Wie tief wird die EZB die Zinsen senken?

Die Märkte rechnen jetzt mit stärkeren Zinssenkungen für 2024 als noch vor einigen Monaten.

Antje Schiffler 14.08.2024
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ECB

Die Europäische Zentralbank hat ihren Zinssenkungszyklus im Juni eingeleitet, im Juli die Füße stillgehalten und dürfte nun bei ihrer nächsten geldpolitischen Sitzung am 12. September eine zweite Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte vornehmen. Im Laufe des Sommers hat sich viel geändert, und die Anleger erwarten nun stärkere Zinssenkungen im Jahr 2024 als noch vor den EZB-Sitzungen im Juni und Juli.

"Die aktuellen Erwartungen der Ökonomen deuten auf zwei oder mehr Zinssenkungen in diesem Jahr hin, in einem Umfang von rund 0,75 Prozentpunkten. Damit würde der Hauptrefinanzierungssatz von seinem Höchststand von 4,25% zu Beginn des Jahres auf 3,5% sinken", sagte Morningstar European Equity Strategist Michael Field am Montag.

Anfang Juni rechneten die Märkte noch mit Zinssenkungen von weniger als 0,60 Prozentpunkten für den Rest des Jahres. Da EZB-Präsidentin Christine Lagarde bereits signalisierte, dass der Rat es vorzieht, Zinsentscheidungen zeitgleich mit den Sitzungen zur makroökonomischen Prognose zu treffen, rückten die Sitzungen im September und Dezember in den Mittelpunkt.

Im Juni hatte die Bank die folgenden Änderungen an den Zinssätzen vorgenommen:

  • Hauptrefinanzierungssatz: 4,25%, gesenkt von 4,50%;

  • Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität: 4,50%, anstelle von 4,75%;

  • Zinssatz für die Einlagefazilität: 3,75%, statt 4,00%.

 

Warum preisen die Anleger jetzt weitere EZB-Zinssenkungen ein?

"Angesichts der Ungewissheit im Zusammenhang mit den Zinsentscheidungen der Federal Reserve scheint die Erwartung bezüglich Zinssenkungen hier in Europa recht hoch zu sein. Die makroökonomischen Daten in Europa sprechen nach wie vor für Zinssenkungen. Das BIP-Wachstum im Jahr 2024 ist zwar positiv, aber immer noch relativ schwach, und die Daten für das verarbeitende Gewerbe und die Industrie tendieren derzeit seitwärts. Darüber hinaus wurde der jüngste Ausverkauf an den Aktienmärkten durch die Befürchtung ausgelöst, dass die US-Notenbank die Zinsen zu langsam senkt, was sich in den Köpfen der EZB-Entscheidungsträger festsetzen könnte", so Field weiter.

Wie oft wird die EZB die Zinsen im Jahr 2024 senken?

Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass die erwarteten Kürzungen in vorsichtigen Schritten von 0,25 Prozentpunkten erfolgen werden, da die Unsicherheit über die Konjunktur in der Eurozone und die nächsten Schritte der US-Notenbank groß ist.

Damit rückt die Oktober-Sitzung - zusätzlich zu September und Dezember - in den Fokus.

Bloomberg-Daten zufolge ist für eine weitere Zinssenkung im Oktober inzwischen eine nennenswerte Wahrscheinlichkeit eingepreist, sagt Marc Schattenberg, Senior Economist bei Deutsche Bank Research. Die Bank hält an ihrem Basisszenario von zwei Zinssenkungen um jeweils 0,25 Prozentpunkte für September und Dezember fest, "wobei das Risiko jedoch in Richtung einer dritten Zinssenkung in diesem Jahr tendiert", sagte er am 12. August telefonisch gegenüber Morningstar.

Zudem rechnet die Bank mit vier weiteren Zinssenkungen um jeweils 0,25 Prozentpunkte im Jahr 2025, wodurch der Einlagensatz der EZB bis Ende 2025 um 1,5 Prozentpunkte sinken würde.

Schattenberg sagt, er erwarte, dass die EZB ihre konservativen Zinssenkungen von 0,25 Prozentpunkten bekräftigen und an ihrem datenabhängigen Ansatz mit Entscheidungen von Sitzung zu Sitzung festhalten werde. So bewahre der Rat die Flexibilität, um auf aktuelle makroökonomische Daten und Marktentwicklungen reagieren zu können. 

Außerdem könnte die US-Notenbank auf der anderen Seite des Atlantiks die Zinsen früher als zunächst erwartet senken, nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Schwäche am Arbeitsmarkt. Zwar handeln beide Zentralbanken autonom, doch würden etwas konzertierte Zinssenkungen die Zinsdifferenzen zwischen den beiden Wirtschaftsräumen eindämmen und unerwünschte Auswirkungen auf das Währungspaar Euro/Dollar verringern.

