Was bewegt einen Vermögensverwalter, der sich mit Aktien- oder Mischfonds typischerweise in der Mitte der Investmentwelt bewegt, in die Kryptowährung Bitcoin zu investieren? Ein Interview mit Dr. Hendrik Leber, Gründer und Gesellschafter des Vermögensverwalters Acatis.
Herr Dr. Leber, Sie setzen in einigen Acatis-Fonds auf die Kryptowährung Bitcoin. Im ACATIS Datini ValueFlex liegt das Gewicht eines Bitcoin-Tracker-Zertifikats bei rund 9,5 Prozent des Fondsvermögens, im ACATIS Value Performer sind es rund fünf Prozent. Wann sind Sie zur Erkenntnis gekommen, dass Kryptowährungen investierbar sind?
Ich befasse mich schon seit drei Jahren mit dem Thema Kryptowährungen. Zunächst wirklich nur ganz am Rande. Für mich war das zunächst nur freakig. Dann habe ich an der Frankfurter Uni einen Vortrag von Dr. Carsten Otto über Blockchain als Abrechnungsmedium gehört und war begeistert. Patrick Hable von 2iQ Research hat mir auch immer wieder das Thema Kryptowährungen nahegebracht und erklärt. Als ich dann vor gut einem Jahr auf Bitcoin-Zertifikate aufmerksam wurde, war das der letzte Schritt, der mich bewog, da einzusteigen.
Was war der Grund für Ihr Engagement?
Es gibt viele Gründe. Der wichtigste ist, dass ich auf der Suche nach einer Asset-Klasse war, die eine Art Schutzfunktion übernimmt für den Fall, dass unser Währungssystem aus dem Lot gerät oder die Finanzmärkte manipuliert werden. Gold kommt aus verschiedenen Gründen für mich nicht in Frage. Kryptowährungen sind für mich ein Goldersatz. Dahinter steckt eine ganz eigene Mechanik, es gibt ganz spezielle Korrelationen - das ist für mich eine echte Diversifikation! Und dass eine Währung keine Negativzinsen abwirft, ist doch auch schon mal ein guter Grund (lacht).
Was dem Bert Flossbach sein Gold, sind dem Hendrik Leber seine Bitcoins.
Genau.
Wann haben Sie das erste Mal in Bitcoin-Zertifikate investiert?
Ab Mitte Oktober 2016. Ich habe bei einem Bitcoin Kurs von 540 Euro gekauft und nach und nach die Position aufgebaut. Eingestiegen bin ich beim ACATIS Datini Valueflex mit einem Gewicht von drei Prozent.
Jetzt liegt der Bitcoin Kurs bei gut 11.500 Dollar. Haben sich bei Ihnen irgendwelche Parameter verschoben seit dem Einstieg, etwas, was Ihr Urteil zu der Kryptowährung verändert hätte?
Nein, die Investmentthese ist die gleiche geblieben. Meine Einschätzung zum Bitcoin hat sich allerdings schon etwas verschoben. Ich glaube nicht mehr, dass sich der Bitcoin zu einem Transaktionsmedium entwickeln wird. Ich vermute sehr stark, dass er eine Art Geldspeicher bleibt. Währungen sind immer auch Teil des Wirtschaftskreislaufs und des Bankensystems und damit ein Transaktionsmedium. Ich glaube, dass die Bitcoins zu gut sind, als dass sie für Transaktionen benutzt werden. Dafür wird es andere Kryptowährungen geben. Der Bitcoin wird meiner Meinung als Reservewährung fungieren und für Anleger eher eine Art Anlagewährung wie der Schweizer Franken oder die norwegische Krone sein als etwa eine Transaktionswährung wie Euro, Dollar oder Pfund.
Dass der Bitcoin keine Negativzinsen mit sich bringt, ist schön und gut, aber wenn der Kurs von heute auf morgen um 30 Prozent einbrechen kann, dann würde ich vielleicht doch lieber für die minus 0,4 Prozent pro Jahr optieren?
