Ein schwieriger Weg
Die Gründung von Vanguard war ehrgeizig. Zunächst verzichtete das Unternehmen auf einen Großteil der Verwaltungsgebühren, indem es für seine Aktienfonds Sub-Advisor anheuerte, anstatt die Fonds selbst zu verwalten. Dann beschnitt das Unternehmen seine Einnahmen, indem es den ersten Indexfonds der Branche entwickelte. Die Strategie des Unternehmens erforderte sowohl Geduld als auch den Glauben daran, dass am Ende ein hohes Volumen die niedrigen Gewinnspannen ausgleichen würde.
Auf dem richtigen Weg zu bleiben, war ebenfalls herausfordernd. Ein Discount-Geschäft in einer Luxusbranche zu führen, erforderte permanente finanzielle Disziplin. Das Unternehmen verhandelte aggressiv, um seine Kosten niedrig zu halten, und war auch intern straff organisiert. Eine Freundin, die bei Vanguard angefangen hatte, antwortete auf meine Frage, was sie von ihrem neuen Arbeitgeber halte: "Dieser Ort ist sehr effizient. Aber Spaß würde ich es nicht nennen.“
Sobald das Konzept von Vanguard und die Unternehmenskultur entwickelt waren, standen die Führungskräfte vor einigen schwierigen Entscheidungen, wobei ihre Herausforderungen operativer, nicht strategischer Natur waren. Während andere Gesellschaften Fonds mit ausgefeilten Konzepten auflegten, intensives Marketing betrieben und/oder externen Unternehmen viel Geld für den Vertrieb ihrer Produkte zahlten, sagte Vanguard Nein. Vanguard florierte nicht auf Grund von Innovationen, sondern weil es immer mehr vom Gleichen tat. (Eine Ausnahme waren börsengehandelte Fonds (ETFs), die Vanguard schon relativ früh im Jahr 2004 anbot).
Aufrichtige Schmeichelei
Mittlerweile ist die Formel ausgereizt. Das Problem besteht darin, dass Vanguard zu viele Nachahmer gefunden und daher kein Alleinstellungsmerkmal mehr hat. Heute bieten unter anderem BlackRock (BLK), State Street (STT), Fidelity und Schwab (SCHW) Indexfonds zu vergleichbaren Konditionen. Mit einem Anteil von rund 40% an den Nettomittelzuflüssen in Indexfonds im Jahr 2021, ist Vanguard zwar nach wie vor führend in der Branche, doch sieht sich das Unternehmen einem starken Wettbewerb ausgesetzt, was die Fondsgebühren unter Druck bringt. Wie der Rest der Branche war auch Vanguard gezwungen, die Kosten für seine Indexfonds wiederholt zu senken.
Das bereitet Vanguard Kopfzerbrechen, denn das Unternehmen hat nicht die tiefen Taschen seiner Konkurrenten. Diese haben auch Geschäftsmodelle mit höheren Margen, die sie nutzen können, um ihre Indexfonds zu subventionieren und ihre zunehmend hohen Technologiekosten zu decken. Fidelity zum Beispiel gibt jährlich USD 2,5 Milliarden für Technologie aus. Um so viel Geld aufzubringen, müsste der Vanguard Total Stock Market ETF (VTI), USD 8 Billionen an Vermögenswerten kontrollieren. Das ist so viel wie das, was Unternehmen derzeit insgesamt verwaltet.
Ganz so düster ist die Prognose aber nicht. Fidelitys Technologiekosten sind besonders hoch und liegen deutlich über denen von BlackRock und Schwab. Hinzu kommt, dass bei Vanguard die Kundengelder in Fonds mit höheren Kosten als bei VTI angelegt sind. Damit nimmt das Unternehmen mehr Gebühren ein und hat gleichzeitig niedrigere Kosten. Dennoch sind die Zahlen aufschlussreich. Trotz des Verkaufserfolgs des Unternehmens ist das Geschäft von Vanguard unter Druck geraten.
Beweise für den Wandel
Die Belastung zeigt sich in zweierlei Weise.
Zum einen hat der Kundenservice nachgelassen. Während die Führungskräfte von Vanguard einst damit prahlten, dass das Unternehmen Anrufe innerhalb von drei Klingelzeichen beantwortete, häufen sich nun die Beschwerden darüber, dass es schwierig ist, Unternehmensvertreter zu erreichen. (Ein anderer Freund sagte mir: "Bei Fidelity und Schwab erhalte ich umgehend Antworten, aber bei Vanguard hing ich bis zu 45 Minuten in der Warteschleife fest"). Umfragen zum Kundenservice bestätigen die Einzelberichte.
