Obwohl die Aktienmärkte noch weit von ihren Hochs von vor dem Ausbruch der Covid-19 Pandemie entfernt sind, haben sich die Kurse in den letzten Wochen stark erholt. Das wirft die Frage auf, ob es noch werthaltige Aktien gibt, die niedrige ESG-Risiken aufweisen. Wir gehen dieser Frage nach und halten nach Unternehmen mit relativ günstigen Bewertungen – gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) – Ausschau. Weil sowohl der Kurs als auch die Unternehmensgewinne höchst fluide sind, ist hier der Hinweis angebracht, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt.
Eine bewertungsorientierte Sicht auf hochwertige ESG-Unternehmen kann eine Herausforderung darstellen. Ungeachtet von Covid-19 ist die Nachfrage nach ESG-Investments hoch, da immer mehr Investoren zur Überzeugung gelangt sind, dass Unternehmen mit Nachhaltigkeitsstrategien ein besseres Risikomanagement aufweisen als Firmen, die ESG-Belange außer Acht lassen. Eine hohe Nachfrage treibt auch die Bewertungen nach oben.
ESG: Alles nur eine Blase?
Hat die Nachfrage nach den ESG-Champions zu einer Blasenbildung geführt? Diese Frage war bereits vor Covide-19 virulent, und angesichts des Rebounds an den Märkten stellt sie sich heute erneut. Zur Erinnerung: Zwischen Mitte Februar und Ende März brachen globale Aktien am Tiefpunkt um gut ein Drittel ein; zwischen dem 23. März und Mitte Mai legte Aktien weltweit um maximal wieder 30 Prozent zu.
Die untere Abbildung zeigt das durchschnittliche KGV für Unternehmen aus unserem Research-Universum weltweit per Ende April. Es ist in Dezile hinsichtlich der ESG-Risikobewertungen aufgeteilt. Unternehmen in der unteren Hälfte des ESG-Risikos, also die Dezile eins bis fünf, haben ein durchschnittliches KGV von 19,0. Im Vergleich dazu haben Unternehmen in der oberen Hälfte ein durchschnittliches KGV von 18,1. Dies deutet darauf hin, dass Unternehmen mit geringerem ESG-Risiko im Durchschnitt gegenüber Unternehmen mit höherem ESG-Risiko tendenziell mit einem leichten Aufschlag gehandelt werden. Insgesamt ist der Aufschlag gegenüber dem breiten Markt so gering, dass in der Breite nichts auf eine spekulative Blase hindeutet.
Grafik: Aktienbewertungen nach ESG-Risiken
Doch es lohnt sich auf die Details zu schauen. Viele Investoren stehen vor der Herausforderung, Aktien mit geringem ESG-Risiko zu finden, die auch zu vernünftigen Bewertungen gehandelt werden. Daher tut Differenzierung Not. Blicken wir deshalb auf die Branchen und die Länder, in denen ESG-Qualität und günstige Bewertungen Hand in Hand gehen.
15 Märkte und elf Sektoren im Bewertungs-Check
In der unteren Grafik setzen wir auf Ebene von elf Aktien-Sektoren in 15 Märkten die ESG-Qualität ins Verhältnis zu der Bewertung. Dies wird mit dem ESGarp-Score ausgedrückt, der von -100 (max. unattraktiv) bis + 100 (max. attraktiv) reicht. Er beantwortet die Fragen, wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis in einem Sektor/Markt im Vergleich zum globalen Markt-Sektor aussieht und ob das ESG-Risiko-Rating innerhalb dieses Sektors und Marktes im Vergleich zum Rest der Welt niedrig ist. Das Universum setzt sich aus den von uns analysierten Unternehmen zusammen. Die unterste Zeile in der Heatmap zeigt die Gewichte der elf Sektoren innerhalb des FTSE All-World-Index, eine Benchmark, die Industrie- und Schwellenländer enthält.
Grafik: Wo Bewertungen und Sektoren Chancen signalisieren
Die Grafik visualisiert die Aussichten, gute (d.h. risikoarme) ESG-Aktien zu finden, die in einem Marktsektor mit einer niedrigeren relativen Bewertung gehandelt werden. Während Energie-Titel aus China mit einem Wert von minus 56 am unattraktivsten sind, was sich auch aus der roten Unterlegung der Zelle ausdrückt, sind schwedische Rohstoff-Aktien mit plus 73 am attraktivsten, wie die Signalfarbe grün illustriert. Indes ist das ESG-Chance-Risiko-Verhältnis im US Finanzsektor mit einem Wert von sieben neutral, wie die graue Unterlegung zeigt.
