Die Folgen der Ausbreitung des Corona-Virus manifestierten sich am europäischen ETF-Markt als Erdrutsch. Anleger suchten in Scharen das Weite und gaben ETF-Anteile im Wert von 21,9 Milliarden Euro zurück. Dies war ein Negativrekord für eine Branche, die sich daran gewöhnt hat, seit ihrer Gründung vor zwei Jahrzehnten fast ununterbrochen nur Erfolgserlebnisse zu feiern.
Bereinigt man diese Zahl um die Zuflüsse von 2,2 Milliarden Euro in Geldmarkt-ETFs, fielen die Absatzzahlen mit einem Minus von 24 Milliarden Euro aus Langfrist-Fondskategorien noch höher aus. Aktien-ETFs gaben absolut gesehen mit 13,1 Milliarden Euro am meisten ab, dicht gefolgt von Anleihe-ETFs, die Mittealbflüsse in Höhe von 13,0 Milliarden Euro sahen.
Während Aktien-ETFs im März damit 2,3 Prozent ihres per Ende Februar verwalteten Vermögens durch Abflüsse verloren, wog der Verlust bei Anleihe-ETFs relativ zu ihrer Größe noch schwerer: Sie verloren in einem Monat 5,3 Prozent ihres verwalteten Vermögens durch Abflüsse. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, aber das Phänomen wird dadurch erklärlich, dass Renten-ETFs eben längst nicht nur die sicheren Häfen der Staatsanleihen abbilden, sondern Investoren auch Zugang zu riskanten Investments bieten, etwa Unternehmensanleihen, einschließlich Hochzins-Anleihen, sowie Schwellenländer-Anleihen. Hier stimmten Anleger in großem Stil mit den Füßen ab.
Selbst in den dunkelsten Tagen der globalen Finanzkrise von 2008 und auch während des Höhepunktes der Schuldenkrise der Eurozone 2001 wurden nicht annähernd so hohe Liquidationen notiert. Für ein wenig Kontext: Das bisherige Tief betrug 8,3 Milliarden Euro an Abflüssen im August 2019, als schwache Wirtschaftsindikatoren und eine Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China Anleger nervös machten.
Grafik: Monatliche Mittelflüsse in ETFs in Europa
Für die ETF-Industrie ist der Rückgang beim verwalteten Vermögen gravierender zu beurteilen als die Mittelabflüsse. Die ETF-Bestände verzeichneten einen Rückgang in einem Monat um 13 Prozent, und zwar von 899 Milliarden Euro im Februar auf 781 Milliarden Euro im März. Das ist ein Rückgang um 117 Milliarden Euro. Bereinigt man diese Zahl um die Nettoabflüsse verbleiben Kapitalverluste in Höhe von etwas mehr als 95 Milliarden Euro. Diese Zahl ist für Anleger am schmerzlichsten.
Indes mutet der Rückgang beim verwalteten ETF-Vermögen nicht ganz so dramatisch an, wenn man bedenkt, dass die ETF-Branche per Ende März dort stand, wo sie im Juni 2019 war.
Grafik: Entwicklung des ETF-Vermögens seit Anfang 2019
Prozyklisches Risikomanagement verbannt Anleger aus Aktien-ETFs
Das zieht die Frage nach dem „Who Dunnit?“ nach sich. Fest steht, dass ETFs noch immer vorwiegend als Asset Allocation Bausteine durch institutionelle Investoren genutzt werden, auch wenn sie bei Privatanlegern wegen ihrer günstigen Kosten, ihrer stabilen Portfolios und der zumeist breiten Diversifikation zunehmend beliebter geworden sind in den vergangenen Jahren.
Es dürften in erster Linie Vermögensverwaltungen von Banken und auch Dachfonds gewesen sein, die vom Risk-on Modus per Ende Februar auf Risk-off im Laufe des März umgeschaltet haben. Beispielhaft hierfür dürfte das Wealth Management der Schweizer UBS stehen: Hier wurden typische Risiko-Bausteine, etwa ETFs auf den MSCI ACWI Index und ein ETF auf den MSCI Emerging Markets, in großem Stil abgestoßen und im Gegenzug (aktiv verwaltete) Rentenfonds gekauft.
