Die Erdgaspreise in Europa waren in diesem Frühjahr aufgrund des kalten Wetters und geringerer Lieferungen aus Norwegen unbeständig. Doch während wir auf den Sommer zusteuern, bereitet sich die Europäische Union bereits auf den nächsten Winter vor.
Bislang sind die Aussichten vielversprechend: Die europäischen Gasspeicher sind zu 63,2% gefüllt (Stand: 5. Mai). Das ist mehr als 2023 und mehr als der Durchschnitt der letzten fünf Jahre (47%). Dieser Stand ist der zweithöchste im Jahr 2020, als der Einbruch der weltweiten Nachfrage im Zuge der Covid-Pandemie die Futures-Kontrakte auf unter 9 € drückte. Und ein Analyst sagt voraus, dass die europäischen Gasspeicher bis zum Beginn des Winters 2024 eine Kapazität von 100% erreichen könnten. Aber es gibt Risiken, denn die chinesische Nachfrage nach LNG steigt und Europa konkurriert um die Lieferungen.
Am niederländischen TTF-Markt wurde der Frontmonats-Future (Stand 8. Mai) mit rund 31 € pro Megawattstunde gehandelt. Das ist dasselbe Niveau wie vor drei Jahren und fast die Hälfte der 54 €/MWh, die am 8. Oktober letzten Jahres erreicht wurden - dem Tag des Hamas-Angriffs auf Israel, der eine massive militärische Gegenoffensive auslöste.
„Die Erdgaspreise in Europa waren im April recht volatil“, so Warren Patterson, Leiter der Rohstoffstrategie bei ING, in einer am 7. Mai veröffentlichten Analyse.
„Die Monats-Futures an der TTF stiegen von knapp über 25 €/MWh Anfang April auf fast 34 €/MWh zur Monatsmitte, bevor sie am Monatsende unter 30 €/MWh fielen. Anfang Mai stiegen die Preise jedoch wieder an. Geringere norwegische Gaslieferungen nach Europa und ein später Kälteeinbruch in weiten Teilen des Kontinents erhöhten die Heizungsnachfrage in der zweiten Aprilhälfte.“
Laut Patterson wird diese Volatilität jedoch nur vorübergehend sein: „Europa wird vor dem Beginn der nächsten Heizsaison einen Speicherstand von 100% erreichen.“
„Das sollte den Druck auf die Preise aufrechterhalten und wir erwarten, dass die TTF für den Rest der Vorwintersaison bei durchschnittlich 25 €/MWh liegen wird.“
Die folgende Karte zeigt die Unterschiede zwischen den Ländern in Bezug auf die Gasspeicher.
EU weniger abhängig von Russlands Energie
Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine gelang es der EU, auf russische Pipeline-Gasimporte mehr oder weniger zu verzichten. Nach dem schmerzhaften Anstieg der Energiepreise im Jahr 2022 hat Europa dank einer Kombination aus mildem Wetter und sinkender Nachfrage einen stetigen Preisrückgang erlebt. Gleichzeitig nehmen die LNG-Importe (Flüssigerdgas) und die dafür benötigte Infrastruktur rasant zu.
Nach Angaben von Bruegel, einem in Brüssel ansässigen politisch-ökonomischen Thinktank, hat dieEU die russischen Importe fossiler Brennstoffe von maximal 16 Mrd. USD pro Monat Anfang 2022 auf rund 1 Mrd. USD pro Monat Ende 2023 reduziert.
Obwohl Russland nicht mehr die außerordentlich hohen Exporteinnahmen von Anfang 2022 hat, sind seine Einnahmen aus den Exporten fossiler Brennstoffe immer noch vergleichbar mit denen von 2019. Vor allem, weil das Land seine Öl- und Gasexporte nach China, Indien und in die Türkei verlagert hat. Um den Rückgang der russischen Importe auszugleichen, hat Europa seine Einfuhren aus anderen Ländern erhöht.
Europa braucht mehr LNG
Die weltweite Nachfrage nach LNG ist auf Rekordniveau. Europa importiert zwar immer mehr LNG, steht aber auch im Wettbewerb mit China um den Rohstoff.
Europas LNG-Importe haben sich von 20 % im Jahr 2019 auf 40 % im Jahr 2023 verdoppelt, vor allem dank einer Verfünffachung der Importe aus den USA. Die Einfuhren von russischem LNG sind ebenfalls gestiegen, aber in absoluten Zahlen entsprach dieser Anstieg weniger als 10% des Gastransits durch die Nord Stream-Pipeline, als diese noch in Betrieb war.
Nach Angaben von Energy Outlook Advisors (EOA) zeigen Schiffsbewegungs-Daten, dass die weltweite LNG-Nachfrage im Jahr 2023 mit 401 Millionen Tonnen (mt) ein Allzeithoch erreicht hat, gegenüber 390 mt im Jahr 2022, das bereits ein Rekordjahr war. Diese Nachfrage ist auf einen begrenzten Ausbau neuer Kapazitäten und niedrigere Spotpreise als im Jahr 2022 zurückzuführen.
Der Anstieg der LNG-Nachfrage hat die europäischen Länder anfällig für Marktschwankungen gemacht, zumal 70 % dieser Importe über kurzfristige Verträge bezogen werden. Im vergangenen Jahr hat das außergewöhnlich milde Winterwetter die Heiznachfrage sowohl in Europa als auch in Asien reduziert. Neben dem milden Wetter hat auch der wirtschaftliche Abschwung in China zwischen 2022 und der ersten Hälfte des Jahres 2023 die LNG-Importe Pekings reduziert, aber das könnte sich jetzt ändern.
Chinesische Wirtschaft belebt sich wieder
Angetrieben von der chinesischen Nachfrage blieb Asien auch 2023 der wichtigste Bestimmungsort für LNG-Ladungen auf dem Seeweg und erhielt mehr als 258 Mio. Tonnen oder 64 % der weltweiten Nachfrage. Den Daten der EOA zufolge überholte China im vergangenen Jahr mit einem Anstieg der Importe um 13,7 % Japan als weltgrößten LNG-Importeur, nachdem die chinesische Gasnachfrage 2022 durch die Schwäche der Industrie in Folge der Covid-Lockdowns und durch hohe LNG-Spotpreise, die von der europäischen Nachfrage getrieben wurden, beeinträchtigt war.
Jetzt zeigt die chinesische Wirtschaft jedoch Anzeichen des Erwachens: Im ersten Quartal 2024 lag das BIP-Wachstum mit +5,3 % im Vergleich zum Vorjahr über den Markterwartungen und sogar über dem bereits ehrgeizigen Ziel, das sich die Regierung in Peking gesetzt hatte (die ein Wachstum von etwa +5 % anstrebte).
Und in der Tat: Nach Schätzungen des staatlich kontrollierten Economic and Technology Research Institute (ETRI) erreichten die chinesischen Erdgasimporte - sowohl per Pipeline als auch per Schiff - im ersten Quartal mit 33 Mio. Tonnen ein Allzeithoch. Allein im März gab es einen Anstieg von 21% gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig wird laut ETRI erwartet, dass China im Jahr 2024 eine neue LNG-Empfangskapazität in Rekordhöhe von 60 Mio. t pro Jahr aufbauen wird, wodurch sich die Gesamtkapazität auf 176 Mio. t pro Jahr erhöht. Das wäre ein Anstieg von 52 % gegenüber 2023.
Laut der US Energy Information Administration (EIA) ist „der wachsende LNG-Verbrauch in Asien eine wichtige Unsicherheit mit potenziell großen Auswirkungen auf die globalen Märkte“.
„Das Fehlen langfristiger Verträge in Europa erhöht das Versorgungsrisiko bei kalter Witterung und Preisspitzen und könnte auch den Wettbewerb um LNG-Spot zwischen den Regionen verschärfen“. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die globalen LNG-Märkte in den kommenden Jahren einen bescheidenen Anstieg des Angebots verzeichnen werden, so die EIA-Analysten.
Die Preise werden wohl volatil bleiben
Es gibt also eine Menge Unbekannte. „Die Gaspreise in Europa werden wahrscheinlich noch eine Weile volatil bleiben, da die EU mit dem preissensibleren China und in geringerem Maße mit Indien und Thailand um LNG-Ladungen konkurrieren muss“, sagt Stephen Ellis, Stratege bei Morningstar und Spezialist für Versorgungsunternehmen.
„Diese Dynamik führt zu einer größeren Unvorhersehbarkeit der Preise, da die Zuverlässigkeit der LNG-Ladungen kurzfristig nicht zum optimalen Preis gewährleistet ist.
Allerdings rechnet der Markt derzeit nicht mit großen Ausschlägen in den kommenden Monaten. An der TTF werden Erdgas-Terminkontrakte mit Fälligkeit im Dezember 2024 zu 37,5 €/MWh gehandelt (rund 20 % über dem aktuellen Niveau), während die Kontrakte für Januar und Februar 2025 zu rund 37,9 €/MWh gehandelt werden.
„Da die Speicher in der EU und den USA sehr voll sind, werden die Gaspreise bis 2024 wahrscheinlich extrem niedrig bleiben, bevor sie sich 2025 erholen, wenn die Nachfrage nach LNG wieder steigt“, fügt Ellis hinzu.
Vor diesem Hintergrund sehen die Morningstar-Analysten die besten Chancen bei Unternehmen, die die Gasnachfrage zu vergünstigten Preisen nutzen, wie z.B. (KMI) und TC Energy (TRP), die von der steigenden Nachfrage und dem Angebot an LNG profitieren werden.
Die Tabelle oben zeigt, welche börsengehandelten Rohstofffonds in Erdgas investiert sind.
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