Energiekrise in Europa: Die Situation am Gasmarkt

Europas Energiekrise: Russland stoppt die Gaslieferungen an Polen und Bulgarien. Die Nachricht trifft auf einen ohnehin schon nervösen Gasmarkt. Denn die europäischen Gasvorräte sind nicht hoch, der Bezug aus Alternativen zum russischem Pipeline-Gas kann nur schrittweise ausgebaut werden. Die Erdgaspreise schießen von einem Hoch zum nächsten. 

Antje Schiffler 28.04.2022
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Gasterminal

Aus Russland fließt kein Gas mehr nach Polen und Bulgarien. Der russische Energiekonzern Gazprom moniert, dass die Importeure ihre Rechnungen nicht in Rubel begleichen wollen. Der polnische Erdgaskonzern PGNiG spricht von Vertragsbruch. Der Kreml hatte im März von den europäischen Abnehmern die Zahlung in der russischen Landeswährung verlangt und andernfalls mit Lieferstopps gedroht. Die europäischen Länder beharrten unisono auf die vertraglich vereinbarte Zahlung in Euro oder US-Dollar. 

Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg könnten allerdings andere europäische Unternehmen gegenüber dem Kreml eingeknickt sein. Vier europäische Unternehmen hätten bereits wie vom Kreml gewünscht in Rubel gezahlt und zehn Unternehmen hätten ein Konto bei der Gazprombank eröffnet, um die Zahlungen wie von Wladimir Putin gefordert ab Mitte Mai umzustellen, schreibt Bloomberg unter Verweis auf eine namentlich nicht genannte Quelle, die Gazprom nahe stehe. Nach Einschätzung der EU-Kommission wäre dieses Handeln ein Bruch der gegen Russland verhängten Sanktionen, sollte sich dies bewahrheiten. 

Die europäischen Gasmärkte reagierten mit kräftigen Aufschlägen auf den Lieferstopp. Am wichtigsten kontinentaleuropäischen Handelspunkt TTF eröffnete der Kontrakt für den Mai bei rund 126 EUR/MWh. Das lag rud 20% über dem Schlusskurs des Vortags (103 EUR/MWh). Allerdings beruhigten sich die Nerven auch schnell wieder, der Kurs lag am Nachmittag bei rund 107 EUR/MWh.

Die Analysten der Commerzbank etwa gehen nur von einem begrenzten Effekt aus. Bulgarien sei zwar zu rund 75% von russischen Importen abhängig, doch der Bedarf sei wegen der Frühlingstemperaturen stark rückläufig. 

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki betonte, die Versorgungssicherheit des Landes sei nicht gefährdet. Schon seit langer Zeit habe das Land die Diversifizierung von russischem Gas vorbereitet. Hierzu gehören steigende Mengen aus Norwegen und Import-Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG). Die Gasspeicher sind aktuell zu knapp 76% gefüllt, geht aus Daten von Gas Infrastructure Europe hervor.

Europas leere Gasspeicher

Davon können andere europäische Länder nur träumen. In Deutschland, dem größten Speichermarkt in Europa und dem viertgrößten der Welt (hinter den USA, Russland und der Ukraine), liegen die Füllstände gerade einmal bei 33%. Ähnlich sieht es in Italien aus, das über die zweitgrößten Kapazitäten in Europa verfügt (Füllstand knapp 35%). Die Niederlande als Nummer 3 weisen sogar nur 25% aus.

 

Europas Gasspeicher waren ohnehin in diesem Winter leerer, als für die Jahreszeit üblich – schon vor dem russsischen Angriff auf die Ukraine. Hintergrund waren die hohen Preise am Weltmarkt. Verflüssigtes Erdgas (LNG) wurde vor allem nach Asien verschifft, wo Abnehmer bereit waren, noch höhere Preise als im ebenfalls schon teuren Europa zu zahlen. Hinzu kamen unterdurchschnittliche Temperaturen sowie zeitweise Produktionsrückgänge in den USA, so Goldman Sachs Commodity Research. Die Europäer bedienten sich in dieser Gemengelage lieber an ihren Speichervorräten. 

