Geeignetheitsprüfung und eine Risikotragfähigkeitsprüfung durchführen. Das machen die meisten aber nicht. Weder die Einzelvermittler noch die großen Vermittlerpools am Markt. Deren Programme erfüllen häufig nicht die diesbezüglichen Voraussetzungen des Gesetzes. Wenn ich sehe, wer sich den Stempel „34f konform“ verpasst, dann ist das – vornehm formuliert – irreführend. Denn es werden damit nur die Kriterien für die Angemessenheitsprüfung abgedeckt.
Genauer, bitte!
Die Angemessenheitsprüfung ist schnell abgehakt. Da geht es um die Erfahrungen des Anlegers mit bestimmten Fondstypen bzw. Asset-Klassen. Hat er schon einmal Verluste mit Kapitalmarktanlagen gemacht? Weiß er, was für Risiken eine Aktie hat? Entscheidend ist aber die Risikotragfähigkeitsprüfung. Hier muss der Berater die Ziele des Kunden, seine Wünsche, abfragen und ins Verhältnis setzen zu seinen Eigentumsverhältnissen und seinen finanziellen Rahmenbedingungen. Nach dieser Erhebung muss er die Risikosituation des Kunden beurteilen. Passt das Produkt, das der Kunde wünscht, oder das der Vermittler verkaufen will, wirklich zu diesem Kunden? Kann der das Risiko überhaupt schultern? Wenn beispielsweise das Haus nicht entschuldet, die Liquiditätslage eng ist und der Kunde sein Geld nach zehn Jahren braucht, dann kann er sich Verluste nicht leisten. Dann muss der Berater sagen: „Lieber Kunde, ich kann dir den Aktienfonds nicht verkaufen, weil er nicht zu deiner Risikosituation passt“.
Berater müssen Kundenwünsche unter Umständen abschlägig bescheiden. Das ist wie beim Arzt. Der darf auch nicht Medikamente verschreiben, die gesundheitliche Risiken nach sich ziehen.
Das ist wie beim Arzt. Der darf auch nicht das Medikament verschreiben, das der Patient möglicherweise haben möchte, wenn es gesundheitliche Risiken nach sich zieht. Das ist auch die Situation der Finanzdienstleister heute. Sie haben es nur noch nicht gemerkt!
Das klingt so, dass vielen Finanzdienstleistern ein unsanftes Erwachen droht.
Das kann man so sagen. Denn die meisten sind der Meinung, dass sie nur als Vermittler agieren und nicht als Berater. Ein Vermittler ist von den Prüfungspflichten befreit, wenn das Geschäft auf Veranlassung des Kunden zustande kommt, es sich also um eine Execution only-Dienstleistung handelt, oder aber wenn nur eine produktbezogene Beratung stattfindet. So eine Verkaufssituation liefe ab wie folgt: Es kommt ein Anleger in das Büro des Vermittlers und sagt: „Ich habe gelesen, Sie verkaufen den Fonds XY, der interessiert mich“. Wer so arbeitet, muss nicht das Gesamtbild des Kunden erfassen, er schuldet nur die produktbezogenen Informationen dieses Fonds und die Angemessenheitsprüfung. Diese Rolle passt aber nicht zu dem Auftreten von 98% der Finanzdienstleister am Markt.
Die meisten IFAs sind der Meinung, dass sie nur als Vermittler agieren und von den Prüfungspflichten befreit sind. Das ist zumeist aber nicht der Fall, da sie gegenüber dem Kunden als Berater auftreten.
Das fängt schon mit der Visitenkarte, also der Unternehmensbezeichnung, an. Verkäufer treten oft unter der Bezeichnung „Finanzberater“, „Investmentberater“ oder so ähnlich auf. Dem Kunden wird damit suggeriert, dass hier eine ganzheitliche oder zumindest individuelle und bedarfsgerechte Beratung stattfindet. Die meisten Marktteilnehmer wissen aber nicht, dass in dem Fall erheblich erweiterte Pflichten auf sie zukommen.
Das erwarten vermutlich auch die Kunden, die dergestalt angesprochen werden und die nicht nur gezielt in einen bestimmten Fonds investieren möchten und eine Verkaufsstelle suchen.
Ja, von der Genauigkeit und der Professionalität der Finanzberater hängen die Zukunftsplanungen vieler Menschen ab! Geht die Planung daneben und muss der Kunde wegen falscher Renditeprognosen eine Station auf seiner Weltreise auslassen, dann ist das kein Drama. Fliegt ihm seine Altersversorgung wegen Falschberatung um die Ohren, dann ist es das schon. Und, seien wir mal ehrlich, viele Menschen haben nicht so furchtbar komplexe Vermögensverhältnisse. Geht es darum, mit kleinen Beiträgen einen Aktienfonds zu besparen, dann ist das keine Kunst. Beim Otto-Normalverbraucher mache ich eine solide Finanzplanung in 20 Minuten! Sobald aber Immobilien und komplexere Finanzströme ins Spiel kommen, kann es sehr schnell kompliziert werden. Dann laufen die meisten Vermittlerprogramme am Markt ins Leere. Aber wir haben jetzt nur über die finanziellen Risiken für Kunden und Haftungsrisiken für Vermittler gesprochen, wir können auch über die positiven Aspekte einer professionellen Finanzplanung sprechen.
Bitte!