Auch Robo-Advisor, die typische prozyklische Risikomanagement-Systeme betreiben, etwa Scalable, der Marktführer in Deutschland, und auf ETFs setzen, dürften hier ihre Finger im Spiel gehabt haben, wie auch Riester-Renten, bei denen die Anbieter zur Sicherung der Garantie in volatilen Marktphasen umschichten; auch sie zählten zu den Verkäufern. Fest steht, dass, zumindest nach dem heutigen Stand, diese prozyklisch Umschichtung zur Unzeit kam, da Verluste realisiert wurden und Kunden – mit großer Sicherheit – nicht an der nachfolgenden Erholung, die sich bei manchen Indizes auf bis zu 30 Prozent in wenigen Wochen belief, teilhaben konnten. Wegen des recht kleinen Vermögens dürfte der Effekt bei Robos und Rister-Renten eher klein gewesen sein, bei den Vermögensverwaltungen der Banken dagegen umso größer.
Anzeichen für eine Erholung?
Kamen die Gelder nach dem Einbruch im März wieder? Erste Analysen der wöchentlichen Mittelflüsse von ETFs deuten darauf hin, dass die Anleger in der Schlussphase im März und Anfang April wieder eine etwas mutigere Haltung eingenommen haben und zaghaft investierten (siehe unten). Hier dürften Investoren auf die Flut von unterstützenden geldpolitischen und fiskalischen Maßnahmen in den USA und Europa reagiert haben. Allerdings war dieser Effekt gering, verglichen mit den Abflüssen im Verlaufe des März.
Grafik: Die wöchentlichen ETF-Mittelflüsse bis Anfang April
Schnäppchen-Jäger bei deutschen Aktien-ETFs unterwegs
Kommen wir nun zur Frage, aus welchen Fondskategorien besonders viel Geld abgezogen wurde. Hier standen die großen Kategorien wie Aktien Welt Standardwerte, Aktien USA Standardwerte, Aktien Schwellenländer und Renten Schwellenländer und ETFs für Unternehmensanleihen im Vordergrund, die jeweils zwei bis sechs Milliarden Euro an Abflüssen erlitten.
Interessant ist allerdings, dass einige Kategorien, die seit Jahren zu den wenig geliebten Fondsgruppen zählen, ordentliche Zuflüsse hatten. So konnten etwa ETFs für deutsche Standardwerte-Aktien gut eine Milliarden Euro an Zuflüssen verbuchen; Europa Standardwerte ETFs sammelten sogar 2,4 Milliarden Euro ein. Auch britische ETFs für Standardwerte zogen über eine Milliarde Euro an. Hier dürften Schnäppchenjäger am Werk gewesen sein. Die hohen Zuflüsse von knapp vier Milliarden Euro in Gold-Produkte dürften dagegen weniger überraschen, da Gold als Krisenwährung gilt.
IShares und UBS ETFs geben ab, Vanguard sammelt weiter ein
Auf Anbieterebene mussten UBS und iShares mit 7,2 Milliarden bzw. 6,6 Milliarden Euro die stärksten Abflüsse hinnehmen. Im Fall der UBS konzentrierten sich die Abflüsse auf Aktien-ETFs, während sich bei iShares die Rückgaben auf die Palette der festverzinslichen ETFs konzentrierten. Dies ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass iShares auf dem europäischen ETF-Markt die Marktführerschaft bei Anleihen innehat. Bei der UBS sind diese Zahlen insofern zu relativieren, als die Abflüsse aus Aktien-ETFs in großen Teilen in aktiv verwaltete Renten-Fonds durch das Wealth Management der Bank umgeschichtet wurden.
Von den zehn größten ETF-Anbietern in Europa war Vanguard der einzige, der den vergangenen Monat mit signifikanten Nettozuflüssen von 1,9 Milliarden Euro abschloss. Der Vanguard FTSE All-World High Dividend Yield ETF und der Vanguard FTSE All-World ETF zogen dabei das meiste Geld auf sich.
*Mitarbeit: Jose Garcia Zarate.
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