Dunkle Wolken, aber kein Regen
2016 hat unheilverkündend begonnen. Der S&P 500 gab gleich im ersten Monat dieses Jahres um 5 Prozent nach – so viel zum Januareffekt. Zuvor war der US-Index bereits in vier von sechs Monaten gesunken. Die Rohstoffpreise wurden ausgeschwemmt, der Preisindex für Basisrohstoffe des Internationalen Währungsfonds (IWF) erreichte sein niedrigstes Niveau seit über einem Jahrzehnt und unterschritt sogar seinen Tiefststand aus dem späten Jahresverlauf von 2008. Angesichts der Genauigkeit, mit der der Verfall in den Rohstoffpreisen in diesem Jahr den Verlauf der Aktienmärkte angezeigt hatte, „sind wir fällig“ für eine Rezession in den USA, sagte Alan Beckenstein, Professor an der Universität von Virginia, anlässlich seiner jährlichen Wirtschaftsprognose. „Sollte es eine Rezession geben, wird sie sich so ankündigen“, schrieb Neil Irwin in der „New York Times“. „Steht die US-Wirtschaft vor einer weiteren Rezession?“, fragte sich der „U.S. News & World Report“. „Angesichts der gelben Lichter auf der Rezessions-Ampel sind die angespannten Märkte durch alle Schocks verwundbar“, titelte Reuters.
Sechs Monate später erholten sich die Rohstoffpreise aber, die entwickelten Volkswirtschaften tuckerten weiter entlang und die Aktien stiegen. Die nächste Baisse wird jedoch kommen, weil die nächste Baisse immer irgendwann kommt. Doch der Abschwung wird zu einem anderen Zeitpunkt und aus anderen Gründen stattfinden als die Prognostiker erwarten.
Es gibt unterschiedliche Exemplare der Gattung „Bär“
Im Nachhinein wirkt immer alles so offensichtlich: Wie konnte es sein, dass wir 2008 den unmittelbar bevorstehenden Crash an den Aktienmärkten nicht hatten kommen sehen? Immerhin geschah dieser nach sieben Jahren mit einer wachsenden Wirtschaft, zu einer Zeit, wo die Nachfrage bereits abflaute. Doch eine Prognose abzugeben ist alles andere als leicht. In diesem Winter wiederholte sich das eben beschriebene Szenario. Die US-Wirtschaft hatte wieder eine siebenjährige Wachstumsphase durchlaufen und erneut erlahmte die Rohstoffnachfrage. Das gleiche offensichtliche Bild resultierte aber dieses Mal in einem ganz anderen Ergebnis.
Wie ich schon zuvor geschrieben hatte, ist das Problem beim Ausrufen eines Bärenmarktes – oder einer Rezession – schlichtweg jenes, dass keine Baisse der anderen gleicht: Der Börsencrash von 1987 kam aus dem Nichts. Die Wirtschaft hatte sich zuvor nicht abgeschwächt, es gab keine Anzeichen für eine problematische Entwicklung. Der Crash passierte einfach. 1990 waren geopolitische Probleme – die Invasion des Iraks in Kuwait, die in die Höhe schnellenden Ölpreise – der Auslöser. Die Märkte waren bereits am Boden, bevor man die Probleme tatsächlich bewusst wahrgenommen hatte. Das Platzen der Technologieblase von 2000 bis 2002 ist ein weiteres Beispiel. Gewissermaßen war es absehbar. Denn es wurde ungezügelt spekuliert. Allerdings hätte man das Platzen auch fünf Jahre früher erwarten können, was viele auch getan hatten.
Die verhasste Bullenmärkte
Der aktuelle Aufwärtstrend ist, wie uns das „Wall Street Journal“ erst kürzlich erläuterte, der „am meisten verhasste Bullenmarkt“, der aufgezeichnet wurde. Auch CNBC, die Financial Times, Forbes, Fox Business News, Bloomberg, CNN und CBS Marketwatch haben erst kürzlich den gleichen Begriff „meist gehasst“ verwendet. Alan Greenspan hatte dem „irrationalen Übermut“ der 1990er ebenfalls keinen Nutzen abgewinnen können. Zuvor, in den späten 1980ern, hatte ein großer Teil des sogenannten smarten Geldes die Erholung nach 1987 verpasst und wirkte damit eher wie eine Wette der Ahnungslosen.