Berater können bei einer sauberen Erfassung der finanziellen Situation des Kunden durchaus kreativ als Problemlöser auftreten. Sie können zum Beispiel riskantere Anlagen in die Portfolios risikoscheuer Investoren beimischen, die mehr Rendite brauchen als die von Bundesanleihen. Eine Analyse des Gesamtportfolios kann ergeben, dass auch Investoren der Risikoklasse 2 oder 3 durchaus in homöopathischen Dosen Kapitalanlagen der Risikoklasse 5 vertragen können, ohne dass sich das Gesamtrisiko im Portfolio signifikant erhöht. Das wäre ein Mehrwert für den Kunden, von dem auch der Berater profitieren kann.
Berater können bei einer sauberen Erfassung der finanziellen Situation des Kunden durchaus kreativ als Problemlöser auftreten.
Aber ich bin nicht optimistisch, dass viele Vermittler diesen Weg einschlagen werden.
Warum nicht?
Weil sie es entweder nicht wollen oder nicht können! Viele haben schlicht keine Ahnung, wie eine hinreichend flexible, in die Zukunft gerichtete Finanzplanung funktioniert. Was passiert eigentlich mit den Grundannahmen, wenn sich die Verhältnisse des Kunden ändern? Was ist mit der Inflation? Ist die finanzielle Zukunftsplanung so flexibel, dass der Kunde nicht in finanzielle Schwierigkeiten gerät, wenn er und seine Frau ein Kind erwarten und beruflich etwas kürzer treten wollen? Ohne die Erfassung möglicher Zukunftspläne verkauft der Vermittler irgendetwas, was die Liquiditätslage seines Kunden unter Umständen zu stark belastet. Mögliche Zukunftspläne muss der Berater also aktiv erfragen. Und wissen Sie was? Das ist alles kein Hexenwerk, es gibt jede Menge Finanzplanungs-Software. Anstatt mit rudimentären selbstgebastelten Tools herumzuhantieren, empfiehlt es sich sollten Vermittler auf existierende Finanzplaner-Tools zurückgreifen. Die in einen Finanzplan abgebildeten Finanzströme müssen „vernetzt“ gerechnet werden, das kann man nun mal nicht von Hand machen! Der Einsatz professioneller Finanzplanungsprogramme – von denen es einige am Markt gibt – ist hier angezeigt. Im Rahmen des Beratungsprotokolls müssen ohnehin eine Menge Kundendaten erfasst werden.
Wesentliche Kundendaten werden also während der Protokollierung schon erfasst, aber es wird nicht mit denen gearbeitet?
Dieser Eindruck drängt sich auf. Viele Vermittler radebrechen irgendetwas herum und kramen dann ihre fünf Standardfonds heraus. Dann darf der Kunde sagen, wie er sich fühlt und wie viel Risiko er zu vertragen glaubt. Dann zieht der Vermittler drei Fonds aus dem Hut und der Kunde entscheidet, welcher Fonds wie hoch im Portfolio gewichtet wird. So etwas ist natürlich grober Unfug. Der durchschnittliche Kunde kann seine Situation doch gar nicht einschätzen, das muss der Berater machen! Und Sie können sicher sein, dass das vor Gericht richtig, richtig teuer wird für viele Vermittler, bzw. für die Vermögenschadenhaftpflichtversicherung.
Bisher ist es ziemlich ruhig um Fondsvermittler. Kundenbeschwerden und Prozesse scheinen sich in Grenzen zu halten. Wann wird sich das ändern?
Wenn die ganzen Prozesse um Schiffs- und Containerfonds durch sind und die Verjährungsfristen abgelaufen sind. Dann werden die Anlegerschutzanwälte darauf kommen, dass viele Beratungen anfechtbar sind. Das ist fast schon tragisch, denn es ist schon lange bekannt, wie eine saubere Beratung funktionieren sollte: Die Deutsche Gesellschaft für Finanzplanung hat schon 1995 die Grundsätze postuliert und veröffentlicht. Das, was im Finanzanlagenvermittlergesetz steht, ist mit diesen Grundsätzen weitgehend identisch. Man hätte sich also schon vor langer Zeit informieren können.
Die Bestimmungen des Vermittlergesetzes sind mit den Grundsätzen der Deutschen Gesellschaft für Finanzplanung weitgehend identisch. Die gibt es seit 1995.
Die Zukunft der freien Vermittler sieht also nicht rosig aus. Man könnte aber die These aufstellen, dass die guten Berater dann das Geschäft machen werden. Zum Nutzen der Kunden.
Ja, es gibt natürlich eine Anzahl Berater, die qualifiziert und seriös arbeiten. Die werden profitieren. Aber die Branche als solche wird noch weiter konsolidieren, und die Gewinner der Konsolidierung werden – wenn kein schneller Umdenkungsprozess bei Finanzdienstleistern einsetzt – vor allem die Banken sein.
Was ist die Perspektive? Die Branche der Finanzberater ist überaltert. Und es scheint mir nicht so, dass 10.000 junge, hungrige, gut ausgebildete Berater in den Startlöchern stehen.
Die einzige Perspektive für die Branche ist, ihr Image zu verbessern durch eine höhere Qualifikation der Berater und klare, transparente Beratungsprozesse. Berater sollten es auch als Vorteil für den Kunden nach außen kommunizieren, sie durch die Finanzregulierung einer permanenten Qualitätsprüfung unterworfen sind. Stattdessen arbeiten große Finanzdienstleisterverbände und Pools daran, die aktuelle Regulierung wieder aufzuweichen. Die Finanzbranche hat es in der Hand, die qualifizierten freien Finanzberater zu unterstützen, denn denen gehört die Zukunft der Finanzberatung!
Die Fragen stellte Ali Masarwah
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