Für viele Menschen, die kurz vor dem Ruhestand stehen oder bereits Rentner sind, ist die gesetzliche Rente das wertvollste „Gut“, das sie besitzen. Aktuell beläuft sich das Bruttorentenniveau auf 46 Prozent des zuletzt erzielten Einkommens. In den nächsten Jahren wird diese Versorgungsquote zwar nach und nach zurückgehen, dürfte aber auch mittelfristig mit rund 40 Prozent die größte Einkommensquelle deutscher Rentner bleiben.
Es stellt sich deshalb die Frage, wie dieser Einkommensstrom in der persönlichen Vermögensbilanz zu behandeln ist. Allzu häufig wird die Rente bei der Konstruktion von langfristigen Portfolios für die Altersversorgung nicht in die Bilanz eingebracht. Ob Immobilien, die betriebliche Altersversorgung, die gesetzliche Rente, die Pension, das Humankapital (das ist, verkürzt gesagt, die körperliche und intellektuelle Arbeitskraft, die der Bürger zur Einkommenserzielung künftig einsetzen kann; das Humankapital übersteigt bei jungen Leuten alle anderen Vermögenswerte!) oder sonstige Pensionsansprüche: Alle diese Faktoren gehören zur persönlichen Vermögensbilanz. Kein Portfolio ist eine Insel!
Wir wollen uns die wichtigste Komponente der Alterseinkünfte etwas genauer ansehen und die aktuelle Diskussion skizzieren. Was hat die gesetzlich Rente mit den typischen Asset Klassen, Aktien und Anleihen, die man in Portfolios vorfindet, gemein, und was sind die Unterschiede? Lassen wir einige prominente Experten sprechen.
Bogle: Rente bietet Kupons und auch Inflationsschutz
Jack Bogle, der Gründer des US-Fondshauses Vanguard, hat argumentiert, dass Anleger die Rente als Teil der Bond-Komponente ihrer Portfolios betrachten sollten. Rentenzahlungen seien Ertragsausschüttungen ähnlich. Er präzisiert, dass sie mit einer inflationsgeschützten Anleihe vergleichbar seien, weil sie inflationsbereinigt seien. (In Deutschland ist dieser Zusammenhang indirekt vorhanden, da die Rentenentwicklung an die Lohnentwicklung gekoppelt ist.) Rentner könnten demzufolge Aktien etwas höher gewichten als es ihre persönliche Vermögensallokation eigentlich vorsieht, so Bogle.
Immobilien, die bAV, Rentenansprüche und Humankapital: Alles gehören zur persönlichen Vermögensbilanz, denn schließlich ist kein Portfolio eine Insel
Auch David Blanchett, Leiter Retirement Research bei Morningstar, ist tendenziell für eine derartige Herangehensweise. „Bei den Sozialleistungen handelt es sich um eine Staatsanleihe und einen Teil des Gesamtvermögens einer Person.“ Deshalb sei sie im Portfolio als anleiheähnlicher Vermögenswert zu betrachten. Aus einer Abhandlung, die Blanchett zusammen mit Paul Kaplan von Morningstar verfasst hat, geht hervor, dass die Gesamtvermögensallokation, die Anlagewerte sowie Pensionen, Sozialleistungen und das Humankapital einer Person eine der Strategien ist, die Berater anwenden können, um die Einkommensströme ihrer Kunden im Ruhestand zu erhöhen.
Oder doch kein Bond?
Aber nicht alle Experten sind sich darin einig, dass die Rente als Anleihe zu behandeln ist. Rick Ferri, Gründer der US-Investmentfirma Portfolio Solutions, räumt ein, dass Sozialleistungen insofern einer Anleihe ähnlich seien, als sie regelmäßige inflationsbereinigte Barmittelströme versprechen. Allerdings habe die gesetzliche Rente kein Fälligkeitsdatum; die Zahlungen werden fortgeführt, solange der Anspruchsberechtigte lebt. Das macht die Sache höchst unsicher. Sozialleistungen bei frühzeitigem Tod seien weitaus weniger werthaltig als bei einem 95-Jährigen, der bereits 30 Jahre lang Rente beziehe, so Ferri.
Abhängig vom Rentenbeginn und der Lebensdauer weiche der Wert der Leistungen, die eine Person erhält, um mehrere hunderttausend US-Dollar ab, so Ferri. Das mache Sozialleistungen zu einem schwer zu bewertenden Vermögenswert, was es wiederum schwierig mache, die Rente mit einem bestimmten Prozentsatz in die Portfolioallokation einzubeziehen.
