Was die Rückkehr der Zinsen für europäische Banken bedeutet

Die Zinsen ziehen an. Niklas Kammer, Equity Analyst bei Morningstar, erläutert, was das für den europäischen Bankensektor bedeutet, und welche Banken in diesem Umfeld die Nase vorn haben. 

Antje Schiffler 08.07.2022
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Wichtigste Punkte:

  • mit den steigenden Zinsen verbessert sich die Lage für Banken, und besonders profiteren die Institute mit einem "narrow moat"
  • kurzfristig besteht große Unsicherheit angesichts einer möglichen Rezession
  • Handelsbanken, Lloyds, UBS und ABN AMRO sind die Favoriten 

 

Antje Schiffler: Hallo und willkommen bei Morningstar. Bei mir ist Niklas Kammer. Er ist Aktienanalyst bei Morningstar und heute hier, um mit mir über den europäischen Bankensektor zu sprechen.

Niklas, die makroökonomische Situation ist, gelinde gesagt, herausfordernd. Wie wirkt sich das auf europäische Banken aus?

Niklas Kammer: Ja, das stimmt, Antje. Banken sind eng mit den Volkswirtschaften verbunden, in denen sie tätig sind, und damit werden auch die Aussichten für die europäischen Banken auf kurze Sicht zunehmend unsicherer und volatiler.

In ganz Europa sehen wir einen raschen Anstieg der Inflation, hauptsächlich aufgrund angespannter Arbeitsmärkte und höherer Energiepreise. Und die Zentralbanken haben auf diese steigende Inflation reagiert, indem sie die Zinssätze auf dem ganzen Kontinent angehoben haben, wobei nur die EZB noch ihren Einlagensatz erhöhen muss, aber sie wird dies höchstwahrscheinlich im Juli tun.

Trotz dieser kurzfristigen Unsicherheiten und der Möglichkeit einer Rezession in Europa sehen wir insgesamt einige positive Aspekte für den Bankensektor.

Wir gehen davon aus, dass die Zinssätze, wenn sich diese derzeitige Ungewissheit irgendwann legt und die Inflation nachlässt, nicht wieder in den negativen Bereich oder nahe 0 zurückkehren, sondern positiv bleiben werden. Und das ist ein struktureller Vorteil für alle europäischen Banken, aber es ist besonders wichtig für Banken, die wir als "moaty" oder mit einem Wettbewerbsvorteil betrachten.

In einem Negativzinsumfeld konnten diese Banken also nicht von der günstigen und stabilen Einlagenbasis profitieren, die unserer Meinung nach einer Bank einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Da sich das Zinsumfeld jetzt strukturell ändert, würden wir also auch erwarten, dass diese Banken mit Wettbewerbsvorteil besser abschneiden als ihre Wettbewerber.

Schiffler: Das ist sehr interessant. Werfen wir doch auch einen Blick auf die kurze Sicht. Was erwartest Du da?

Kammer: Ja, das ist auch eine sehr gute Frage. Das inflationäre Bild habe ich ja bereits angesprochen, aber ich möchte auch hervorheben, was kurzfristig wichtiger ist, und zwar, dass sich auch der Kreditzyklus wahrscheinlich drehen wird. Wir kommen also aus dem sehr günstigen Kreditumfeld heraus. Wir haben massive Impulse von Regierungen und auch von Zentralbanken erhalten, die Unternehmen und Haushalte während der Pandemie über Wasser gehalten haben.

Aber wir sehen jetzt die ersten Anzeichen einer Verschlechterung der Kreditqualität. Wenn man sich beispielsweise die Junk Yields ansieht, sieht man, dass die steigen, dass das Ausfallrisiko für Unternehmen also als höher wahrgenommen wird. Die Arbeitslosenquoten sind immer noch gesund, was darauf hindeutet, dass es dem Privatkundengeschäft noch etwas besser geht oder dass wir uns früher im Zyklus befinden. Aber mit steigenden Zinsen wird wahrscheinlich auch das verfügbare Einkommen von mehr Haushalten schwächer werden.

Was bedeutet das nun für die Banken? Die internen Risikomodelle der Banken greifen in der Regel diese Indikatoren auf, die ich gerade erwähnt habe, wie z.B. die BIP-Wachstumsprognosen, und dies zwingt die Banken dazu, bereits jetzt auf einer vorausschauenden Basis mit der Bildung von Rückstellungen für härtere Zeiten zu beginnen.

Wir gehen daher davon aus, dass sich der Schwerpunkt in der nächsten Berichtssaison, die vor der Tür steht, auf die Qualität der Vermögenswerte, die Risikovorsorge für uneinbringliche Forderungen und das Bilanzmanagement im Allgemeinen verlagern wird.

Schiffler: Und was ist Deine Schlussfolgerung? Welche europäischen Banken könnten in diesem Umfeld gut abschneiden?

Kammer: Ja, uns gefallen im Moment vier Banken mit einem "narrow Moat" am besten, nämlich ABN AMRO, Lloyds, Handelsbanken und UBS. ABN AMRO und Lloyds gefallen uns aus den gleichen Gründen: Beide Banken verfügen über eine dominante Stellung in ihren jeweiligen Märkten und können sich auf eine sehr starke und solide Einlagenbasis stützen, wie ich gerade hervorgehoben habe. Ihr Kreditportfolio wird außerdem von Hypotheken dominiert, was während des Niedrigzinsumfelds der letzten Jahre ein großer Gegenwind war. Angesichts der neuen Zinsaussichten erwarten wir jedoch, dass beide Banken überproportional profitieren werden.

Außerdem gefällt uns die Handelsbanken, die unserer Meinung nach eine der qualitativ hochwertigsten Banken in Europa ist. Die Bank zeichnet sich durch eine hohe Kreditqualität aus und hat in der Vergangenheit bei einer Verschlechterung des Kreditzyklus besser abgeschnitten als ihre Konkurrenten, und wir erwarten, dass sich dieses Mal ein ähnliches Bild ergeben wird. Und wir glauben, dass Handelsbanken derzeit ein sehr gutes risikobereinigtes Aufwärtspotenzial bietet.

Und schließlich gefällt uns UBS aufgrund ihrer Wachstumstreiber, die nicht wirklich an das derzeitige, sehr unsichere Umfeld gebunden sind. Die Wachstumstreiber sind in erster Linie das Wachstum der vermögenden Privatkunden in den Schwellenländern und die alternde Bevölkerung weltweit. Ein weiterer Vorteil für UBS ist, dass Schweizer Banken in Krisenzeiten oft als sicherer Hafen angesehen werden.

Zu beachten ist jedoch, dass die Anleger von den volatileren Ergebnissen der Investmentbanking-Sparte von UBS betroffen sein werden. Sie haben also ein gewisses Investmentbanking-Exposure. Insgesamt glauben wir aber, dass das Kerngeschäft von UBS, das Private-Banking-Geschäft, in diesem Umfeld weiterhin gut abschneiden und den Konzern weiter nach vorne bringen wird.

Schiffler: Nun, das ist interessant. Niklas, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen haben, um diese Informationen mit uns zu teilen. Für Morningstar, ich bin Antje Schiffler.

 

Der Report "Industry Pulse: European Banks, Second-Quarter 2022" ist am 7. Juli 2022 erschienen. 

 

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Im Artikel erwähnte Wertpapiere

BezeichnungKursVeränderung (%)Morningstar Rating
ABN AMRO Bank NV14,61 EUR0,65
Lloyds Banking Group PLC54,80 GBX1,07Rating
Svenska Handelsbanken AB Class B147,50 SEK0,20
UBS Group AG31,14 USD-0,83Rating

Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.