Technisch liefe das Investieren in Investmentfonds so ab, dass die Anteile als Eintrag auf einer Blockchain abgebildet werden – also im Fachjargon tokenisiert werden. Dabei wird der Fonds mithilfe von so genannten Smart Contracts entsprechend der jeweiligen Bedingungen des Fonds ausgestaltet und technisch direkt auf der Blockchain abgebilidet.
Vereinfacht gesagt sind Smart Contracts Programme, die auf einer Blockchain gespeichert sind und bei bestimmten Vorgaben oder Bedingungen automatisch ausgeführt werden. Es sind also automatisierte Verträge, die zustande kommen, ohne dass ein Vermittler (z.B. ein Online-Broker) zwischengeschaltet ist.
Ebenso entfällt die zentrale Verwahrstelle, denn die Fonds werden dezentral in einem Blockchain-basierten Kryptowertpapierregister eingetragen. Ein zentrales Wertpapierregister, wie wir es heute kennen, entfällt.
„Der Fonds wird mit Intelligenz aufgeladen und programmierbar“, fasst es Jens Siebert, Partner Financial Services bei KPMG, zusammen. Welche Blockchain-Infrastruktur sich für die Abbildung von Fondsanteilen durchsetzen wird, ist heute noch nicht klar absehbar. Vieles spricht aus Sicht von Siebert aber für eine Ethereum-kompatible Infrastruktur.
Diese smarten Fonds können perspektivisch verschiedene Prozesse der Fondsadministration übernehmen und damit für allerhand Erleichterung und Kostenersparnis bei den Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVG), Depotbanken und Vermögensverwaltern sorgen.
Beispielsweise kann über Smart Contracts die Fondspreis-Ermittlung automatisiert werden – heute noch ein Prozess, der bis zu 25 manuelle Arbeitsschritte beinhalten kann, wie Maren Schmitz von KPMG in diesem Video erläutert. Statt einmal täglich den Wert eines Fonds mit allen seinen zugrundeliegenden Vermögenswerten wie etwa Aktien oder Anleihen zu ermitteln, wäre eine Bewertung nahezu in Echtzeit möglich.
Real-time Handel von Investmentsfonds
Aus dem potenziell schnellen Transfer von Geld versus Fondsanteil zwischen Käufer/Verkäufer via Smart Contract und dank der schnellen Fondspreis-Ermittlung ergibt sich ein weiterer Vorteil: Der Handel mit Investmentfonds könnte künftig – ebenso wie bei börsengehandelten Fonds (ETFs) – nahezu in Echtzeit und kontinuierlich 24/7 erfolgen. Somit dürfte sich auch die Liquidität verbessern, erläutert Siebert.
Und über die „smarte“ Ausgestaltung können auch jenseits der Preisermittlung andere teilmanuelle Middle- und Backoffice-Prozesse automatisiert werden: Beispielsweise die Überprüfung der Anlagekriterien oder die Überwachung von Grenzwerten. Dies schaufelt dringend benötigte Kapazitäten bei den Asset Managern frei, schließlich wird das Geschäft immer komplexer – man denke nur an die alternativen Anlageklassen oder das Thema Nachhaltigkeit. In diesen Bereichen kommen schließlich immer neue Aufgaben auf die Vermögenswalter zu, die nicht leicht automatisiert werden können.
Mit Smart Contracts sinken zudem auch die Kosten für Fondsauflage und -verwaltung (was dann hoffentlich an die Anlegerinnen und Anleger durchgereicht wird). Gleichzeitig könnten auch Fonds mit geringerem Gesamtvolumen kostendeckend bewirtschaftet werden, so Siebert.
Erste Pilotprojekte Anfang 2023?
Allerdings: Bisher gibt es noch keine blockchainbasierten Fondsanteile in Deutschland und auch keine Marktinfrastruktur hierfür. Die bestehenden Infrastrukturen für Emission, Handel, Abwicklung und Verwahrung sind noch nicht durchlässig, also noch nicht kompatibel miteinander. Kurz gesagt: KVG, Verwahrstelle und Registerführer müssen sich erst noch auf gemeinsame technische Standards und eine durchlässige Infrastruktur einigen.
Die aus der DekaBank ausgegründete SWIAT GmbH oder Unternehmen wie Funds on Chain arbeiten an solchen gemeinsamen Abwicklungsinfrastrukturen und Standards, berichtet Siebert.
In der Schweiz hat sich mit der Six Digital Exchange bereits ein zentraler Handelsplatz für digitale Wertpapiere entwickelt. "Es wird spannend sein zu beobachten, wann dort die ersten digitalen Fondsanteile gehandelt werden und ob die Deutsche Börse ein vergleichbares Angebot aufbaut", fügt Siebert hinzu.
Ähnlich sieht es Frank Dornseifer, Geschäftsführer vom Bundesverband Alternative Investments e.V. (BAI). „Jetzt, wo in Deutschland der Rahmen für Kryptofondsanteile gesetzt ist, wird es bestimmt in den nächsten neun Monaten einen Pionier geben, der den ersten Fonds über die Blockchain emittiert, allerdings noch nicht, weil es so viele Effizienzgewinne gibt, sondern zunächst, weil es sich um ein Prestigeprojekt handelt. Es wird Jahre dauern, bis sich diese Technologie im Fondssektor etabliert. Auch in unseren Nachbarländern Luxembourg und Liechtenstein waren es eher Pilotprojekte als ein Massenstart."