Nervöse Gasmärkte

Mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine ist die Situation noch einmal eskaliert. Seit dem 24. Februar beherrscht die Angst den Markt. Angst, dass die Europäer Gas mit auf die Liste der Sanktionen gegen Russland setzen könnten; oder, dass Russland den Europäern zuvor kommt und den Gashahn zudreht - wie nun geschehen.

Am europäischen Leitmarkt TTF haben sich die Notierungen am 24. Februar im Tagesverlauf um 50 % verteuert. Schloss der Frontmonats-Kontrakt am 23. Februar noch bei 87,76 EUR/MWh, waren es am Tag darauf bereits 130,66 EUR/MWh (laut Daten der ICE). Ein vorläufiges Hoch erreichten die Notierungen am 7. März mit stolzen 217,29 EUR/MWh.

Seitdem gingen die Notierungen wieder ein wenig zurück und lagen zuletzt zumeinst unter der Marke von 100 EUR/MWh – bis sie am 27. April wieder in die Höhe schnellten. 

Am US-Markt (Henry Hub) fiel der Aufschlag seit dem 24. Februar zwar weniger dramatisch aus als in Europa, doch kräftig angezogen sind die Preise auch dort. 

 

 

 

ETF auf diese Produkte gehörten damit im März zu den stärksten Performern, wie die jüngste Morningstar-Analyse zeigt. Zu den Top 15 in dem Monat gehören gleich drei Produkte mit Gas als Underlying, mit dem Wisdom Tree Natural Gas ETC an erster Stelle dieser drei Titel. 

 

 

Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas

Ein besonderer Fall ist Deutschland, das Land mit dem größten Gasverbrauch in Europa und mit hoher Abhängigkeit von russischen Importen. Auch hier bewegten sich die Vorräte zu Beginn des Jahres auf historischen Tiefs, doch die Wiederbefüllung begann angesichts der Eskalation in Osteuropa früher als in den Vorjahren.

 

Quelle: Gas Infrastructure Europe

Auffallend ist die Leere im größten Speicher des Landes im niedersächsischen Rehden, der sich, wie der Zufall so will, in den Händen der Gazprom-Tochter astora GmbH befindet. Der Speicher ist praktisch leer (aktueller Füllstand: 0,51%) - und das bereits seit einem Jahr.

Füllen andere Unternehmen ihre Anlagen im Frühjahr und Sommer wieder auf, so zeigte sich in Rehden ein anderes Bild. Die Befüllungsstände lagen im vergangenen Sommer konstant unter 10% - was einige Marktbeobachter schon damals als Versuch Russlands interpretierten, die Preise nach oben zu treiben.

Insgesamt betreiben in Deutschland laut GIE-Daten 29 Unternehmen rund 40 Gasspeicher. Über die größten Gasreserven verfügt zurzeit Uniper (UN01) mit aktuell rund 19,4 TWh. 

Uniper-Aktie bricht wegen Gasspeichergeschäft ein

Und eben diese Sparte beschert dem Unternehmen im ersten Quartal 2022 wohl herbe Verluste. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) liege bei minus 830 Millionen EUR nach plus 731 Millionen EUR im Vorjahreszeitraum, teilte das Unternehmen Dienstagabend nach Börsenschluss mit. Die Aktie des MDAX-Konzerns eröffnete am Mittwochmorgen bei 21,74 EUR, ein Abschlag von rund 10 Prozent gegenüber dem Tageshoch des Vortags.

Die Fortum (FOT)-Tochter begründet das schlechte Ergebnis mit fehlenden Einnahmen aus Gasverkäufen im ersten Quartal zugunsten von Verkäufen in späteren Quartalen. “Dies führt zu einer deutlichen Ergebnisverschiebung vom ersten Quartal in die verbleibenden Quartale des Jahres 2022. Abgesehen von kommerziellen Gründen kann Uniper dadurch höhere Gasmengen vorhalten und damit zur Versorgungssicherheit beitragen”, hieß es in der Adhoc-Mitteilung des Unternehmens vom 26. April.

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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.