Im vergangenen Jahr hatten Milliardenabschreibungen auf die Beteiligung an Siemens Energy sowie Belastungen aus dem Rückzug aus dem Russlandgeschäft die Bilanz getrübt. Operativ liefen die Geschäfte jedoch robust. Siemens erzielte im Schlussquartal noch einmal starke Zuwächse bei Umsatz und Gewinn und schnitt besser ab als von Analysten erwartet.
Die Marktexperten zeigten sich angetan. Sowohl die Zahlen als auch der Ausblick liegen über ihren Annahmen. In allen Aspekten stark nannte Analyst Simon Toennessen vom Analysehaus Jefferies den Geschäftsbericht der Münchner in einer ersten Reaktion. Der optimistische Ausblick auf das Automatisierungsgeschäft widerspreche den Abschwungsorgen. JPMorgan-Analyst Andrew Wilson notierte, Siemens habe auf ganzer Breite die Erwartungen am Markt übertrumpft. Auch für das kommende Jahr läge der Konsens bisher nur am unteren Ende der vom Unternehmen angekündigten Bandbreite. Dies sei auch auf die überraschend guten Prognosen für jedes der Industriegeschäfte zurückzuführen. Die Aktie sprang am Donnerstagvormittag um fast acht Prozent nach oben.
Mit "einem Rekordauftragsbestand von 102 Milliarden Euro haben wir eine hervorragende Ausgangsposition für das neue Geschäftsjahr", sagte Vorstandschef Roland Busch bei der Bilanzpressekonferenz in München. Der Umsatz dürfte 2022/23 (per Ende September) daher auf vergleichbarer Basis um sechs bis neun Prozent steigen. Dabei ausgeklammert sind Währungseffekte sowie Portfolioveränderungen. Das Ergebnis je Aktie vor bestimmten Kaufpreiseffekten soll 2022/23 im Konzern auf 8,70 Euro bis 9,20 Euro zulegen, nach 5,47 Euro im Vorjahr. Dabei geht Busch von keinen weiteren Verlustrisiken durch den Ausstieg aus Russland mehr aus.
Für das Geschäft mit der Digitalisierung erwartet Siemens zweistellige Wachstumsraten. "Nach wie vor liegen die Stornierungen von Kunden nahe Null", sagte Finanzvorstand Ralf Thomas. Insbesondere das Geschäft mit der Fabrikautomatisierung boomt. Hier geht Siemens nach einer zuvor teils "extrem" gestiegener Nachfrage von einer "allmählichen Normalisierung des Bestellverhaltens" aus. Das Investitionsklima in Schlüsselindustrien wie Automobil, Maschinenbau oder Elektro bleibe jedoch weiter robust. Im Softwaregeschäft komme die Umstellung auf ein Abonnement-Modell voran.
Im vergangenen Geschäftsjahr verzeichnete Siemens wegen Wertberichtigungen auf die Beteiligung an Siemens Energy sowie Belastungen aus dem Russlandgeschäft einen Gewinnrückgang. Nach Steuern blieben 4,4 Milliarden Euro, nach 6,7 Milliarden Euro im Vorjahr.
Seinen Anteil von rund 35 Prozent an dem derzeit schwächelnden Energietechnikkonzern will Siemens weiterhin verringern, jedoch "mit Wert", wie Busch bekräftigte. Das industrielle Geschäft erreichte hingegen ein Rekordergebnis von 10,3 Milliarden Euro. Dabei profitierte Siemens von steigenden Beiträgen in den Geschäften mit der Digitalisierung und der intelligenten Infrastruktur sowie der Medizintechniktochter Siemens Healthineers .
Siemens erzielte dabei noch einmal einen starken Jahresabschluss. So legte die Erlöse im Schlussquartal um 18 Prozent auf 20,6 Milliarden Euro zu, vergleichbar lag das Wachstum bei 12 Prozent. Unter dem Strich wurde der Gewinn mit 2,9 Milliarden Euro mehr als verdoppelt, hier profitierte Siemens auch vom Verkauf des Brief- und Paketabwicklungsgeschäfts. Im laufenden Geschäftsjahr geht Siemens von weiteren Verkaufsgewinnen aus, allerdings nicht annähernd in dem hohen Masse wie im Vorjahr.
Die geplante Ausgliederung des Geschäfts mit grossen Motoren (LDA) kommt unterdessen voran. Um das Geschäft schlagfertiger aufzustellen, hat Siemens beschlossen, weitere Bereiche hinzuzufügen und daraus eine neue Gesellschaft mit einem Jahresumsatz von etwa drei Milliarden Euro und rund 14 000 Beschäftigten zu formen. Dies entspreche einer Verdopplung des ursprünglichen Geschäfts, sagte Busch. Unter anderem soll das Geschäft mit Niederspannungs- und Getriebemotoren, das Spezialgeschäft mit hochpräzisen Motorspindeln sowie der Komponentenhersteller Sykatec in die neue Gesellschaft miteinfliessen.
Die Restrukturierung dürfte die nächsten Monate in Anspruch nehmen, schätzt Finanzvorstand Thomas. Die Abspaltung könne dabei sowohl über einen Verkauf als auch über eine Börsennotierung erfolgen. Jedoch dürfte dies wahrscheinlich nicht mehr 2023 passieren.
Bei der Gewerkschaft IG Metall waren die Ausgliederungspläne von LDA bislang auf Widerstand gestossen. "Wir sind nach wie vor äusserst skeptisch gegenüber der Ausgliederung an sich. Wenn sie aber nicht zu verhindern ist, dann halten wir sie in der jetzt erweiterten Form für die günstigste Perspektive. So ist das künftige Unternehmen am stabilsten und breitesten aufgestellt", sagte Hagen Reimer, der auch im Aufsichtsrat von Siemens sitzt./nas/mne/mis
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