Wann ist in Deutschland die Rezession zu Ende?

Die Auftragseingänge in der deutschen Industrie brachen im Januar ein, die deutsche Wirtschaft dümpelt vor sich hin. Wann könnte es wieder bergauf gehen? 

Antje Schiffler 07.03.2024
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Rezession Deutschland

Der deutsche Wachstumsmotor kommt nicht in Gang. Um 0,3% ging die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr zurück, und auch dieses Jahr sieht es trübe aus. Gerade einmal 0,5% Wachstum traut der Internationale Währungsfonds (IWF) Europas größter Wirtschaft in diesem Jahr zu – das ist der letzte Platz unter den Industrienationen.

"Die deutsche Wirtschaft ist wie gelähmt", urteilt das ifo-Institut. Anders als erwartet, befindet sich die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr 2023/24 in einer Rezession. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde in diesem Jahr nur um 0,2% im Vergleich zum Vorjahr zunehmen. In der vorigen Konjunkturprognose im Winter 2023 hatte das Institut noch mit einem Wachstum von 0,9% gerechnet. 

Für 2025 rechnet das ifo nun mit einem Plus von 1,5%. Das sind 0,2 Prozentpunkte mehr als in der vorigen Prognose. "Insbesondere die Erholung der Industriekonjunktur setzt erst später ein", heißt es zur Begründung. 

Damit hinkt Deutschland weiter den europäischen Nachbarn hinterher. Nicht nur ist dort die Stimmung besser und die Unsicherheit niedriger; auch deuten die entsprechenden Indikatoren bereits seit Herbst 2023 auf eine allmähliche Erholung hin.

Auch das IfW Kiel revidiert die Erwartungen aus der Winterprognose deutlich um 0,8 Prozentpunkte nach unten auf nun 0,1 % für das Gesamtjahr 2024. Damit wird die deutsche Wirtschaft mehr oder weniger stagnieren. 

Gründe: Privater Konsum und Exporte erholen sich später bzw. weniger dynamisch, zudem zeigen sich die Investitionen äußerst schwach. Für 2025 belässt das IfW Kiel seine Prognose unverändert und sieht den Zuwachs der Wirtschaftsleistung bei 1,2 Prozen 

"Im Vergleich zu anderen großen europäischen Ländern fällt Deutschland spürbar ab: Nicht nur ist dort die Stimmung besser und die Unsicherheit niedriger; auch deuten die entsprechenden Indikatoren bereits seit Herbst 2023 auf eine allmähliche Erholung hin", heißt es. 

„In der deutschen Konjunktur drücken zurzeit eine ganze Reihe von Faktoren auf Stimmung und Wirtschaftsdaten. Die Exportwirtschaft leidet unter einer schwächelnden Weltkonjunktur, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wirkt restriktiv und dürfte das auch noch bis ins kommende Jahr hinein tun, und die Sparanstrengungen der Bundesregierung kommen zu einem ungünstigen Zeitpunkt und versprühen zusätzlichen Pessimismus“, sagte Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel, anlässlich der aktuellen Konjunkturprognose,.

Es ist gerade einmal zwei Wochen her, als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Zustand der deutschen Wirtschaft als "dramatisch schlecht" bezeichnete. Die Bundesregierung revidierte die BIP-Prognose im Jahreswirtschaftsbericht auf 0,2% von zuvor 1,3% nach unten im 

"Bedenklich ist, dass die deutsche Wirtschaft seit dem Ausbruch von Corona in der Grundtendenz kaum gewachsen ist. Das ist selten und weckt Erinnerungen an die Jahre nach dem Platzen der Aktienmarktblase Anfang des Jahrtausends", sagt Jörg Kramer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Insgesamt ist die deutsche Wirtschaft seit 2019, dem Jahr vor dem Ausbruch der Pandemie, gerade einmal 0,7% gewachsen.

Warum ist Deutschland in die Rezession gestürzt?

Die Folgen der globalen Krisen belasten die deutsche Wirtschaft. Energiekrise und geopolitische Spannungen verunsicherten Produzenten, Investoren sowie Verbraucher. Der Welthandel verlor an Dynamik, die schwache Nachfrage aus dem Ausland führt zu rückläufigen Ausfuhren. Insgesamt schrumpften die deutschen Exporte in 2023 um 1,4% gegenüber dem Vorjahr. Insbesondere die Exporte nach China und ins Vereinigte Königreich gingen zurück.

Hohe Energiepreise, die 2022 infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine extrem gestiegen waren, haben sich zwar zuletzt etwas beruhigt, verharren aber auf hohem Niveau und belasteten insbesondere die Industrieproduktion.

Wirtschaftskrise in Deutschland: BIP im 4. Quartal rückläufig

Aber auch die Binnennachfrage schwächelt. Die hohe Inflation und damit einhergehend niedrigere Reallöhne dämpfen die Konsumausgaben der Verbraucher. Zwar ging die Inflationsrate zuletzt leicht zurück - auf 2,9% im Januar, wie die neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes (destatis) zeigen. Doch das Preisniveau auf allen Wirtschaftsstufen bleibt hoch und dämpft die Konjunktur weiterhin.

  

 

Ebenfalls dämpfend wirkt die Straffung des Haushaltes nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November. Denn die notwendigen Einsparungen des Staates dürften die Binnennachfrage weiter belasten, erwartet DBRS Morningstar. So werde der zukünftige Haushaltsspielraum Berlins durch das Gerichtsurteil, das die Schuldenbremse stärkt, deutlich eingeschränkt. Die Schuldenbremse begrenzt die strukturelle Nettokreditaufnahme der Regierung auf 0,35 % des BIP. Eine Änderung der Schuldenbremse ist angesichts der benötigten Zweidrittelmehrheit im Bundestag in naher Zukunft unwahrscheinlich. 

Hinzu kommen ungünstige Finanzierungsbedingungen durch steigende Zinsen, bemerkt destatis weiter. Dies belastet insbesondere die Baukonjunktur. Im vierten Quartal gingen laut der Behörde besonders die Investitionen in Bauten und in Ausrüstungen gegenüber dem Vorquartal zurück und waren somit für das rückläufige BIP mit verantwortlich. 

Die leichte Erholung der deutschen Wirtschaft vom tiefen Einbruch im Corona-Jahr 2020 setzte sich somit 2023 nicht weiter fort, konstatierte das Amt. 

Technische Rezession - was ist das?

An einer technischen Rezession ist Deutschland noch gerade einmal vorbeigeschrammt - bisher. Von einer technischen Rezession spricht man, wenn das BIP-Wachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen negativ ist. In ihrer letzten Veröffentlichung für das - negative - vierte Quartal revidierte destatis die BIP-Veränderung für das dritte Quartal auf 0 von zuvor -0,1% (und für das zweite Quartal von +0,1% auf 0). Streng genommen ist Deutschland also (noch) nicht in der technischen Rezession.

Allerdings sprechen Wirtschaftsinstitute oft von einer Rezession, wenn die Kapazitäten einer Volkswirtschaft nicht voll ausgeschöpft werden. Sie ermitteln, wie hoch die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Optimalfall wäre, also alle Arbeiter und Maschinen ausgelastet wären. Das ist das sogenannte Produktionspotenzial. Stehen zwei Quartale hintereinander zu viele Maschinen still, dann sprechen Wirtschaftsforscher von einer Rezession. Diese zwei Herangehensweisen sind der Grund dafür, dass an manchen Stellen davon gesprochen wird, dass Deutschland sich bereits in der Rezession befindet - an anderen Stellen aber nicht.

Wie lange wird die Rezession in Deutschland dauern?

Ökonomen sind sich relativ einig, dass wir 2024 kein Wachstumswunder in Deutschland erleben werden. "Deutschland ist ein gutes Barometer für Europa insgesamt, das sich 2023 schwer getan hat. Die EU-Kommission geht davon aus, dass das BIP-Wachstum 2024 positiv sein wird, wenn auch nur leicht", sagt Michael Field, European Market Strategist bei Morningstar. "Es ist wahrscheinlich, dass das Wachstum irgendwann im nächsten Quartal positiv sein wird."

Er betont: "Letztendlich ist es aber egal, ob die deutsche Wirtschaft wie im Jahr 2023 leicht zurückgeht oder wie in diesem Jahr erwartet leicht ansteigt. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die Wirtschaft im Grunde genommen nicht schnell wächst - zumindest im Moment."