Die aktuelle Skepsis gegenüber dem Aktienmarkt als ein positives Zeichen zu deuten, ist all zu verführerisch. Es würde allerdings bedeuten, dass die Rally weitergehen würde. Doch auch dieses Thema ist nicht ganz so einfach. Denn Bullenmärkte enden nicht typischerweise dann, wenn die Schwarzseher verstummen, wie man weiß. Zweifler gibt es immer. (Und manchmal ist das auch der Grund, warum ihre Analyse korrekt ist und sie die Stärke haben, zu einem zu frühen Zeitpunkt eine schlechte relative Wertentwicklung auszuhalten. Manchmal jedoch fallen sie auf eine „Bärenfalle“ herein. Sie sind dann Short-Positionen auf Aktien eingegangen, als die Märkte stiegen, und können dann nicht mehr mit der Konkurrenz gleichziehen. Diese Bärenmarktverfechter müssen nun an der Seitenlinie verweilen und auf einen Börsencrash hoffen, damit sich das Rad für sie dreht.)
Jeremy Grantham, zum Beispiel, wetterte während der späten 1990er bis ins neue Jahrtausend hinein gegen Technologiewerte, also bis zu ihrem Untergang. Er war nicht der einzige. Die meisten Hedgefondsmanger waren für diesen Sektor, als er seinen Höchststand erreichte, ebenfalls negativ eingestellt. Das gleiche gilt für die wertorientierten Fondsmanager. (Übrigens auch die Morningstar-Analysten sahen es damals so, was ihnen einige kritische Kommentare der Leserschaft einbrachte.) Es wäre in der Tat schwierig, Marktspitzen zu erkennen, indem man Anzeichen für die Kapitulation der Skeptiker suchen würde.
Wenn das Konträrsein versagt
Konträrsein ist ein schönes Anlageprinzip. Es ist sinnvoll, wenn man neues Geld anlegt und dabei die Sektoren mit der schlechten relativen Wertentwicklung innerhalb der jüngsten Jahre sucht oder jene, die unter heftigen Verkäufen von Fondsanlegern gelitten haben. (Natürlich fallen diese Ereignisse auch oft zusammen, denn die meisten Fondsanleger folgen eher Trends, anstatt sich diesen zu entziehen.) Es ist auch nützlich, sich die stärksten Gewinner in einem Portfolio genau anzusehen und sich dabei zu fragen, ob sich diese Wertpapiere auf dem aktuellen Kursniveau tatsächlich halten können.
Allerdings ist es schwer zu sagen, ob das entgegengesetzte Handeln tatsächlich beim Market-Timing funktioniert. Aus der Investorenstimmung oder der Marktentwicklung Zahlen für ein sinnvolles Investitionssignal abzuleiten, ist alles andere als einfach. Die Mathematik für Aktienanlagen scheint hingegen wie das kleine Einmaleins zu sein. Aktien steigen die meiste Zeit über. Es gibt aber keine verlässliche Methode, um die Ausnahmephasen zu ermitteln. Daher ist der optimale Ansatz, den Aktien-Anteil unabhängig von der derzeitigen Situation an den Börsen und den aktuellen Schlagzeilen konstant zu halten.
Das ist aber leider kein dankbares Thema für einen Finanzkolumnisten. Für ihn wäre es besser, wenn sich ein Ratschlag von Jahr zu Jahr und von Saison zu Saison ändern würde. Die Natur der Märkte ist aber nun einmal so wie sie ist. Wie Jason Zweig gerne zu sagen pflegt – eine gute Finanzberichterstattung bedeutet, die gleiche Kolumne über das Investieren immer und immer wieder zu veröffentlichen und dafür einen neuen Aufhänger zu finden.
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