Schweden und Frankreich am attraktivsten
Schweden und Frankreich heben sich als die beiden Märkte hervor, auf denen Anleger die größten Aussichten haben, attraktive ESG-Aktien zu günstigen Preisen zu finden. Beide Länder haben vorteilhafte durchschnittliche ESG-Score-Spreads in jedem Sektor im Vergleich zum Rest der Welt und niedrigere KGV-Multiplikatoren. Schweden punktet vor allem bei Aktien aus den Sektoren Informationstechnologie, Financials und Rohstoffen; der französische Markt weist die günstigsten Werte in den Sektoren Energie, Versorger, Industrieunternehmen und Luxusgüter-Hersteller auf.
Deutschland, Schweiz und Großbritannien weisen ebenfalls relativ günstige Werte auf, überzeugen indes etwas weniger als Frankreich und Schweden. Zu den Stärken Deutschlands gehören die Bereiche Industrie und Werkstoffe. Deutsche Unternehmen in diesen Sektoren, darunter die Deutsche Post AG und die Covestro AG, weisen im Vergleich zu ihren weltweiten Konkurrenten eine attraktive Kombination aus niedrigem ESG-Risiko und niedrigem KGV auf.
Die Schweiz verfügt über qualitativ hochwertige Firmen, die mit einem leichten Aufschlag handeln Die Schweiz ist auf KGV-Ebene ein teurerer Markt und schneidet vor allem aufgrund günstiger ESG-Risiko-Werte gut ab. Es gibt eine kleine Auswahl bekannter Namen aus den Sektoren Gesundheitswesen, Informationstechnologie und Basiskonsumgüter mit attraktiven ESG-Risiko-Scores, wie z.B. Roche, TE Connectivity und Lindt & Sprüngli. Die Schweiz ist ein Markt mit qualitativ hochwertigen ESG-Unternehmen, die mit einem leichten Aufschlag gegenüber dem Weltmarkt handeln.
Britische Aktien fielen während des COVID-19-Ausverkaufs ab Mitte Februar bis Ende März um durchschnittlich knapp 30 Prozent deutlich. Britische Aktien weisen besonders niedrige ESG-Risiken in den Sektoren Energie, Basiskonsumgüter und Materialien auf. Der Brexit-Effekt ist allerdings ein Belastungsfaktor, der die KGVs britischer Aktien vor dem COVID-19-Ausverkauf bereits gedrückt hatte.
USA-Aktien neutral, China am schlechtesten
Die USA nehmen den zehnten Platz unter den 15 Märkten ein. Obwohl die ESG-Risikowerte von US-Unternehmen im Vergleich zu Unternehmen in anderen Märkten leicht vorteilhaft sind, weisen sie in den meisten Sektoren ein überdurchschnittliches KGV auf. Hohe Bewertungen sind vor allem in den Sektoren Immobilien und IT zu finden. Die günstigsten Werte finden sich noch in den Sektoren Gesundheitswesen, Werkstoffe und Verbrauchsgüter.
Chinesische Aktien sind mit hohem ESG-Risiko behaftet
Bereits der erste Blick auf die obere Grafik zeigt, dass Unternehmen aus China schlecht abschneiden. Mit Blick auf den ESGarp-Wert liegt das Land auf dem letzten Platz unserer Skala. Das geht auf ungünstige ESG-Risikobewertungen in allen Sektoren zurück. In einigen Sektoren, darunter das Gesundheitswesen, Immobilien und Energie, sind die KGVs niedrig, aber das reicht nicht aus, um die beträchtlichen ESG-Risiken auszugleichen.
Schlussfolgerung - eine zunehmend hervorstechende Frage
Ungeachtet der Tatsache, dass das KGV kein perfektes Maß für die Taxierung der zukünftigen Chancen ist und unsere Untersuchung angesichts der hohen Fluktuationen bei den Kursen und den Unternehmensgewinnen täglich Veränderungen ausgesetzt sein wird, gibt unsere Analyse Investoren Anhaltspunkte, wo sie aktuell Unternehmen mit relativ geringen ESG-Risiken zu relativ günstigen Bewertungen finden können.
Die oben vorgestellte Heatmap und die ESGarp-Bewertungen bieten einige Ideen für die weitere Recherche. Schweden und Frankreich, gefolgt von Deutschland, der Schweiz und Großbritannien bieten diesbezüglich die größten Chancen. Hier bekommen Anleger aus heutiger Sicht „a bigger ESG bang for the buck“.
Die vollständige Sustainalytics-Analyse "ESG in the COVID-19 recovery" können Sie hier herunterladen.
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