Die meisten Berater halten sich bei ETF zurück. Sie verkennen dabei jedoch, dass sich der Indexierungszug nicht aufhalten lässt und verpassen eine Chance, verloren gegangene Kompetenz wiederzugewinnen. Die Vorbehalte in der Beraterschaft sind groß, und die Einwände gegen den Einsatz von ETF in Privatkundenportfolios Legende. Kostprobe? „ETF fördern spekulative Blasen“ (im Prinzip ja, aber aktiv gemanagte Fonds haben nicht bewiesen, dass sie anders arbeiten), „aktives Management ist für die Risikokontrolle unerlässlich“ (bei Aktienfonds ist diese These höchst zweifelhaft, in anderen Asset-Klassen unbewiesen), „in weniger erforschten Kapitalmarktsegmenten (Nebenwerte, Schwellenländer, Hochzinsanleihen) bringen ETF Nachteile“ (auch dort haben aktive Manager en Gros nicht bewiesen, dass sie es besser können).
Die Liste an Einwänden ließe sich ebenso wie die der Gegenargumente beliebig verlängern. So wichtig es ist, sich über die Folgen der Indexierungswelle, welche die Asset-Management-Branche gerade überrollt, für Investmentstrategien Gedanken zu machen, so erweisen sich die Beratereinwände zumeist als schlecht kaschierte Ratlosigkeit: Börsennotierte Indexfonds lassen sich nicht mit dem dominierenden Geschäftsmodell des Finanzvertriebs in Einklang bringen, das auf Bestandsprovisionen und Abschlussgebühren fußt.
Die resultierende Verweigerungshaltung und Nibelungentreue zu aktiv gemanagten Fonds mögen auf den ersten Blick verständlich sein. Wer aber so agiert, erweist nicht nur den Kunden einen Bärendienst, sondern setzt auch die eigene geschäftliche Existenz aufs Spiel. ETF-Verweigerer stellen ihre Interessen über die des Kunden und machen sich damit zum Teil des Anlageproblems vieler Investoren, anstatt Problemlöser zu sein. Am Anfang sollten zwei (bittere) Erkenntnisse stehen: Das Provisionsmodell hat sich in seiner bisherigen Form überlebt. Aktiv gemanagte Fonds sind, ironischerweise auch wegen dieses Modells, viel zu leistungsschwach, als dass Berater die Indexierungsalternative ignorieren könnten.
Im Zentrum künftiger Geschäftsmodelle werden Honorarmodelle oder Servicegebühren stehen, und die Beraterschaft sollte mit der Umstellung lieber früher als später beginnen. Ein Argument vernehme ich viel zu selten in der Praxis: ETF-basierte Portfolios (nicht zu verwechseln mit den überwiegend nicht performanten ETF-Dachfonds) zusammenzustellen ist ein komplexer Vorgang, dem aktive Entscheidungen zugrunde liegen. Das überfordert die meisten Privatanleger. Die Überlegung, welche Zielmärkte infrage kommen und welche Wirkung sie im Portfoliokontext entfalten, ist höchst relevant und erfordert einiges mehr an Know-how als bei der Vermittlung aktiv gemanagter Mischfonds, bei denen der Fondsmanager über die Asset-Allokation entscheidet. Wie hoch soll der Anteil des US-Aktienmarkts sein? Sollen Schwellenländer beigemischt werden? Soll der Bond-Bereich des ETF-Portfolios allein Staatsanleihen umfassen oder auch nichtstaatliche Emittenten berücksichtigen?
ETF-Portfolios helfen Beratern, die Lufthoheit über die Anlegerportfolios zurückzugewinnen, die viele fahrlässig den vielen Mischfonds-Gurus überlassen haben – deren Mehrheit, im Gegensatz zu strategisch aufgesetzten ETF-Portfolios, langfristig nicht überzeugt. Übrigens hegt man auch in der Branche der aktiven Asset Manager keine Illusionen über den sich vollziehenden Bedeutungsverlust. Kaum ein Verantwortlicher würde ernsthaft bestreiten, dass sich die Passivierung vieler Asset-Klassen, etwa US- und Europa-Standardwerte-Aktien, zurückdrehen lässt. ETF und andere günstige passive Fonds wachsen wegen ihrer soliden Performance rasant – und in manchen Produktsegmenten, etwa bei Schweizer Large Caps, machen sie bereits mehr als die Hälfte des Fondsmarktes aus.
Interessanterweise bekommen viele Asset Manager heute in Form hoher Mittelabflüsse die Quittung dafür, dass sie ihre Fonds über Jahre immer mehr verteuert haben, um die Maschinerie des Finanzvertriebs zu schmieren. Es ist übrigens keinesfalls ausgeschlossen, dass aktiv verwaltete Fonds ein Comeback feiern könnten. Berater, die sich von der unheiligen Allianz lösen und die Vertriebs- von den Produktkosten trennen, tragen also ihren Teil dazu bei, aktiv gemanagte Fonds „performanter“ zu machen. Das wiederum könnte bewirken, dass die zunehmend von Fondsunlust befallenen Anleger den aktiven Asset Managern irgendwann wieder mehr Gehör schenken.
*Dieser Kommentar erschien erstmals in der Juni/Juli-Ausgabe 2016 von portfolio international. Die Wiedergabe auf morningstar.de erfolgt mit freundlicher Genehmigung des portfolio Verlags GmbH, Frankfurt.
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