Europäischen Aktien, die bereits nahe an ihren Höchstständen gehandelt werden, bekamen nur eine leichte Delle, als die EZB am 6. Juni vorsichtige Kommentare zur Inflation und ihrem erwarteten Zinssenkungspfad veröffentlichte. Die Zentralbank hatte gerade, wie allgemein erwartet, die Zinssätze gesenkt, und Investoren konzentrierten sich auf Hinweise darauf, wie viele weitere Zinssenkungen 2024 noch zu erwarten sind.
Die angehobene Inflationsprognose der EZB dämpfte die Hoffnungen auf eine weitere Zinssenkung im Juli, der die Märkte bereits vor der Ankündigung nur eine geringe Wahrscheinlichkeit von etwa 10% beigemessen hatten. Während der ersten Erklärung der Zentralbank und der anschließenden Pressekonferenz weigerte sich Präsidentin Christine Lagarde zu sagen, ob die EZB für den Rest des Jahres einen Zinssenkungspfad eingeschlagen hat.
Für Michael Field, Stratege für europäische Märkte bei Morningstar, „ist die Frage, ob 2024 weitere Zinssenkungen folgen werden, noch offen. Die meisten Ökonomen denken so. Ich würde dem zuzustimmen, denn die Inflation ist weit genug gesunken, um das zu rechtfertigen, und die Zinssätze auf dem derzeitigen Niveau geben der EZB reichlich Spielraum für Zinssenkungen, ohne dass sie ein Wiederaufleben der Inflation befürchten muss", erklärt er.
Warum liegen europäische Aktien nahe ihren Höchstständen?
Zwischen Jahresbeginn und dem Zeitpunkt, an dem die EZB die Zinsen senkte, stiegen die europäischen Aktienmärkte um fast 9%.
Dieser Anstieg lässt sich durch die Gewinnschätzungen für europäische Aktien erklären, die seit Jahresbeginn um 2,8% nach oben korrigiert wurden, sowie durch den Anstieg des Bewertungs-Multiplles (KGV), das von 13 auf 13,8 stieg. Auf diesem Niveau liegt es leicht unter seinem historischen Durchschnitt von 14x.
„Historisch gesehen stiegen die europäischen Aktienmärkte in 9 von 11 Fällen 12 Monate nach der ersten Zinssenkung und zwar im Durchschnitt um 20%“, kommentierten die Strategen der Deutschen Bank am Freitag. "Anders als heute begannen die meisten der früheren Zinssenkungszyklen, als sich die Wirtschaft in einer Rezession befand. Diesmal profitieren die Märkte von den Zinssenkungen, während das Wirtschaftswachstum anzieht und sich die Inflation normalisiert - ein Goldlöckchen-Szenario."
Laurent Chaudeurge, Fondsmanager bei BDL Capital Management, sieht ebenfalls weiteres Potenzial, wenn die wirtschaftlichen Trends anhalten: "Die Rückmeldungen, die wir von den Unternehmen erhalten, zeigen, dass der Lagerabbau des letzten Jahres vorbei ist. Die Ergebnisse für das zweite Quartal 2024 waren besser als die für das erste, aber wir haben noch keine sehr deutliche Erholung gesehen", sagte er am Freitag am Telefon gegenüber Morningstar. „Wir brauchen daher die zweite Jahreshälfte, um diese Erholung zu bestätigen, und wir brauchen ein weiteres Wachstum der Erträge in der zweiten Jahreshälfte, das von einer günstigen Vergleichsbasis mit der zweiten Jahreshälfte 2023 profitieren sollte.“
Welche Sektoren könnten von weiteren Zinssenkungen profitieren?
Zur Beantwortung dieser Frage können die jüngsten sektoralen Entwicklungen an den europäischen Aktienmärkten einen Hinweis geben, da die Zinssenkung vom Donnerstag bereits in den Bewertungen eingepreist war.
Zu den Sektoren, die in diesem Jahr am meisten zulegten, gehören Finanz- und Telekommunikationswerte, die empfindlicher auf Zinssenkungen reagieren, aber auch Technologie- und Industriewerte, die stärker von den Aussichten für das Wirtschaftswachstum abhängen.
„Die Aussicht auf ein günstigeres makroökonomisches Umfeld dürfte Aktien im Allgemeinen und zyklischen Sektoren wie Industriewerten im Besonderen zugute kommen“, schreiben Mathieu Racheter, Stratege bei Julius Bär, und Christian Gattiker, Analyst bei Julius Bär, in einer Mitteilung vom 31. Mai.
Die Strategen der Deutschen Bank bevorzugen Grundstoff- und Chemietitel, die „aufgrund der sich verbessernden globalen Produktionstätigkeit immer noch Potenzial für weitere Kurssteigerungen bieten.“ In Bezug auf die Zinssensitivität bieten Basiskomponenten und Wohnimmobilien das größte Aufwärtspotenzial".
Warum sind Aktien nach der Zinssenkung vom Donnerstag nicht gestiegen?
„Es ist klar, dass eine Senkung um 25 Basispunkte nicht ausreicht, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln oder auch nur die Kosten für den Schuldendienst der europäischen Unternehmen wesentlich zu senken“, sagt Michael Field von Morningstar.
"Dennoch steht diese Senkung symbolisch für einen Richtungswechsel der EZB. Die Vorstellung, zu einem normaleren Zinsumfeld zurückzukehren, in dem sich die Leitzinsen bei etwa 2% stabilisieren, reicht aus, um die Aktienmärkte zu begeistern."
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