Was haben zahlreiche Fondsanleger in Deutschland mit Vladimir Bogdanow, Oleg Deripaska und Suleiman Kerimow gemein? Sie werden ebenfalls von den Folgen der jüngst verhängten US-Sanktionen gegen Russland in Mitleidenschaft gezogen. Bogdanow, Mitinhaber von Surgutneftegas, dem viertgrößten russischen Ölproduzenten, der Industriemagnat Deripaska, dessen Holding Basic Element zahlreiche russische Unternehmen kontrolliert, und Kerimow, Inhaber des größten russischen Goldminenbetreibers Polyus, stehen alle auf der Sanktionsliste der USA, die am Freitag vergangener Woche veröffentlicht wurde.
Das in den USA angelegte Vermögen dieser so genannten Oligarchen, die allesamt beste Verbindungen zum Kreml haben, wird eingefroren, und, noch wichtiger, US-Unternehmen werden Geschäfte mit diesen Personen (und deren Firmen) untersagt. Insgesamt wurden derartige Sanktionen gegen vier weitere russische Geschäftsleute sowie 17 Regierungsmitglieder verhängt.
Diese Maßnahmen gelten als eher unspezifische Reaktion auf die „böswilligen“Aktivitäten Moskaus, zu denen man die Einverleibung der Krim, die Teilnahme am Syrien-Krieg sowie die Beeinflussung der US-Wahlen zählen kann. Und sie verfehlten ihre Wirkung nicht: Der russische Aktienmarkt sowie der Rubelkurs brachen am gestrigen Montag ein. Der auf Rubel lautende Aktienindex RTS verlor (in Euro umgerechnet) gut zwölf Prozent. Hier kommen nun etliche Fondsanleger in Deutschland ins Spiel, die über Fonds russische Aktien halten, und zwar in größerem Umfang, als sie es vielleicht denken.
Russische Aktien sind eine vernachlässigbare Größe. Eigentlich…
Bevor wir in die Details einsteigen müssen wir jedoch die grundsätzliche Relevanz des russischen Aktienmarkts für Anleger hierzulande erläutern. Zunächst eine prinzipielle Entwarnung: Russland ist für die meisten Fondsanleger irrelevant. Man muss wissen, dass der russische Aktienmarkt nicht Bestandteil des Anlage-Universums der Industrieländer ist. In Leitindizes wie dem MSCI World oder FTSE World haben russische Aktien keinen Platz.
Auch für breit gestreute Schwellenländer-Portfolios dürfte der Schaden überschaubar sein, auch wenn hier russische Aktien natürlich mit von der Partie sind. Spätestens seitdem der russische Markt (und der Rubel) 2014 im Zuge der Krim-Invasion und des Verfalls des Ölpreises kräftig verlor, sind russische Aktien kein besonders bedeutender Bestandteil der globalen Schwellenländer-Indizes mehr - maximal fünf Prozent des Gewichts vom MSCI Emerging Markets bzw. FTSE Emerging besteht aus russischen Aktien. Und selbst bei den ungleich stärker konzentrierten BRIC-Indizes machen Russland-Aktien zumeist rund nur acht Prozent aus. (Für jüngere Leser: Die BRIC-Story war eine der vielen Marketing-Stories, mit denen die Investmentindustrie während des Rohstoff-Superzyklus‘ zu Beginn des Millenniums Anleger und möglicherweise auch sich selbst glücklich machen wollte; zumindest Letzteres dürfte ganz gut gelungen sein.)
Wo könnten russische Aktien also Fonds-Investoren eine böse Überraschung bereiten? Fangen wir mit Regionenfonds an. Möglicherweise ist es eine Neuigkeit für einige Investoren, die auf die aufstrebenden mitteleuropäischen Länder gesetzt haben, dass ihr Anlageuniversum weniger aus polnischen, tschechischen oder ungarischen Unternehmen besteht, sondern zu rund zweidritteln aus russischen Aktien. Das gilt für alle Fonds der Morningstar Fondskategorie „Emerging Europe“. Hier handelt es sich faktisch um verkappte Russland-Fonds.