So gesehen vielleicht. Ich würde aber dagegenhalten, dass es sich beim Bitcoin wie auch bei den anderen Kryptowährungen noch um ein Asset-Baby handelt. Heute engagieren sich da nur Freaks. Systematisch werden Kryptowährungen noch nicht genutzt, das Thema ist längst noch nicht in der Allgemeinheit angekommen, weder in der Realwirtschaft, noch bei den Investoren. Aber das wird kommen, die ersten Bitcoin-Termingeschäfte werden bereits im Dezember initiiert, und irgendwann kommen auch die institutionellen Anleger zum Zug, die die Vorzüge von Kryptowährungen erkannt haben werden. Dann wird es ein seriöses Investment und eine stabile Anlageklasse.
Am Anfang stand der Gedanke im Vordergrund, den Bitcoin als stabilen Anker im Portfolio einzusetzen.
Ihr Engagement als Pionier in allen Ehren, aber der Bitcoin ist heute nur ein Zockerobjekt, und mir fällt es schwer zu sehen, wie sich das ändern könnte. Es gibt ein Limit von 21 Millionen Bitcoins, die es nach heutigem Stand maximal geben wird. Die Menge ist also knapp, was bedeutet, dass die Volatilität der Kursentwicklung eher noch weiter zunehmen wird, weil immer mehr Investoren einsteigen. Ich unterstelle einmal, dass Sie die Mechanik von geringem Angebot einerseits und steigender Nachfrage andererseits im Sinn hatten, als Sie eingestiegen sind.
Am Anfang stand der Gedanke im Vordergrund, den Bitcoin als stabilen Anker im Portfolio einzusetzen. Klar, ich hatte schon im Blick, dass es sich beim Bitcoin um ein knappes Gut handelt und er im Wert steigen kann. Vor einem Jahr war kaum jemand engagiert, heute ist es vielleicht ein Prozent der Investorenschaft, und wenn die Entwicklung so weitergeht, kann sich der Bitcoin-Kurs vielleicht verfünfzigfachen. Aber dass der Kurs in so kurzer Zeit so stark steigen würde, konnte ich im Herbst 2016 nicht erahnen. Natürlich nehme ich das gerne mit, aber ich verkaufe auch laufend in den steigenden Kurs hinein. Ich wäre mit einem Plus von fünf oder zehn Prozent absolut zufrieden gewesen.
Ich frage anders herum: Wäre der Bitcoin-Kurs seit Ihrem Einstieg im Oktober 2016 nicht von rund 600 auf heute 11.500 Dollar gestiegen, sondern auf sechs Dollar gefallen, hätten Sie dann im Umkehrschluss laufend die Position aufgestockt?
Das ist eine gute Frage. Ich denke nicht, denn ein derartiger Absturz wäre vermutlich dann passiert, wenn der Bitcoin einen grundlegenden Konstruktionsfehler hätte oder wenn er von Kriminellen in großem Stil missbraucht worden wäre. Das ist nicht zu beobachten. Beim Bitcoin ist die Governance entscheidend, und die scheint in Ordnung zu sein. Wäre das nicht der Fall, wäre ich schon längst nicht mehr dabei.
Es gab schon Probleme mit der Governance. 2014 kamen der damals größten Bitcoin-Börse, Mt. Gox, 650.000 Bitcoins abhanden, und 2016 wurden 120.000 Bitcoins an der Hongkonger Börse Bitfinex gestohlen. So ganz sauber ist die Bitcoin-Bilanz dann doch nicht.
Stellen Sie sich vor, es sind auch schon mal Gold und Bargeld geklaut worden.
Das schon, aber bei einer völlig neuen Technologie, einem, nach Ihren Worten, Asset-Baby, schüren solche Missbrauchsmeldungen doch das Unwohlsein von Bürgern. Gleichzeitig treiben Zocker diese Währung nach oben. Hinter dem Bitcoin steht keine zentrale Instanz, wie etwa eine Notenbank, sondern eine diffuse bis obskure Software-Community.
