Interview: Unterjährig am Portfolio herumzuschrauben, bringt nichts

Dokumentation eines Interviews mit der Fondsplattform Envestor.de über Märkte, Bewertungen und warum Anleger auf vergangene Ereignisse zumeist nicht reagieren sollten.

Ali Masarwah 15.03.2021
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Symbolbild Welt im Einkaufswagen

In der vergangenen Woche hatte ich ein Gespräch Michael Weisz, Geschäftsführer der Fondsplattform Envestor.de, über Märkte, Aktien-Bewertungen und die Frage, worauf Langfristanleger achten sollten. Dieses Interview bringen wir in Auszügen und mit freundlicher Genehmigung der Envestment Services GmbH. Die vollständige Version des Interviews lesen Sie hier. 

Envestor: Herr Masarwah, in Europa und den USA jagen die Aktienmärkte von einem Rekordhoch zum nächsten. Gemessen an praktisch allen gängigen Kennziffern liegen die Bewertungen dieser Märkte deutlich über ihren historischen Durchschnitten. Finden Sie die hohen Bewertungen an den Aktienmärkten besorgniserregend?

Ali Masarwah: Vermutlich kontrastieren Anleger die Entwicklung an den Märkten mit der Situation der Realwirtschaft und der geht es nicht gut. Aber die Aktienmärkte spiegeln ja bekanntlich die Erwartungen an die Zukunft wider und deshalb wäre mein Fazit: Das geht schon so in Ordnung. Denn die fiskalpolitische Unterstützung durch die Regierungen und auch die extrem lockere Geldpolitik der Notenbanken sind eine entscheidende Stütze der Realwirtschaft. Nach allem, was man so realistisch modellieren kann, dürfte die Pandemiebekämpfung in diesem Jahr erfolgreich sein und dann steht einer Erholung der Realwirtschaft nichts mehr im Weg. Was die Bewertungen anbelangt, muss man differenzieren. Es gibt natürlich sehr teure Unternehmen da draußen, denken Sie nur an die vielen Tech-Unternehmen, die teilweise kaum Umsätze generieren, geschweige denn Gewinne schreiben. Aber es gibt eben auch viele Marktsegmente, vor allem zyklische Branchen, die günstig bewertet sind.

Wir haben kürzlich die Entwicklungen rund um die GameStop-Aktie und den Bitcoin kommentiert. Es ist faszinierend zu sehen, welchen Impact eine große Anzahl von Privatanlegern auf bestimmte Marktsegmente haben kann. Verabschiedet sich nicht spätestens hier die Realität von den in den Kursen eingepreisten Wachstumsaussichten? 

Ich denke, man muss da unterscheiden zwischen normalem Anlageverhalten, das von der Suche nach Chancen geprägt ist, spekulativen Investments, die durch die exzessive Liquidität befeuert werden, und Liebhaberei, die Anleger zu Aktien wie GamesStop führen kann. Wenn ein Anleger der Meinung ist, dass die Träger der digitalen Transformation in seinem Portfolio wegen Wachstumsphantasien einen größeren Platz haben sollten, dann ist es vollkommen OK, wenn er in einen Tech-Fonds investiert. 

Wer hochriskanten Themenfonds nachjagt, die nur sehr spezielle Marktsegmente abdecken, geht dagegen möglicherweise ein zu hohes Risiko ein. Da muss man differenzieren. Grundsätzlich ist halt viel Geld im Umlauf und da sind Übertreibungen normal – zumal die Zinsen niedrig bis negativ sind, was bedeutet, dass immer mehr Anleger sich in Richtung Risiko-Anlagen bewegen, auch wenn sie eigentlich nicht dazu neigen, riskant anzulegen. Es gibt angesichts des Nullzins-Umfelds keine realistische Alternative zu Aktien, deshalb finde ich es grundsätzlich prima, dass immer mehr Anleger ins Risiko gehen. Übertreibungen und Blasenbildungen sind Teil des Marktgeschehens. Die hat es immer gegeben und wird es auch in Zukunft immer geben. Man kann nur hoffen, dass möglichst viele Anleger diversifizieren. Das federt die Risiken vor zu hohen Verlusten bei einer Korrektur ab.

Morningstar gilt als ein Haus, das – im Sinne der Anleger – sehr auf die Produktkosten achtet. Dies wird häufig als ein reines Plädoyer für ETFs wahrgenommen. Ist das so oder täuscht dieser Eindruck?

Wir sind agnostisch, was die Wahl der Vehikel angeht. Das mag erstaunen, weil wir bekanntermaßen ständig die Vorteile von ETFs hervorheben. Aber wir mögen auch aktiv verwaltete Fonds – vorausgesetzt sie sind fair gepreist, also günstig für den Anleger. Und da liegt auch der Hase im Pfeffer: Wir mögen ETFs nicht deshalb, weil es Indexfonds sind, sondern weil sie billig und in der Regel gut diversifiziert sind. Sofern auch aktiv verwaltete Fonds diese Merkmale aufweisen, kommen sie auf jeden Fall als Alternative zu Indexfonds in Frage.

Auch wenn am Markt inzwischen der gegenteilige Eindruck entstanden ist: Aktive Fondsmanager können auch Werte schaffen durch ihr Handeln. Die Crux ist die: In Deutschland haben Anleger kaum die Chance, an günstige aktiv verwaltete Fonds heranzukommen. Das ist vor allem für Selbstentscheider höchst ärgerlich. Auch wenn sie keine Beratung brauchen und auch keine wahrnehmen, so bezahlen sie doch Beratungsgebühren, die in den Fondskosten enthalten sind. Es gibt aber keinen Grund, an eine Direktbank oder an eine Fondsplattform, die keinerlei Beratungsdienstleistungen erbringt, Retros zu berappen. Daher investieren solche Anleger immer stärker in ETFs, und das tun sie zurecht, denn ETFs sind fast die einzigen Investment-Vehikel, die Privatanlegern die Konditionen anbieten, die sonst nur institutionellen Großanlegern offenstehen. Daher begrüßen wir es, dass es inzwischen Plattformen wie Envestor oder Rentablo gibt, die Anleger, die keine Beratung wünschen, die Vertriebsgebühren größtenteils erstatten.

Was ist aus Ihrer Sicht der größte Fehler, den ein Anleger bei einem Investment machen kann und wie wäre der Fehler zu vermeiden?

Anleger denken leider oft, dass sie durch Aktivität, also durch Portfolio-Umschichtungen, etwas in ihrem Sinne bewirken können. Das ist aber leider meistens ein Trugschluss, denn der Drang, auf ein Marktereignis zu reagieren, bringt oft schlechte Ergebnisse. Wer beispielsweise im März 2020 als Reaktion auf den Corona-Crash aus dem Markt ausgestiegen ist, hat aus theoretischen Verlusten reale gemacht. Wer dagegen nichts gemacht hat, konnte schon nach vier, fünf Monaten die gröbsten Verluste ausgleichen. Und wer nachgekauft hat, war der König. Anleger müssen sich vergegenwärtigen, dass sie Geschehenes nicht durch Aktionismus ungeschehen machen können. Wenn man ein Portfolio strategisch angelegt hat, es also so aufgestellt ist, dass es den Zielen des Anlegers entspricht, dann braucht man unterjährig nicht daran herumzuschrauben. Wenn man einmal im Jahr das Portfolio durch Rebalancing auf die Ausgangslage zurückführt, dann ist das in aller Regel genug Aktivität.

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Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich