Das Vertrauen der Anleger ist auf einen Tiefstand gesunken, den es seit Beginn der Coronavirus-Pandemie nicht mehr gegeben hat. Dies ist angesichts der zahlreichen Risiken nicht überraschend.
Hohe Inflation, steigende Zinssätze und eine Eskalation des Krieges in der Ukraine erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in Europa. Im Jahr 2022 sind die europäischen Aktienmärkte in jedem Quartal gefallen und haben seit Januar mehr als 20% verloren.
In einem solchen Marktumfeld neigen die Anleger dazu, auf Qualitätsaktien mit einem Economic Moat zurückzugreifen. Mit Blick auf Ende 2022 ist Morningstar-Aktienmarktstratege Michael Field der Meinung, dass sich der Markt zu sehr auf die kurzfristige Entwicklung konzentriert und das langfristige Potenzial der Aktien übersieht. Werfen wir einen Blick auf die Sektoren im Detail.
Alle Sektoren unterbewertet
Die Inflation liegt in den europäischen Ländern bei etwa 10% und wird voraussichtlich auch den Rest des Winters über hoch bleiben. Daher ist die Absicherung ein wichtiges Thema für Anleger. In ihrem ständigen Bemühen, die Inflation auf etwa 2% zu senken, können wir davon ausgehen, dass die Zentralbanken die Zinsen weiter anheben werden.
Die Anleger müssen nun nach Unternehmen suchen, die mit der Inflation zurechtkommen. Die Aktienanalysten von Morningstar finden in jedem Sektor Unternehmen, die in der Lage sind, ihre steigenden Kosten weiterzugeben und ihre Rentabilität zu sichern. Diese Aktien bieten Aufwärtspotenzial, selbst bei ihren aktuellen Bewertungen.
Bei den aktuellen Bewertungen bieten alle acht von Morningstar abgedeckten Sektoren ein Aufwärtspotenzial in Bezug auf unsere Fair Value-Schätzungen, wobei 75% der abgedeckten Sektoren im 4- und 5-Sterne-Bereich liegen.
Das ist ein ganz anderes Bild als im letzten Jahr, als die Hälfte der von Morningstar erfassten europäischen Aktien fair bewertet und 30% überbewertet waren.
Chancen im E-Commerce
Chancen bieten sich vor allem im zyklischen Konsumsektor, wo 80% der Titel mit 4 Sternen und 60% mit 5 Sternen bewertet sind. Im Bereich E-Commerce sind Bekleidungsaktien wie Zalando (ZAL) und Inditex (ITX) unterbewertet.
Im Bereich der Nahrungsmittel-Lieferdienste hat die Pandemie den Unternehmen geholfen, neue Kunden zu gewinnen. Doch in diesem Jahr haben steigende Zinsen, Inflation und bearishe Kapitalmärkte für verschuldete Unternehmen die Aktienkurse unter Druck gesetzt. Anleger müssen selektiv vorgehen und auf solide Bilanzen, einen klaren Weg zur Rentabilität und robuste Marktpositionen als Marktführer oder Zweitplatzierter achten. Morningstars Top-Pick in diesem Sektor ist Just Eat Takeaway, das ein 5-Sterne-Rating aufweist.
Verschiebung hin zu defensiven Werten
In diesem Jahr gab es auch eine deutliche Verschiebung von zyklischen zu defensiven Titeln. Angesichts der zunehmenden Unsicherheit sind die Anleger in Scharen zu defensiven Verbrauchertiteln und Versorgern geströmt.
Versorger sind eine gute Absicherung gegen eine hohe Inflation, insbesondere bei den derzeit in die Höhe schießenden Energiepreisen. Der Sektor erlitt in diesem Jahr geringere Verluste als der breite europäische Aktienmarkt und enthält attraktive Dividendenwerte. Der aktuelle Median der nachlaufenden Dividendenrendite liegt bei 4,7% und damit im Einklang mit dem historischen Durchschnitt. Die besten Werte unter den Versorgern sind Centrica (CENB), Engie und RWE (RWE).
Bei den defensiven Konsumgütern waren die großen europäischen Lebensmittelhändler bisher in der Lage, ihre höheren Kosten an die Kunden weiterzugeben. In den kommenden Quartalen wird diese Bereitschaft weiter auf die Probe gestellt werden, da die Rohstoffpreise weiter steigen.
Die Getränkehersteller haben bisher keinen wirklichen Schaden durch die Inflation erlitten, aber das könnte sich ändern, wenn die europäischen Volkswirtschaften in eine Rezession geraten. Die Brauerei Anheuser-Busch InBev (ABI) gehört neben Barry Callebaut (BARN), JDE Peets (JDEP) und Unilever (ULVR) zu den Favoriten.
Warum ist der europäische Energiesektor unterbewertet?
Im Energiesektor werden die integrierten Ölkonzerne Shell (SHEL), BP (BP.) und TotalEnergies (TTE) selbst nach den jüngsten Aktualisierungen immer noch mit erheblichen Abschlägen von 20-25% gegenüber den Morningstar-Schätzungen für den fairen Wert gehandelt. Der Vergleich mit US-amerikanischen Ölkonzernen wie Chevron und Exxon, die fair oder leicht überbewertet sind, ist bemerkenswert.
Ein Grund dafür könnte sein, dass in Europa die Auswirkungen nachhaltiger Investitionen Big Oil schaden, da Gelder in Fonds fließen, die Ölgesellschaften untergewichten. Außerdem haben die europäischen Anleger mehr Zweifel an den Umstellungsstrategien der traditionellen Energieunternehmen auf erneuerbare Energien. Ihre Investitionen in Innovationen brauchen Zeit und sind auf die Finanzierung durch Gewinne aus fossilen Brennstoffen angewiesen.
Die Rekordgewinne haben im Energiesektor zu attraktiven Dividenden geführt. Der Top-Wert von Morningstar ist TotalEnergies. Das Unternehmen hat zwar derzeit nicht die höchste Dividendenrendite, verfügt aber aufgrund seiner starken Bilanz und seines Cashflows über ein gutes Aufwärtspotenzial.
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