Das Dezentrale ist ja gerade seine konstitutive Stärke! Und obskur ist das Ganze nicht. Man kann im Internet nachvollziehen, was passiert, man sieht, welche Rechner mit welchen Protokollen arbeiten, wie abgestimmt wurde über neue Business Improvement Protokolle. Es handelt sich um einen Marktplatz der Ideen, in dem Entwickler ihre Arbeit der Community vorstellen, Anhänger sich über neue Protokolle ihre Meinung bilden und das transparent machen. Das hat was von einer Demokratie. Bei der Europäischen Zentralbank haben wir doch dagegen null Demokratie! Ich ziehe einen Mechanismus, den ich einigermaßen nachvollziehen kann, einem Herrn Draghi vor, der wie ein Diktator agiert und Regeln bricht, die vorher vereinbart waren. Da ist die Bitcoin-Community regeltreuer!
Kommen wir zum Portfoliokontext. Sie haben Korrelations- und Diversifikationsgründe für Ihr Bitcoin-Investment aufgeführt. Ich habe kein Gefühl dafür, wie es sich mit dem Bitcoin im Portfoliokontext verhält. Mit einer so kurzen Historie kann die Korrelation zum Aktienmarkt doch nur hoch gewesen sein, es ist ja alles in den vergangenen Jahren gestiegen. Was soll der Bitcoin eigentlich diversifizieren?
Es ist tatsächlich in den vergangenen Jahren alles gestiegen, und die Korrelation des Bitcoins mit Aktien ist so gesehen hoch. Aber wenn ich die Tagesverläufe der Kurse vergleiche, dann hat das, was bei Kryptowährungen passiert, ursächlich nichts mit den Treibern der Aktienmarktbewegungen zu tun. Der Kursentwicklung der Kryptowährungen liegen ganz andere Mechanismen zugrunde. Darum ist es eine echte Diversifikation.
Gold ist in einem Willkürsystem nicht sicher. An Bitcoins kommt keiner ran. Der Besitzer hat den Code und kann jederzeit über sie verfügen.
Mir fehlt noch die Phantasie, wie es sich perspektivisch mit dem Bitcoin und anderen Kryptowährungen entwickeln wird. Dass der Bitcoin eine Art Geldspeicher ist, verstehe ich noch. Aber irgendwo hört die Analogie zu Währungen auf, die eine Funktion im Wirtschaftskreislauf haben.
Zunächst einmal würde ich die Reservefunktion des Bitcoins als höchst bedeutsam einschätzen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten in den letzten 10, 20 Jahren in Venezuela oder Argentinien gelebt und miterlebt, wie verschiedene Regierungen die Wirtschaft und somit auch Ihren Wohlstand mutwillig kaputtmachen. Wie schützen Sie Ihr Vermögen? Bei Gold wäre ich skeptisch, oder können Sie ausschließen, dass staatskriminelle Elemente in einem Willkürsystem nicht auch an Ihr Gold im Bank-Safe herankommen? An Bitcoins kommt keiner ran. Der Besitzer hat den Code und kann jederzeit über seine Bitcoins verfügen. Die sind vor staatlicher Willkür geschützt. Das macht Kryptowährungen zutiefst demokratisch und schützenswert!
Gut, aus dieser Warte schon. Aber Vertrauen ist doch das wichtigste Kapital einer Währung. In der jetzigen Situation, ist der Markt von Glücksrittern dominiert. Zocker und naive Privatinvestoren steigen ein, viele vermutlich ohne zu wissen, was sie tun. Was sich in zehn Monaten verzehnfacht, kann sich auch mal in zehn Tagen halbieren. Das erinnert mich an den Neue-Markt Hype oder die Tulpenmanie in Holland im 18 Jahrhundert.