"Die deutsche Wirtschaft dürfte auch 2024 stärker unter Druck bleiben: das einstige deutsche Geschäftsmodell (billige Energie, gut ausgebildete Leute, gute Exportmärkte) bleibt stark unter Druck", so das Strategie-Team von DJE.

Zwar dürfte der zyklische Gegenwind in den kommenden zwei Jahren nachlassen, erwartet DBRS Morningstar. Doch es gibt langfristigere Risiken: die demographische Entwicklung des Landes, hohe Energiekosten, die Umstellung der globalen Automobilindustrie hin zu Elektromobilität sowie eine potenzielle Lastenteilung innerhalb der Währungsunion. Aber zurück zum Jahr 2024 und der Frage, wann es denn wieder bergauf gehen könnte mit der Konjunktur hierzulande. Hier ein paar Einschätzung für das deutsche Bruttoinlandsprodukt in 2024:

Die Deutsche Bank schrieb im Dezember, sie erwarte eine milde Rezession im Winterhalbjahr, gefolgt von einer schrittweisen Erholung vom Frühjahr an. Unterstützung werde von den privaten Haushalten kommen, die bei steigenden Reallöhnen das Shoppen wiederentdecken könnten. Allerdings könnte dies noch ein wenig dauern, die Daten zum Verbrauchervertrauen waren zuletzt nicht euphorisch.

Die schwache Wirtschaft und die zahlreichen strukturellen Probleme würden auch den Arbeitsmarkt ausbremsen. Die Arbeitslosenquote werde 2024 leicht steigen auf 6% von 5,7% im Jahr 2023. Der Druck der Gewerkschaften werde zu Lohn- und Gehaltserhöhungen von heftigen 5,5% führen, so die Ökonomen um den Chefvolkswirten Stefan Schneider.

Insgesamt erwartet das Bankhaus einen Rückgang des BIP von 0,2% für das Gesamtjahr. Davon ist auch etwas hausgemacht, nämlich die Probleme rund um die Schuldenbremse. Diese werde Deutschland ein Dämpfer im BIP-Wachstum von 0,5% geben, so die Ökonomen im November. Sie revidierten daraufhin ihre BIP-Prognose von +0,3% auf die nun eben -0,2% zurück.

Schon etwas optimistischer zeigt sich die Deutsche Bundesbank. Ab Beginn des Jahres 2024 dürfte die deutsche Wirtschaft wieder auf einen Expansionspfad einschwenken und nach und nach Fahrt aufnehmen, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel. Die Bank erwartet 2024 ein Wachstum von 0,4%. Sie hofft, dass die Auslandsnachfrage anzieht und mit fallenden Finanzierungskosten die Investitionen anstoßen. Am Markt wird erwartet, dass die Europäische Zentralbank (EZB) bald mit den Zinssenkungen beginnen wird.

Die OECD schraubte in ihrem Zwischenbericht zur wirtschaftlichen Lage ihre Erwartungen an das Wachstum von ihrer letzten Prognose im November um 0,3 Prozentpunkte auf nun +0,3% herunter. Für 2025 erwartet sie nun 1,1% (von zuvor 1,2%). Der Investitionsbedarf in Deutschland sei hoch - Verschiebungen der Lieferketten, Digitalisierung und die Umstellung auf Erneuerbare Energien werden Gelder anziehen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht Deutschland am unteren Ende des Wachstums unter den wichtigen Industrieländern und hat die Erwartungen nach unten geschraubt. Die Prognose für Deutschland wurde um 0,4 Prozentpunkte auf 0,5 % nach unten korrigiert. Für die gesamte Eurozone rechnet der Fonds mit einem Anstieg BIP von 0,9%.

Auch die DZ Bank sieht die Wirtschaft bereits im zweiten Quartal auf einen moderaten Wachstumskurs zurückkehren. "Wir sehen noch einen weiteren leichten BIP-Rückgang in Deutschland im ersten Quartal, ab dem zweiten Quartal dürfte es aber wieder leicht aufwärts gehen", so Sven Streibel, Chef-Aktienstratege von der DZ Bank. Die Prognosen für die kommenden vier Quartale: Q1 -0,1% gegenüber dem Vorquartal; Q2 0%; Q3 +0,6%; Q4 +1,4%).

