Zwar hat die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer ersten Sitzung des Jahres am 25. Januar beschlossen, die Zinssätze unverändert zu lassen, doch die Inflationszahlen sind seitdem gesunken. Der Druck auf die EZB, die Zinsen zu senken, wächst aber zunehmend. Die Märkte rechnen jedoch nicht damit, dass der EZB-Rat auf seiner nächsten Sitzung am 7. März eine Lockerung der Geldpolitik beschließen wird.
"Laut einer aktuellen Reuters-Umfrage rechnen zwei Drittel der Wirtschaftsexperten mit einer Zinssenkung im Juni. Und das, obwohl die EZB bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Gefahr eines Wiederauflebens der Inflation hinweist", so Michael Field, European Market Strategist bei Morningstar.
"Tatsache ist jedoch, dass die Inflation erheblich zurückgegangen ist und die Tendenz weiterhin gut ist. Der Hauptrefinanzierungssatz liegt bei 4,5 %, was bedeutet, dass die Bank einen großen Handlungsspielraum hat. Sie kann im Juni eine geringfügige Senkung vornehmen und die Auswirkungen abwarten, ohne das Kartenhaus aus den Angeln zu heben."
Das käme auch der stockenden Konjunktur zugute. "Da die europäische Wirtschaft am Rande einer Rezession steht, muss die EZB unserer Meinung nach jetzt das Risiko eines Wiederauflebens der Inflation mit der potenziell dringlicheren Notwendigkeit abwägen, die Wirtschaft nicht in eine längere Rezession zu stürzen. Der Juni scheint in dieser Hinsicht ein vernünftiger Kompromiss zu sein".
EZB-Ratsmitglied Peter Kazimir näherte letzte Woche diese Erwartung. "Es gibt keinen Grund, eine Zinssenkung zu überstürzen", sagte der slowakische Zentralbankchef gegenüber Reuters. "Juni wäre mein bevorzugter Termin, April würde mich überraschen und März ist ein No-Go".
Die Märkte rechnen derzeit mit einer Zinssenkung um nur 90 Basispunkte in diesem Jahr und einem ersten Schritt im Juni. Letzten Monat wurden laut Reuters noch bis zu 150 Basispunkte an Lockerungen eingepreist.
EZB Zinsentscheid: Inflation in der Eurozone sinkt
Die Inflation in der Eurozone geht eindeutig schneller zurück als von der EZB prognostiziert, gesteht Kazimir ein.
Der Verbraucherpreisindex ist im Februar auf 2,6 % gesunken, gegenüber 2,8 % im Januar. Die Kerninflation blieb jedoch bei 3,1 % (Januar: 3,3 %) und die Dienstleistungsinflation bewegte sich um 4 %.
"Der Inflationsabbau schreitet viel schneller voran als wir erwartet haben, aber wir können uns noch nicht sicher sein, was die Kerninflation betrifft, weil die Lohnentwicklung unklar bleibt", sagte Kazimir gegenüber Reuters. "Dafür wird das Ergebnis der Tarifverhandlungen entscheidend sein. Alles in allem sind wir auf dem richtigen Weg, aber wir sind noch nicht am Ziel."
Die EZB veröffentlicht ihre Projektionen zu Wirtschaftswachstum, Inflation, Löhnen, Arbeitslosigkeit und Handel am Donnerstag zum ersten Mal in diesem Jahr, weitere Aktualisierungen folgen vierteljährlich.
Die neuen makroökonomischen Projektionen dürften eine etwas niedrigere Inflation in diesem Jahr und weiterhin eine Konvergenz zum Zwei-Prozent-Ziel gegen Mitte nächsten Jahres zeigen, erwarten die Ökonomen der Deka-Bank. Auf der Pressekonferenz dürfte auch angesprochen werden, inwieweit der zuletzt etwas geringere Anstieg der Löhne Aufwärtsrisiken des Inflationsausblicks lindert, so die Bank.
Gespaltener EZB-Rat
EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel erklärte Anfang Februar gegenüber der Financial Times, dass die Inflation "wieder aufflammen könnte". Die "letzte Meile" zur Senkung der Inflation werde die schwierigste sein, sagte sie. "Wir sehen eine hartnäckige Dienstleistungsinflation. Wir sehen einen widerstandsfähigen Arbeitsmarkt. Gleichzeitig sehen wir eine bemerkenswerte Lockerung der finanziellen Bedingungen", sagte sie.
Die Äußerungen von Italiens Zentralbankchef Fabio Panetta zeigen jedoch, wie gespalten der Rat ist. In einem separaten Interview sagte er der Zeitung, dass die Zeit für Zinssenkungen "schnell näher rückt". Er schlug freundlichere Töne an als Schnabel und wies Befürchtungen über eine neue Inflationsspirale zurück und sagte, dass die Inflation im Euroraum schneller als erwartet sinke.
Wirtschaft der Eurozone wächst nur langsam
Derweil wird die Eurozone weiterhin von Wachstumssorgen geplagt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone schrumpfte im dritten Quartal, stagnierte aber im vierten Quartal und entging damit nur knapp einer technischen Rezession.