Rechtlicher Rahmen in Deutschland
Mit der Verordnung über Kryptofondsanteile (KryptoFAV) hat der deutsche Gesetzgeber am 3. Juni 2022 die rechtlichen Voraussetzungen für die Ausgabe von Fondsanteilen auf der Blockchain geschaffen. „Es besteht zwar heute die rechtliche Möglichkeit, Investmentfondsanteile auf der Blockchain rechtssicher zu begeben, aber damit haben wir noch keinen liquiden Markt“, fasst Siebert den Status Quo zusammen. „Ich gehe davon aus, dass wir Anfang 2023 den ersten in Deutschland aufgelegten Fonds auf der Blockchain sehen werden - vermutlich als Teiltranche eines bestehenden Fonds.“
Die KryptoFAV ist komplementär zum Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG), das bereits 2021 die Begebung von Schuldverschreibungen auf Blockchain-Infrastrukturen ermöglicht hat. Das eWpG trat zum 10. Juni 2021 in Kraft. Quasi vor Torschluss ist im eWpG die Möglichkeit aufgenommen worden, per Verordnung auch die Einführung von Kryptofonds zu ermöglichen, also von Anteilsscheinen, die über ein Kryptowertpapierregister begeben werden. Eine Ausweitung auf andere Anlageklassen - etwa auf elektronische Aktien – ist darin nicht geklärt, ist aber in Arbeit.
Bereits Anfang 2020 wurde das Kryptoverwahrgeschäft im Kreditwesengesetz (KWG) als wesentliche Regelung zur Nutzung von Distributed Ledger Technologie (DLT) im deutschen Kapitalmarkt aufgenommen.
Pilotprojekte: Emission von Schuldverschreibungen und Real Assets
In Sachen Schuldverschreibungen gibt es erste Pilotprojekte. So hat die DekaBank im Sommer 2021 ihre ersten Kryptowertpapiere emittiert und gleichzeitig auch die Geschäftstätigkeit zur Führung eines Kryptowertpapierregisters aufgenommen – vorerst aber noch auf Grundlage einer vorläufigen Erlaubnis.
Die Emissionen der Inhaberschuldverschreibungen erfolgte über eine eigene Blockchain-Infrastruktur der DekaBank. Käufer der Anleihen waren das Bankhaus Metzler und Hauck & Aufhäuser.
Schweiz: Vorreiter in Sachen Kryptos
Die Schweiz war da einen Schritt schneller: Dort wurden bereits im August 2021 mit dem Bundesgesetz zur Anpassung des Bundesrechts an Entwicklungen der Technik verteilter elektronischer Register (DLT-Gesetz) die rechtlichen Voraussetzungen für die Auflage, den Handel und die Abwicklung von Fonds auf der Blockchain geschaffen – inklusive der Rechtssicherheit im Konkursfall sowie der Eindämmung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung.
Überhaupt sind die Eidgenossen Vorreiter in Sachen Kryptos. Im so genannten Crypto Valley, der Region rund um die Stadt Zug, befindet sich eines der weltweit dichtesten Ansammlungen von Krypto- und Blockchain-Firmen. Das Start-up Token Factory in Zusammenarbeit mit der Bank Frick hatte im Januar 2020 erstmals in Europa einen regulierten Immobilienfonds tokenisiert.
Fehlender Regulierungsbaustein in der EU: Handel und Abwicklung
Zurück in die EU. Wie oben erwähnt: Das eWpG regelt die Emission, das KWG die Verwahrung. Aber was ist mit dem Zwischenschritt, dem Handel und der Abwicklung? Wie Jens Siebert von KPMG betont, hemmt genau dieser fehlende mittlere Regulierungs-Baustein das Geschehen. Dies soll nun das Pilot Regime für Marktinfrastrukturen auf Distributed Ledger-Technologie (DLT Pilot Regime) regeln.
EU-weit tritt mit dem DLT-Pilot Regime im März 2023 eine neue Verordnung in Kraft, die innerhalb definierter Grenzen erstmalig den Handel und das Settlement von DLT-basierten Wertpapieren und damit auch Fondsanteilen ermöglichen wird. “Damit schließt das DLT Pilot Regime eine entscheidende Regelungslücke für die umfassende Anwendung der Blockchain-Technologie im Kapitalmarkt – und markiert einen Meilenstein in der weiteren Entwicklung des digitalen Kapitalmarkts”, so Siebert.
Zukunft: Parallele Marktinfrastrukturen?
Also wird bald alles nur noch über die Blockchain laufen? „Zunächst werden die nächsten drei Jahre spannend, denn das von der EU verabschiedete DLT-Pilot-Regime ist zunächst auf diese Dauer angelegt. In diesem Zeitraum wird sich das Potential der Blockchain für die Kapitalmärkte zeigen. Zumindest in den nächsten 5-7 Jahren wird es ein Nebeneinander geben. Ich bin ehrlich gesagt auch skeptisch, ob danach alle auf die Karte Blockchain setzen. Wir sollten immer für einen Technologiewettbewerb offen sein", lautet die Einschätzung von Frank Dornseifer vom BVAI.
Jens Siebert ergänzt: „Meine Prognose ist: es wird sich nicht eine dominante Marktinfrastruktur durchsetzen." Vorstellbar sei, dass beispielsweise ETFs weiter in der Girosammelverwahrung abgebildete werden, die Alternativen Asset-Klassen künftig aber dezentral laufen werden. Damit kein Flickenteppich entsteht, müssen die verschiedenen Systeme langfristig aber miteinander kompatibel sein.
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