"Wir rechnen mit einer zaghaften und schrittweisen wirtschaftlichen Verbesserung und einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts im Gesamtjahr um 0,5%", so Streibel. Die Bank erwartet einen Rückgang der Inflationsrate auf 3,2% im Jahresdurchschnitt - was die privaten Konsumausgaben befeuert. Zudem dürfte sich die Weltwirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2024 erholen, so dass die Exporte anziehen dürften.

Pessimistischer sind die Experten von Eyb & Wallwitz. "Die Rezession wird wohl nicht vor der Jahresmitte enden. In der zweiten Jahreshälfte dürfte der Rückgang der Inflation die reale Kaufkraft stärken und den inländischen Konsum wieder etwas anschieben und gleichzeitig der Geldpolitik Raum für Lockerungen geben. Aber auch dann dürfte die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland insgesamt schwach bleiben", erwartet Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt von Eyb & Wallwitz.

Ein Risiko für eine konjunkturelle Erholung geht von einem noch stärkeren Rückgang der Auslandsnachfrage nach deutschen Produkten aus. Gleichzeitig könnte die heimische (Automobil-)Industrie durch Konkurrenzprodukte auch China im Inland weiter Marktanteile verlieren. Relativ krisenresistent sind Branchen, die von den dominanten säkularen Wachstumstrends in der Digitalen Welt und dem Gesundheitsbereich profitieren, so Mayr. "Leider sind diese in Deutschland vor allem im Vergleich zu den USA weniger stark vertreten. Von einer Erholung des privaten Verbrauchs würden kurzfristig die Konsumgüterkonzerne profitieren.“

Und was sagt die Bundesregierung? Sie rechnet angesichts der zuletzt weiter schwachen Frühindikatoren, anhaltender und neu hinzugekommener geopolitischer Krisen, die zu steigenden Transportkosten und Verzögerungen in Lieferketten führen können, sowie temporär administrativ erhöhter Verbraucherpreise auch für das erste Quartal dieses Jahres noch nicht mit einer konjunkturellen Trendwende.

Wie ist die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland?

Die deutsche Industrie hat im Januar erheblich weniger Aufträge erhalten als im Vormonat. Der kräftige Rückgang um 11,3% folgt jedoch auf einen starken Zuwachs im Dezember. Dieser wurde von bisher 8,9 Prozent auf 12,0 Prozent revidiert, so das Statistische Bundesamt. Der starke Anstieg im Dezember ist aber auf Großaufträge zurückzuführen, insbesondere wurden im Dezember 2023 außergewöhnlich viele Flugzeuge bestellt. Negativ beeinflusste das Gesamtergebnis hingegen die Automobilindustrie.

Die Einzelhandelsumsätze für den Januar waren eine Enttäuschung, Exporte brachen im Dezember ein und der Arbeitsmarkt stockts und führte zum erwarteten Anstieg der Arbeitslosigkeit. 

Die Industrieproduktion fiel auf den niedrigsten Stand seit 14 Jahren (Corona-Effekt exklusive). Die reale (preisbereinigte) Produktion im Produzierenden Gewerbe ist nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) im Dezember 2023 gegenüber November 2023 saison- und kalenderbereinigt um 1,6 % gesunken.

Frühindikatoren geben ein uneinheitliches Bild: Während sich die Konsumstimmung bei den privaten Haushalten tendenziell verbessert, wird die Geschäftslage im Einzelhandel nach Umfragen von ifo und Handelsverband HDE eher als unbefriedigend bewertet.


Rezession und Rekordhoch beim DAX - wie passt das zusammen?

Der Dax hat sich nach der Rekordrally in der vergangenen Woche neue Allzeithochs markiert - trotz der konjunkturellen Sorgen. Der DAX hat bisher von seinem Auslands-Exposure profitiert, erklärt Streibel von der DZ Bank. Denn der Löwenanteil der Umsätze erzielen die DAX-Konzerne in den USA und China.

Aber dennoch: die deutsche und europäische Wirtschaftsschwäche geht nicht komplett an den Unternehmen vorbei. "Der Aktienmarkt antizipiert i.d.R. den relevanten Wirtschaftszyklus zirka 6 Monate im Voraus. Unser moderat positiver Wirtschaftsausblick ist da ein weiteres guten Vorzeichen für die weitere DAX-Entwicklung", so Streibel. Die Aktienstrategen der DZ Bank hatten ihre Prognose für den DAX kürzlich angehoben, und zwar auf 18.200 Punkte als Jahresendziel.

 

 

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.