Bei ihrer geldpolitischen Sitzung am 17. Oktober dürfte die Europäische Zentralbank den Leitzins erneut um 0,25 Prozentpunkte senken – und damit früher, als noch vor einem Monat erwartet. Dies haben einige Ratsmitglieder - einschließlich EZB-Präsidentin Christine Lagarde und dem französischen Notenbankchef François Villeroy de Galhau - in den vergangenen Tagen und Wochen recht deutlich durchblicken lassen.
“Die jüngsten Entwicklungen stärken unsere Zuversicht, dass die Inflation zeitnah wieder auf das Zielniveau zurückkehren wird”, sagte Lagarde bei einer parlamentarischen Anhörung der Europäischen Union am 30. September. “Wir werden dies bei unserer nächsten geldpolitischen Sitzung im Oktober berücksichtigen.”
Das Zielniveau der EZB für die jährliche Inflationsrate ist 2%, doch im September fiel die vorläufige Teuerungsrate mit 1,8% unter dieses Niveau.
Villeroy de Galhau wurde noch deutlicher: „Die EZB wird die Zinsen sehr wahrscheinlich im Oktober senken“, sagte der Franzose gegenüber der italienischen Zeitung La Repubblica.
Zinssenkungen im Oktober und Dezember wahrscheinlich
„90% der Ökonomen sagen für die nächste Woche eine Senkung des EZB-Einlagenzinssatzes um 25 Basispunkte vorher. Diese Entscheidung scheint damit so gut wie sicher zu sein. Das wird die dritte Zinssenkung um 25 Basispunkte seit Juni, und damit der langsame, methodische Rückgang der Zinssätze, den sich die EZB erhofft hat“, sagt Michael Field, European Market Strategist bei Morningstar.
Eine weitere Zinssenkung im Dezember gilt unter Experten ebenfalls als gesetzt, und auch die Geldmärkte preisen aktuell Schritte von 25 Basispunkten für den Oktober und Dezember ein.
„Die Inflation in Europa fiel im September auf 1,8%, den niedrigsten Stand seit mehr als drei Jahren, und lag damit unter dem von der Zentralbank angestrebten Wert von 2%. Zwar liegt die Kerninflation weiterhin darüber, doch ist die Zahl deutlich rückläufig, was ein positives Zeichen ist. Die Arbeitslosigkeit in Europa befindet sich ebenfalls auf einem Rekordtief, ist aber mit fast 6% im internationalen Vergleich hoch“, so Field weiter.
Inflation im Q4 wegen Basiseffekten wieder höher erwartet
„Wie bei jedem Programm zur Lockerung der Geldpolitik gibt es Risiken, aber zum jetzigen Zeitpunkt scheint das Risiko einer Überhitzung der Wirtschaft aufgrund weiterer Zinssenkungen gering zu sein. Natürlich möchte die EZB vorsichtig vorgehen und das richtige Zinsniveau finden, aber die Richtung, in die es geht, ist klar,” so Field. Ökonomen gehen davon aus, dass die EZB-Zinsen in den nächsten 12 Monaten auf 2,5% fallen werden.
Die jüngsten Äußerungen der Notenbanker sind ein interessanter Kontrast zur Septembersitzung, bei der Lagarde noch andeutete, dass die Datenlage vor Dezember wohl nicht ausreichen werde, um einen Zinsschritt zu rechtfertigen, sagt Konstantin Veit, Portfoliomanager bei Pimco, am 08. Oktober telefonisch gegenüber Morningstar. So lag die vorläufige Inflationsrate für den September von 1,8% im Rahmen der Markterwartungen und auch nicht weit entfernt von den hauseigenen EZB-Prognosen.
Zudem werde die Inflation im vierten Quartal wohl wieder steigen, da frühere starke Rückgänge der Energiepreise aus den jährlichen Raten herausfallen-- Ökonomen sprechen hier von “Basiseffekten”. Auch lag die Dienstleistungs-Inflation im September immer noch recht hoch bei 4%.
“Ich kann mir das so erklären, dass die EZB aus einer Risikomanagement-Perspektive heraus den Leitzins möglichst schnell auf 3% bringen will, was immer noch restriktiv ist”, so Veit. Schließlich haben die Konjunkturdaten für die Eurozone zuletzt enttäuscht. Allerdings, betont Veit, ist das Mandat der EZB - anders als bei ihrem US-Pendant - die Preisstabilität.