Die Europäische Kommission hat vor kurzem ihre Wachstumsprognose für den gemeinsamen Währungsraum nach unten korrigiert. Im Jahr 2024 soll das BIP der Eurozone nur noch um 0,8 % wachsen, gegenüber einer früheren Schätzung von 1,2 %.
Die größte Volkswirtschaft der Eurozone, Deutschland, steckt derweil in einer Rezession fest.
"Deutschland, einst das Kraftzentrum Europas, wird nun als 'kranker Mann Europas' bezeichnet, da es sich mitten in einer technischen Rezession befindet (zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem BIP-Wachstum)", so Keith Palmer, Portfoliomanager bei Columbia Threadneedle.
Zinsen für Immobilienkredite
Die Fremdkapitalkosten in der Eurozone bleiben weiterhin hoch. Die Hypothekenzinsen stiegen weiter auf 4%, so die EZB in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht. Die Kreditzinsen für Unternehmen sind unterdessen gesunken. Sowohl Haushalte als auch Unternehmen hielten sich mit ihrer Nachfrage nach Krediten im ersten Monat des Jahres zurück, die Zahlen waren weiter rückläufig.
Laut dem Consumer Expectations Survey der EZB erwarten die Verbraucherinnen und Verbraucher jedoch, dass die Bauzinsen in den nächsten 12 Monaten von ihrem derzeitigen Niveau aus sinken werden. "Ein großer, aber abnehmender Prozentsatz der Befragten schätzt die Kreditbedingungen als angespannt ein und erwartet, dass es im gleichen Zeitraum schwieriger wird, Wohnungsbaudarlehen zu erhalten", heißt es in der Umfrage von Mitte Januar.
Die Hypothekenmärkte funktionieren in den Ländern der Eurozone sehr unterschiedlich. Während deutsche Hausbesitzer/innen weniger von steigenden Hypothekenzinsen betroffen sind, da die Verträge in der Regel für 10 oder 15 Jahre festgeschrieben sind, könnten beispielsweise spanische Hausbesitzer/innen unter variablen Zinsen leiden.
In Deutschland sind die Bauzinsen zum Jahresstart auf unter drei Prozent gesunken: Mitte Februar lagen die bestmöglichen Zinsen für zehnjährige Baufinanzierungen bei 2,93%. Das sind 0,36 Prozentpunkte niedriger als noch am 1. Dezember 2023, so das Vergleichsportal Check24.
„Die gesunkenen Renditen für zehnjährige Bundesanleihen und die sich entspannende Inflation sorgen für fallenden Bauzinsen“, sagt Ingo Foitzik, Geschäftsführer Baufinanzierung bei CHECK24. „Die Banken haben diese Entwicklung bereits eingepreist. Wir rechnen in den nächsten Wochen eher mit einer Seitwärtsbewegung als mit stark fallenden Zinsen. Immobilienkäuferinnen und -Käufer sollten sich jetzt um ihre Finanzierung kümmern und nicht auf weitere Senkungen spekulieren.“
Die Bauzinsen orientieren sich an der Entwicklung der zehnjährigen Bundesanleihe.
EZB-Sitzung im Januar: Kein Hinweis auf mögliche Senkung des Leitzinses
Auf ihrer letzten geldpolitischen Sitzung am 25. Januar beschloss die EZB, wie allgemein erwartet, die Leitzinsen auf ihrem Rekordhoch von 4,5% zu belassen und gab keinen Hinweis darauf, wann sie mit Zinssenkungen beginnen könnte.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte sich im Vorfeld gegen aggressive Wetten des Marktes auf Zinssenkungen gewehrt. "Natürlich sind die Zentralbanker nicht glücklich über den zusätzlichen Druck der Investoren, die Zinsen zu senken, aber angesichts der fragilen Lage der europäischen Wirtschaft und der im Dezember auf nur 2,9 % gesunkenen Inflation glauben wir, dass die Sterne für anstehende Zinssenkungen günstig stehen", so Field von Morningstar.
Senkt die Fed vor der EZB die Zinsen?
Dennoch hat die EZB viel mehr Spielraum für Zinssenkungen als ihr Pendant auf der anderen Seite des Atlantiks. Letztes Jahr erwarteten die Märkte, dass die Zentralbanken gleichzeitig mit Zinssenkungen beginnen würden, und deshalb lag auch hier in Europa der Fokus auf der Fed, sagt Morningstar's Field. Aber die US-Wirtschaft ist widerstandsfähiger, so dass die Fed eine schwierigere Aufgabe hat, fügt Field hinzu.
Die Europäer sollten nicht auf die USA schauen, um den Weg der geldpolitischen Lockerung zu gehen.
Seit Juli 2023 hält die US-Notenbank den Leitzins in einem Zielbereich von 5,25 % bis 5,50 %, der weit über den in den letzten zehn Jahren üblichen Werten liegt. "Wir gehen jedoch davon aus, dass die erste Senkung des Leitzinses im Mai oder Juni 2024 erfolgen wird, so dass der Zinssatz Ende 2024 bei 4,00 % bis 4,25 % liegen wird", so Preston Caldwell, leitender US-Ökonom bei Morningstar Research Services.
Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.