Da widerspreche ich nur teilweise. Es gibt heute wirklich einen Hype um den Bitcoin. Das merke ich auch an den Anrufen von obskuren Leuten, die mit mir Geschäfte machen wollen. Sowas brauche ich nicht. Ich habe auch nichts dagegen, dass sich der Kurs halbiert. Aber der Bitcoin ist keine Luftnummer. Gehen wir die Sache mit den Tulpenzwiebeln und dem Neuen Markt doch noch mal durch. Tulpen waren damals wie heute Teil der Blumenindustrie in den Niederlanden. Das hat damals mit sehr hochwertigen Zuchttulpenzwiebeln angefangen. Jetzt kann man sagen, die waren um den Faktor zehn zu teuer. Mag sein. Die viel zu hohen Erwartungen an das, was man mit diesen wunderbaren Tulpen machen konnte, haben dazu geführt, dass da zu viel abdiskontiert wurde. Aber die Sache hatte schon eine ökonomische Grundlage. Genau wie am Neuen Markt. Wenn ich mir die Dotcom-Blase vergegenwärtige, dann war ein großer Teil des Problems, dass viele Leute auf die falschen Pferde gesetzt haben. Aber einige Pferde, wie Google, Amazon, Oracle oder Microsoft, haben einen realen Platz im Markt erobert oder sind größer als damals. Und jetzt komme ich auf die Kryptowährungen zurück: Der Markt kann sich nochmal verzehnfachen oder verfünfzigfachen. Die wichtige Frage ist doch, ob ich mit dem Bitcoin auf das richtige Pferd gesetzt habe. Ich vermute es sehr stark, aber wissen kann ich das natürlich nicht. Einige Kryptowährungen werden scheitern, beim Bitcoin bin ich optimistisch.
Mir fehlt immer noch die Perspektive. Wie sieht die Welt der Kryptowährungen in zehn Jahren aus? Werden Spekulanten weiter munter eine Reservewährung nach oben und nach unten jazzen können? Nehmen wir an, ich kaufe mir einen Bitcoin für dann 100.000 Euro, will damit eine Anzahlung für ein Haus leisten, und am Tag, an dem ich zur Bank gehe, ist das Ding nur noch 50.000 Euro wert. So entsteht kein Vertrauen.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Welt der Kryptowährungen in zehn Jahren ungleich stabiler und reifer sein wird, als das heute der Fall ist. Zum einen glaube ich, dass Arbitrageure am Finanzmarkt dazu beitragen werden, dass sich die Kurse stabilisieren. Kryptowährungen wären dann ein fester Bestandteil der Kapitalmärkte und wäre somit berechenbarer. Hedgefonds und andere aktive Investoren werden ihre Hausarbeiten machen und durch ihr Handeln werden sich die Kurse der Kryptowährungen auf normale Niveaus einpendeln. Um so weit zu kommen, müssen Kryptowährungen aber offiziell als Anlageinstrument zugelassen werden. Zum anderen könnte ich mir vorstellen, dass Kryptowährungen in das Geldsystem integriert werden. Es wird, wie erwähnt, einige hochwertige Geldspeicher wie den Bitcoin geben. Und dann wird es verschiedene industrielle Kryptowährungen geben, die von Firmen wie IBM oder Microsoft betrieben werden, um Transaktionen abzubilden. Auch Institutionen wie die Weltbank könnten Kryptowährungen begeben, etwa um den Handel in bestimmten Regionen zu erleichtern. Übrigens gibt es schon Ansätze, die Blockchain-Technologie in der Praxis zu nutzen. Im Nahen Osten läuft beispielsweise ein Pilotprojekt, mit dem syrische Flüchtlinge in Camps per Iris-Scan und Blockchain für Einkäufe bezahlen. Ein schlagendes Argument für Blockchain ist übrigens auch, dass die Transaktionskosten auf null gesenkt werden können. Heute zahlt man für Geldtransfers auf dem klassischen Weg über Banken und Finanzdienstleister Kommissionen von bis zu 15 Prozent.
Was könnte grundsätzlich schiefgehen?
Denkbar wäre, dass die Sicherheit von Kryptowährungen irgendwann in Frage gestellt werden könnte. Vielleicht werden Quantencomputer in der Zukunft in der Lage sein, die Bitcoin-Technologie zu knacken. So weit ist es noch nicht, aber da muss man wachsam sein.
Die Fragen stellte Ali Masarwah
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