Marc Renaud ist einer der wenigen Fondsmanager am europäischen Markt, die einen dezidiert antizyklischen Value-Stil pflegen. Er ist ein sogenannter "Contrarian". Der Value-Purist gründete im Jahr 2008 den bankenunabhängigen Asset Manager Mandarine Gestion, was man getrost auch als antizyklischen Akt bezeichnen könnte. Heute verwaltet das Pariser Haus rund vier Milliarden Euro vorwiegend in Aktienfonds. Renaud managt den Europa-Fonds Mandarine Valeur, der Anlegern regelmäßig Berg- und Talfahrten ermöglicht, aber vor allem dann zur Stelle ist, wenn die Segmente an der Börse laufen, die keinerlei Glamour haben und die typischerweise in Momentum-Zeiten links liegen gelassen werden.
Herr Renaud, zehn Jahre nach Lehman ergehen sich Investoren und Beobachter in der Spekulation darüber, was wohl die Ursache der nächsten Krise sein wird. Wo sehen Sie die größten Risiken?
Das Besondere an der nächsten Krise wird sein, dass man sie nicht kommen sehen wird. Die Situation in Italien, der Aufstieg des Populismus weltweit, ein möglicher Handelskrieg, es gibt viele Risiken, aber die hat es eigentlich schon immer gegeben. Ich persönlich halte die Frage, ob wir aus dem Nullzins-Umfeld ohne große Krise rauskommen werden, für die spannendste. Klar ist, dass wir eine Normalisierung bei den Zinsen brauchen, denn in der heutigen Situation werden die Preise für Assets, seien es Aktien, Immobilien oder Bonds, systematisch verzerrt.
In die Richtung geht es doch: Die US-Notenbank ist mitten im Zinserhöhungszyklus, und bei der EZB stehen nach dem derzeitigen Stand in der zweiten Jahreshälfte die ersten Zinsschritte an.
… Ihr Wort in Gottes Ohr, aber wenn ich mir die abflachende Zinsstrukturkurve in den USA anschaue, dann könnte es ebenso gut sein, dass das Wachstum abbricht und die Wirtschaft in eine Rezession fällt.
Die Zinskurve spiegelt die Erwartungen des Marktes wider. Ob es auch so kommen wird, wissen wir nicht.
Mag sein. Was ich damit sagen will: Die Zinsen könnten, ausgehend von den USA weltweit steigen, aber das halte ich noch nicht für eine ausgemachte Sache. Gibt es einen Rückschlag in den USA, dann wird die EZB nicht in der Position sein, die Zinsen zu erhöhen.
Dann werden also die Notenbanken durch eine erneut gelockerte Geldpolitik dafür sorgen, dass die Asset-Preise noch weiter steigen.
Ja, möglicherweise wird es weiter für Wachstumsaktien gut laufen, für die Anleger anscheinend bereit sind, auch die absurdesten Preise zu zahlen. Und defensive Aktien könnten in dem Fall weiter als Bond-Ersatz auch weiter profitieren.
Keine guten Aussichten für Ihre Favoriten also. Auch nach zehn schwachen Value-Jahren ist also das Ende der Fahnenstange nicht abzusehen.
Acht Jahre, bitte! Zwei Jahre, 2009 und 2016, waren sehr gute Jahre für Value-Investoren, aber Sie haben Recht: Für Value-Manager wie mich war die Zeit seit der Finanzkrise hart. Es gibt auch gar nicht mehr so viele von uns. Und es ist leider nicht ausgemachte Sache, dass Value zurückkommt, nur weil es so lange so schlecht gelaufen ist. Aber wissen Sie was: Ich glaube an die Rückkehr zum langfristigen Mittel (englisch: Reversion to the Mean), und langfristig sieht die Performance-Bilanz von Value noch besser aus als die von Growth.
Was könnte Ihrer Meinung nach der Anlass für eine Neubewertung von Value sein?
Es gibt seit einigen Wochen Anzeichen dafür, dass die Löhne in den USA endlich steigen. Wir haben seit einiger Zeit einen sehr engen Arbeitsmarkt in den USA, Deutschland und Großbritannien. Spiegelt sich die Vollbeschäftigung irgendwann auch in der Lohnentwicklung wider, dann werden wir eine Reflationierung des Systems bekommen, und dann sind die Notenbanken gefragt.
Der Mandarine Valeur ist aktuell deutlich übergewichtet bei Rohstoffen, Telecoms und auch bei Banken, die alle günstig bewertet sind. Auffällig ist aber, dass der Autosektor bei Ihnen nicht stark vertreten ist, obwohl er noch billiger ist.