Inflation in der Eurozone "bewegt sich in die richtige Richtung"

In der Zwischenzeit bleibt die Gesamtinflation in der Eurozone erhöht, bewegt sich aber in die richtige Richtung und ist auf dem besten Weg, das EZB-Ziel von 2% im ersten Quartal 2025 zu erreichen, wähernd die Kerninflation noch bis in die zweite Jahreshälfte erhöht bleiben könnte, so Schattenberg. Vor allem die Inflationserwartungen der Verbraucher gehen zurück, was die Erwartung eines geringeren Lohnwachstums im Jahr 2025 untermauert.

Die aktuelle Inflationsrate der Eurozone für Juli zeigte einen leichten Anstieg der Inflation. Der Verbraucherpreisindex der Eurozone stieg im Juli um 2,6%, nach 2,5% im Juni, und lag damit über den Erwartungen der Ökonomen, die von einem weiteren Anstieg um 2,5% ausgingen. Die Kerninflation, die die Preise ohne Energie- und Nahrungsmittelkosten ausweist, blieb mit 2,9% den dritten Monat in Folge stabil. Volkswirte hatten eine leichte Verlangsamung der Kerninflation auf 2,8% erwartet.


Konjunktur in der Eurzone schwächelt 

Das Mandat der EZB besteht zwar auschließlich darin, die Inflation auf die angestrebte Rate von 2% zu drücken, aber die Crux dabei ist, dies zu erreichen, ohne die Eurozone in eine Rezession zu stürzen.

Niedrigere Zinssätze stimulieren tendenziell das Wirtschaftswachstum, während hohe Zinssätze Investitionen, Verbraucherausgaben und Exporte bremsen-- letzteres, da hohe Zinssätze den Euro gegenüber anderen Währungen stützen.

Das Wirtschaftswachstum der Eurozone bleibt verhalten. Im zweiten Quartal 2024 wuchs das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone im Vergleich zum Vorquartal um 0,3% und blieb damit gegenüber dem ersten Quartal des Jahres unverändert. Während einige große Volkswirtschaften wie Frankreich, Spanien und Italien Wachstumsraten wie im Vorquartal verzeichneten, schrumpfte das deutsche BIP dagegen wieder um 0,1%. 

Die schwache Entwicklung des verarbeitenden Gewerbes bremst die Wirtschaftstätigkeit in der größten Volkswirtschaft der Eurozone. "Der Anstieg der deutschen Industrieproduktion um 1,4% im Juni hat nur die Hälfte des Rückschlags im Mai wettgemacht. Zusammen mit anderen Frühindikatoren deutet dies auf einen schwachen Start in die zweite Jahreshälfte hin. Wir erwarten bestenfalls eine anämische Erholung", so die Commerzbank in einem Konjunkturbericht vom 7. August.

Wie wirken sich Zinssenkungen auf Sparer und Hypotheken aus?

Die Aktienmärkte tendieren dazu, bei erwarteten Zinssenkungen zu steigen. Auf den Anleihemärkten bedeuten sinkende Zinssätze niedrigere Renditen, was die Anleihekurse in die Höhe treibt. Niedrigere Zinssätze machen auch bestehende Anleihen, insbesondere solche, die bereits in Zeiten hoher Zinssätze ausgegeben wurden, für die Rendite attraktiver.

Gleichzeitig dürften die Zinsen für Sparguthaben auf Bankkonten sinken, was die Erträge der Sparer drosselt. Die Konditionen der Sparer hängen in erster Linie von der Einlagefazilität ab - denn damit werden Zinsen auf Bankeinlagen bei der Zentralbank gezahlt.

Kreditnehmer hingegen profitieren von den niedrigeren Zinssätzen, da Verbraucher- und Hypothekendarlehen günstiger werden. In ihrem jüngsten Konjunkturbericht erklärte die EZB, dass die Finanzierungskosten weiterhin restriktiv sind, da die vorangegangenen Leitzinserhöhungen weiterhin erst ihren Weg durch die Transmissionskette finden müssen. Der durchschnittliche Zinssatz für neue Unternehmenskredite sank im Mai leicht auf 5,1% gegenüber 5,2% im Vormonat, während die Hypothekenzinsen unverändert bei 3,8% blieben.

Wie stark haben BoE, SNB und SRB die Zinsen gesenkt?

Die Schweizerische Nationalbank war mit einer Zinssenkung von 0,25 Prozentpunkten im März und einer weiteren im Juni Vorreiterin unter den großen europäischen Zentralbanken. Die Bank of England war die letzte im Bunde und begann erst auf ihrer Sitzung im August mit Zinssenkungen. Hier ein Blick auf die Zinssätze der europäischen Zentralbanken:

 

 

 

 

 

 

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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.