Überraschend dürfte für Anleger auch die Tatsache sein, dass sich das so genannte EMEA-Universum (EMEA steht für Europe, Middle East, Africa) zu rund einem Viertel aus Russland-Titeln zusammensetzt. EMEA-Aktienfonds dürften also ebenfalls in erheblichem Maße vom Russland-Crash getroffen worden sein.
… aber Russland-Aktien waren Perlen für so manchen Dividenden-Taucher
Doch diese Märkte sind für die meisten Anleger Hierzulande eher Randbereiche. Doch Russland-Aktien dürften in zwei Themenbereichen relevant sein: in Dividendenfonds und in so genannten „Off-Benchmark-Wetten“ aktiv verwalteter Fonds. Beide Themenkreise überschneiden sich, sind aber dennoch zunächst gedanklich zu trennen.
Stichwort Dividendenfonds: Geht es um Dividendenfonds für Schwellenländer, spielen russische Aktien in einer ganz anderen Liga, als es die Mini-Gewichtung im MSCI Emerging Markets und FTSE Emerging Markets vermuten lässt. Vor allem bei Dividenden-Indexfonds kommen russische Aktien mit Macht ins Spiel. Der Grund: Die Dividendenrendite steht bei den meisten Dividenden-Indizes als Konstruktionsprinzip Pate. Man muss wissen, dass russische Aktien schon seit Jahren – vermutlich nicht zu Unrecht – günstig bewertet sind. Das treibt die Dividendenrenditen und spült deshalb russische Aktien in derartige Indizes. Diese landen dann etwa im iShares EM Dividend ETF, der den Index DJ Emerging Markets Select Dividend abbildet, der zu rund 15 Prozent aus Russland-Aktien besteht. Beim PowerShares FTSE Emerging Markets High Dividend Low Volatility (sic!) sind es sogar gut 16 Prozent. Index-Investoren sollten sich also nicht auf blendende Dividenden-Stories und Stichworte wie „Low Volatility“ einlassen, ohne vorher gründlich geprüft zu haben, ob nicht unvermutete Wölfe in den Schafspelzen auf sie lauern.
Die unteren Tabellen führen die Produkte mit den aktuellsten uns zur Verfügung stehenden Portfolio-Daten auf, die signifikant in russische Aktien investieren. Neben dem Fondsnamen finden Sie die ISIN, die Morningstar Kategorie sowie das Gewicht russischer Aktien. Kommen wir zunächst zu den Indexfonds.
Tabelle: Indexfonds für Schwellenländer mit hoher Russland-Gewichtung
Auch aktiv verwaltete globale Dividendenfonds haben diesbezüglich ihre Tücken, denn auch wenn der Anteil an Russland-Aktien hier generell bei unter fünf Prozent liegt, so handelt es sich hier um Off-Benchmark-Wetten, da russische Aktien in den Benchmarks von Dividendenfonds, etwa im MSCI World High Dividend Yield, nicht vertreten sind. Im Schnitt sind rund zwei Prozent des Fondsvermögens der in Europa beheimateten globalen Dividendenfonds in Russland-Aktien investiert. Beim ABAKUS World Dividend und dem Schroder ISF Global Equity Yield machen Russland-Aktien sogar jeweils rund vier Prozent aus.
Aktiv verwaltete Fonds setzen gerne auf die Value-Story Russland
Doch es kommt noch dicker. Neben Dividendenfonds investieren die Manager aktiv verwalteter Fonds in russische Aktien stärker, als man es vermuten sollte. Bei globalen und regionalen Schwellenländer-Indizes handelt es sich um Beimischungen. Die untere Tabelle führt die aktiv verwalteten Schwellenländerfonds auf, die zum Zeitpunkt der Portfolio-Lieferung signifikant in Russland übergewichtet waren. Zur Erinnerung: In den globalen Benchmarks von MSCI und FTSE sind Russland-Aktien mit maximal fünf Prozent gewichtet.