Natürlich können Außenstehende nicht wissen, worauf die Probleme in Vanguards Kundendienst tatsächlich zurückzuführen sind: darauf, dass das Unternehmen nicht über das nötige Kapital verfügt, um die notwendigen Verbesserungen zu finanzieren, oder auf Missmanagement oder auf eine gezielte Entscheidung. Einige Unternehmen haben beschlossen, keine Telefonate mehr für Routineanrufe anzunehmen, weil sie der Meinung sind, dass die Kosteneinsparungen den Imageschaden aufwiegen. (Versuchen Sie einmal, jemanden bei Uber [UBER] zu erreichen.) Vielleicht gehört Vanguard zu dieser Gruppe.
Die zweite Entwicklung erhärtet jedoch den Verdacht, dass der Hauptgrund Geld ist: die aggressive Werbung für die Beratungsplattform Personal Advisor Services. PAS wurde 2015 eingeführt und bietet Finanzberatung über Technologie und Telefon. Die Gebühr beträgt 0,30% des Kundenvermögens pro Jahr und sinkt nach den ersten USD 5 Millionen.
Der Erfolg des Angebots ist unbestritten. Mit rund USD 250 Milliarden hat es sich auf dem Markt durchgesetzt und ist mit Abstand die größte digitale Beratungsplattform. Die Kritiken waren durchweg positiv. Zugegebenermaßen bewerteten die Rezensenten im Allgemeinen nur die Funktionen des Programms und nicht das investierte Vermögen, aber ich habe keine Beschwerden von PAS-Kunden gehört. Und die Einnahmen der Plattform sind ganz sicher nach Vanguards Geschmack: Sie belaufen sich auf fast USD 750 Millionen pro Jahr.
Unerwartete neue Angebote
Bislang waren die auf PAS verfügbaren Investments genau das, was man von Vanguard erwartet: kostengünstige Indexfonds, allen voran ETFs. Doch zwei Ankündigungen von Vanguard haben Beobachter aufhorchen lassen. In diesem Frühjahr versprach Vanguard, qualifizierten PAS-Kunden Private-Equity-Fonds anzubieten. Letzten Monat stellte das Unternehmen dann drei aktiv verwaltete "Advice Select"-Fonds vor, die exklusiv für die Kunden der Plattform erhältlich sind.
Das ist mal was anderes, stehen Private-Equity-Fonds doch in direktem Widerspruch zu Vanguards bestehender Marke. Sie sind kostspielig, komplex und illiquide, statt preiswert, einfach und leicht handelbar. Noch überraschender, zumindest für mich, waren die Advice Select-Fonds. Ich hätte nie gedacht, dass Vanguard mich an die Wall Street Wirehouses um 1990 erinnern würde. Aber die Vermarktung spezieller hauseigener Fonds, die nur von ihren Beratungskunden gehalten werden konnten, war in der Tat die Arbeitsweise dieser Firmen. Das Alte ist wieder mal neu.
Natürlich hat Vanguard keineswegs die Preise von Wirehouses übernommen, wie mich einige meiner Kollegen bissig erinnerten. Seine Beratungsgebühr beträgt 0,30%, im Gegensatz zu den 1%-plus-Vereinbarungen der Wirehouses. Darüber hinaus sind die auf PAS verfügbaren Fonds nach wie vor ungewöhnlich günstig: Für die Advice Select-Fonds werden relativ bescheidene Gebühren zwischen 0,40% und 0,45% pro Jahr fällig, die übrigen Investments liegen weit darunter. PAS ist nach fast allen Maßstäben ein kostengünstiges Angebot.
Zusammenfassung
Die Strategie, die Vanguard in den ersten 40 Jahren seines Bestehens verfolgt hat, scheint an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Als Reaktion darauf haben die Führungskräfte von Vanguard den Einkommensstrom des Unternehmens erweitert und damit die Mission des Unternehmens geändert. Ein Vanguard, das Private-Equity-Lösungen und eine Beratung mit exklusiven Fonds anbietet, ist nicht das Vanguard von Jack Bogle. Ob das bedeutet, dass Vanguard vom Weg abgekommen ist oder sich einfach nur den veränderten Bedingungen angepasst hat, kann ich nicht sagen. Dazu ist es noch zu früh.
Glücklicherweise funktioniert der Prozess in beiden Richtungen. So wie Vanguard sich mehr und mehr anderen Fondsgesellschaften angleicht, gleichen sich andere Fondsgesellschaften mehr und mehr Vanguard an. Für Investorinnen und Investoren sind das gute Nachrichten.
John Rekenthaler (john.rekenthaler@morningstar.com) betreibt seit 1988 Research in der Fondsindustrie. Heute ist er Kolumnist für Morningstar.com und Mitglied der Investment Research-Abteilung des Unternehmens. Rekenthaler weist darauf hin, dass Morningstar in der Regel zwar mit den Ansichten des Rekenthaler-Reports übereinstimmt, seine Ansichten aber seine eigenen sind.
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