Ich investiere nicht in eine Aktie, nur weil sie billig ist. Die Automobilbranche ist aus guten Gründen günstig bewertet, denn ihr stehen gravierende Veränderungen ins Haus. Neben den regulatorischen Problemen rund um den Dieselskandal zeichnet sich bei den künftigen Generationen ein verändertes Konsumverhalten ab. Die junge Generation ist viel weniger autovernarrt als Leute wie Sie und ich. Da geht es nicht darum, ein Auto zu besitzen, sondern es zu benutzen, wenn man es braucht. Die so genannte Sharing Economy wird die Autobranche verändern. In so einer Situation muss ich nicht dabei sein.
Zu den neuen Trends zählt auch das Thema Nachhaltigkeit, und unter dem Aspekt erscheint der Rohstoffsektor ziemlich altbacken.
Das stimmt. Aber ich sehe bei Rohstoffaktien trotzdem große Chancen. Die Branche ist durch eine sehr tiefe Krise gegangen, die Kosten wurden signifikant gesenkt, die Bilanzen umfassend saniert. Das gilt auch für Banken, die ich in diesem Jahr deutlich aufgestockt habe. In beiden Branchen sind die Bewertungen sehr günstig, und auch die Dividendenrenditen sind hoch. Letzteres ist übrigens auch ein Grund, warum ich Telekomaktien übergewichtet habe. Ich mag Telecoms eigentlich nicht, weil sich die Anbieter nur über einen ruinösen Preiskampf voneinander differenzieren können. Aber auch hier war die Underperformance so massiv, dass sich Chancen ergeben – zumindest werden aber Telecoms infolge der hohen Dividendenrenditen und der günstigen Bewertungen ein stabiles, defensives Element im Portfolio sein. Und ein bisschen M&A Phantasie ist da schon auch im Spiel, etwa bei Vodafone, wo eine Zerschlagung möglich erscheint.
Technologie-Aktien werden von ETF-Flows getrieben. Das bedeutet, dass da überhaupt nicht mehr differenziert wird und jede Menge Schrott-Firmen mit Kapital überschüttet werden.
Schaut man sich prominente Investoren wie Warren Buffett an, die ihre Karriere als klassische Value-Anleger begannen, dann stellt man fest, dass sie sich weiterentwickelt haben. Buffett setzt heute sehr stark auf das Moat-Konzept. Er investiert in Unternehmen, die große Wettbewerbsvorteile aufweisen, was den reinen bewertungsgetriebenen Ansatz relativiert. Er investiert heute in Namen wie Apple, also Unternehmen, die man in Ihren Fonds nicht findet.
Auch wenn ich in amerikanische Unternehmen investieren würde, was ich als Europafonds-Manager nicht kann, würde ich nicht Apple kaufen. Ein Unternehmen, das fast vollständig von einem Produkt, dem iPhone, abhängig ist, ist mir zu unsicher. Zumal die Wachstums-Story davon abhängt, dass man alle sechs Monate ein neues Premium-Produkt zu höheren Preisen als beim Vorläufermodell auf den Markt bringt. Aber damit sie mich nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen Technologie-Aktien. Ich hatte sie 2009 übergewichtet, als sie sehr günstig waren. Heute sind Technologie-Aktien aber vollkommen überbewertet. Es ist eine pure Momentum-Geschichte, die von ETF-Flows getrieben wird. Das bedeutet, dass da überhaupt nicht mehr differenziert wird, da werden jede Menge Schrott-Firmen mit Kapital überschüttet. Das ist für mich ein zentrales Merkmal einer spekulativen Blase. In Europa sind es vor allem die Hersteller von Luxuskonsumgütern, die ähnlich absurd wie Tech-Aktien in den USA bewertet sind. Es ist mir aber viel lieber, in ein günstig bewertetes Rohstoffunternehmen wie Glencore zu investieren als in LVMH, wo ein sehr hohes Wachstum im heutigen Aktienkurs eingepreist ist.
Dann halten wir fest, dass Marc Renaud nicht zum Moat-Investor mutieren wird, der also nicht nach und nach von Value- hin zu Quality-Investments gehen wird.
Ich bin und bleibe ein Contrarian Value-Investor. Die vergangenen Jahre waren wirtschaftlich übrigens nicht nur schrecklich, wir haben noch immer über eine Milliarde Euro in unserer Value-Strategie. Viele Anleger mögen Value zwar nicht, investieren aber dennoch in unseren Fonds, weil sie der vermeintlich ewigen Growth-Story nicht trauen. Seien Sie versichert, dass ich zur Stelle sein werde, wenn Value-Aktien zum Comeback abheben.
Die Fragen stellte Ali Masarwah
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