Tabelle: Aktiv verwaltete Schwellenländerfonds mit hohem Russland-Anteil
Anders sieht es bei Fonds aus, deren Anlageschwerpunkt nicht in den Schwellenländern liegt. In der unteren Tabelle finden sich Fonds aus Kategorien, bei denen Russland-Aktien nicht zum Anlageuniversum gehören. Wenn also der Fonds FT Argonaut European Alpha zu knapp 16 Prozent in Russland-Aktien investiert, dann handelt es sich um eine höchst signifikante „Off-Benchmark-Wette“; hier handelt es sich also um Exkursionen außerhalb des eigentlichen Anlageuniversums. Das gilt auch für die anderen Fonds der unteren Tabelle.
Tabelle: Aktive Fonds, Off-Benchmark in Russland unterwegs
Die Gründe für das Engagement der aktiv verwalteten Fonds in Russland sind mannigfaltig. Neben der tatsächlichen oder vermeintlichen Dividendenqualität locken die – wiederum: tatsächlichen oder vermeintlichen - Schnäppchenpreise russischer Unternehmen. Etliche Value-Fonds sind entsprechend in Russland fündig geworden. Hinzu kommen Fonds, die einen Fokus auf Rohstoff- bzw. Energieaktien legen. Hier kommen ebenfalls russische Aktien gelegentlich ins Spiel. Aber, wohlgemerkt, nicht in den Kategorie-Indizes, welche die Anlageuniversen der Fonds widerspiegeln.
Fazit
Zum Schluss in Kürze eine Antwort auf die Frage, ob Off-Benchmark-Wetten in einem einzigen, aktuell höchst problematischen Markt, eine gute oder schlechte Sache ist. Auch wenn Kategorien wie „gut“ und „böse“ schwer zu bewerten sind, würden wir die hohen Russlandgewichtungen dann für legitim halten, wenn sie Anlegern gut kommuniziert werden und hinter dem Kauf russischer Aktien eine klare Strategie steht, die Chancen und Risiken abwägt. Value-Investoren haben in einem Punkt Recht: Egal, wie schlecht die fundamentalen Aussichten eines Marktes sind, ab einem bestimmten Zeitpunkt lohnt sich der Einstieg für mutige Value-Anleger. Diesen Bewertungszeitpunkt richtig zu taxieren, ist die hohe Kunst des Value-Investings.
Allerdings müssen Fondsmanager beherzigen, dass es sich im Falle Russlands um einen besonders schwierigen Markt handelt: Um die Corporate Governance von russischen Unternehmen dürfte es auch im Vergleich zu anderen Schwellenländern sehr schlecht bestellt sein, und es ist durchaus berechtigt, sich ernsthafte Sorgen um sein investiertes Kapital zu machen, wenn man in russische Unternehmen investiert. Die Zerschlagung des zeitweilig größten russischen Gas- und Ölkonzerns Yukos vor rund 15 Jahren und die Enteignung (auch westlicher) Anleger ist nur das prominenteste Beispiel der Missachtung von Aktionärsrechten durch den russischen Staat - es lohnt sich noch immer, die Zusammenfassung zum Yukos-Schiedsverfahren nachzulesen, das nach wie vor auf seine Vollstreckung wartet.
Auch die grassierende Korruption in Russland sollte Anleger vorsichtig stimmen: Im globalen Korruptionsindex von Transparency International belegt Russland aktuell Platz 135 von 180 und ist damit auf einer Stufe mit der Dominikanischen Republik, Honduras, Kirgistan und Laos. Für die Zusammensetzung des Index zählen die Kriterien Pressefreiheit, Vertrauenswürdigkeit von Beamten, judikative Unabhängigkeit sowie Transparenz des Staatshaushalts.
Übrigens spricht nichts dafür, dass sich die Lage in Russland verbessern wird. Denn das heutige politische und wirtschaftliche System ist nachgerade auf Korruption und Vetternwirtschaft angelegt. Staatliche Willkür gehört zum Wesen des derzeitigen Regimes, in dessen Zentrum der russische Präsident Wladimir Putin steht. Die Osteuropawissenschaftlerin Karen Dawisha spricht in einer sehr lesenswerten Abhandlung von „Putins Kleptokratie“. Fondsinvestoren und auch Fondsmanagern sei dieses Buch jedenfalls wärmstens empfohlen, bevor sie sich frohgemut auf eine vermeintliche „Value-Story“ einlassen.
Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.