Schielt die EZB auf Wachstumsdaten?
Auch Carsten Brzeski von der ING verweist auf das Wording der EZB auf der Septembersitzung und in den zwei Wochen danach, aus dem klar die Präferenz für einen nächsten Zinsschnitt im Dezember herauszuhören war. Zwar erwartet Brzeski ebenfalls den Zinsschnitt am 17. Oktober, doch ganz schließt er eine Überraschung nicht aus. Schließlich seien seit der letzten Sitzung keine „harten“ Konjunkturdaten mehr veröffentlicht worden.
“Wir sind weit weniger sicher als die Finanzmärkte, dass die EZB nächste Woche tatsächlich die Zinsen senken wird. Die Hauptfrage für die EZB wird sein, wie sie den Unterschied zwischen Datenabhängigkeit und Datenpunktabhängigkeit interpretiert. Wenn alle aktuellen Daten als ein großer Datenpunkt betrachtet werden, gibt es keinen Grund für einen Zinsschnitt nächste Woche“, so Brzeski am 6. Oktober in einem Blogbeitrag. „In jedem Fall würde eine Entscheidung der EZB für eine Zinssenkung in der nächsten Woche eine wichtige Änderung ihrer eigenen Reaktionsfunktion bedeuten. Es wäre eine Zinssenkung zur Ankurbelung des Wachstums.“
Wie tief wird die EZB die Zinsen senken?
Auch die Ökonomen der Deutschen Bank haben ihre Erwartungen angepasst und erwarten nun schnellere Zinssenkungen als noch im Sommer. “Anstatt dass die Leitzinsen bis Ende 2025 auf neutral (2,00-2,50%) zurückfallen, erwarten wir nun, dass die neutralen Zinsen sechs Monate früher, Mitte 2025, erreicht werden”, schrieben sie in ihrer Research Note “No reason to wait” am 1. Oktober. Somit würde auf jeder der vier Sitzungen im ersten Halbjahr 2025 ein weiterer Zinsschnitt von 0,25 Prozentpunkten anstehen.
Auch Bastian Freitag, Head of Fixed Income Germany bei Rothschild & Co., erwartet schnelle Zinsschritte. “Der Rückgang der Gesamtinflation ist nicht nur auf sinkende Energiepreise zurückzuführen, sondern auch auf eine nachlassende Kerninflation", so Freitag. “Für 2025 erwarten wir nun schnellere Zinssenkungen, möglicherweise bei jedem EZB-Meeting, bis das neutrale Zinsniveau (2,0-2,5%) erreicht ist."
Die Bank begann ihren Zinssenkungszyklus im Juni, pausierte aber im Juli. Auf der letzten Sitzung im September hat der Rat dann die Einlagefazilität um 0,25 Prozentpunkte auf nun 3,5% gesenkt. Seit dem 18. September liegen die drei EZB-Leitzinsen bei folgenden Werten:
- Zinssatz für die Einlagefazilität: 3,50%, anstelle von 3,75%
- Hauptrefinanzierungssatz: 3,65%, gesenkt von 4,25%
- Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität: 3,9%, von 4,50% gesenkt
Auch andere große europäische Zentralbanken haben die Zinssenkungszyklen eingeleitet – allen voran die Schweizerische Nationalbank, die bereits im März als erste der großen westlichen Zentralbanken mit einer Zinssenkung voranpreschte. Es folgten weitere Zinssenkungen im Juni und September.
Wie wirken sich Zinssenkungen auf Märkte aus?
Die Aktienmärkte tendieren dazu, bei erwarteten Zinssenkungen zu steigen. An den Anleihemärkten bedeuten sinkende Zinssätze niedrigere Renditen, was die Anleihekurse nach oben treibt. Niedrigere Zinssätze machen auch bestehende Anleihen, insbesondere solche, die bereits während einer Hochzinsphase ausgegeben wurden, attraktiver für Renditen.
Gleichzeitig werden die Sparzinsen auf Bankkonten wahrscheinlich sinken, zum Nachteil der Sparer. Kreditnehmer hingegen werden von den niedrigeren Zinsen profitieren, da Verbraucherschulden und Hypotheken billiger werden. Lesen Sie hier mehr über den Zusammenhang von Hypothekenzinsen und EZB-Leitzinsen.
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