Die Festlegung des tatsächlichen Werts von Rentenleistungen wird durch die Gefahr von Leistungskürzungen für jüngere Generationen, wie es etwa in Deutschland bis zum Jahr 2030 zu erwarten ist, noch komplizierter. Wenn das Leistungsniveau gekürzt wird oder wenn für jüngere Begünstigte eine Bedürftigkeitsprüfung durchgeführt wird, könnte der Wert der Leistungen für diese Personen um einiges geringer ausfallen als vermutet.
Selbst aus einer fundamentaleren Sicht heraus sollten Sozialleistungen nach Ansicht von Kritikern nicht als Teil eines Rentenportfolios eines Anlegers betrachtet werden, da die Empfänger von Sozialleistungen nicht dasselbe Maß an Kontrolle hätten wie Inhaber anderer Vermögenswerte: Man kann weder das Fälligkeitsdatum noch den Zinssatz wählen, man kann nicht entscheiden, wie riskant dieser Einkommensstrom sein wird und somit eine höhere Risikoprämie erhalten, man kann seinen Einkommensstrom nicht (wie bei einem Wertpapiertausch) durch einen anderen ersetzen, man kann den Einkommensstrom nicht verkaufen, man kann keine Auszahlung einer Pauschalsumme beantragen und wenn man gestorben ist, fließt kein Kapital in den Nachlass ein (wie es bei Versicherungen der Fall ist).
Es gibt viele Umsetzungsfragen
Andere Finanzplaner argumentieren, dass einer der wichtigsten Gründe, die gesetzliche Rente nicht als Anleihe zu betrachten, etwas mit dem Thema Behavioural Finance zu tun habe, also mit der Verhaltenspsychologie. Einer der Hauptvorteile von Anleihen ist, dass sie als Gegengewicht für die riskanteren Segmente des Anlageportfolios dienen – Anleihen steigen üblicherweise oder verzeichnen zumindest keine so starken Kursverluste, wenn die Aktienkurse fallen. Dies wiederum trägt dazu bei, dass Anleger nicht panisch verkaufen, wenn ihre Aktienanlagen einbrechen, weil ihr Portfolio insgesamt relativ stabil durch die Krise kommt.
Anlegern, welche die künftigen oder aktuellen Rentenzahlungen als Teil ihrer Anleiheallokationen ansehen, fehlt dieses Gegengewicht. Zumindest optisch. Und das kann negative Konsequenzen haben. Der Finanzplaner Harold Evensky hebt diesen Punkt hervor: „Wenn man ein Vermögensallokationsmodell einsetzt und die Rente als Anleihe berücksichtigt, können die Finanzanlagen eine wesentlich größere Aktienallokation aufweisen. Intellektuell gesehen macht das zwar durchaus Sinn.“ Aber viele Anleger dürften sich in einer Krise nicht dadurch beruhigen, dass sie ihre künftigen Rentenansprüche gegen aktuelle Verlustpositionen auf der Aktienseite gegenrechnen; künftige Rentenströme sind physisch nun einmal nicht im Portfolio vorhanden, und bei Anlegern gilt im Zweifel das Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Deshalb mahnt auch unser Altersvorsorge Experte Blanchett, dass die Betrachtung der Bond-ähnlichen Merkmale von Rentenzahlungen nicht automatisch eine höhere Aktiengewichtung zur Folge haben muss. „Der Umstand, dass Rentenzahlungen einer Anleihe ähnlich sind, bedeutet nicht, dass man sein Portfolio aggressiver ausrichten sollte.
Vermutlich dürften viele Finanzplaner einen hybriden Ansatz anwenden. Wenngleich man die Rente nicht als Bestandteil der Bond-Quote betrachtet, wären dennoch höhere Aktiengewichtungen möglich. Finanzplaner können sich den Barwert der Sozialleistungen und Pensionen ansehen und überlegen, was die Person im Ruhestand benötigen könnte, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken. Würde ein ausreichend hoher Einkommensbedarf zur Deckung der Kosten ermittelt, wäre die Erhöhung der Aktienquote eine Option.
Doch diese nüchternen Überlegungen führen am Ende doch wieder zu Fragen wie den persönlichen Umständen der Investoren, zur Risikotragfähigkeit und den Risikopräferenzen. Pauschallösungen sind deshalb fehl am Platz - wohl aber die Erkenntnis, dass das eigene Portfolio keine Insel ist und auch andere Vermögenswerte, materielle und immaterielle vorhanden sind. Wer diesen gedanklichen Startpunkt erreicht hat, hat zumindest den ersten richtigen Schritt zur ganzheitlichen Betrachtung seiner Vermögenssituation gemacht.
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