‘Wir müssen uns nicht ständig über ESG einig sein’—Morningstar-CEO

Kunal Kapoor erklärt auf dem Morningstar Sustainable Investing Summit, dass die Wesentlichkeit der wichtigste Maßstab für Investoren ist.

Lukas Strobl 14.11.2024
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Lukas Strobl: Willkommen zurück in Amsterdam beim Morningstar Sustainable Investing Summit 2024. Ich bin hier mit Kunal Kapoor, CEO von Morningstar, der gerade die Eröffnungsrede gehalten hat. Kunal, ein Satz stach heraus, nämlich dass die von nachhaltigem Investieren Überzeugten überzeugt wurden und die Skeptiker skeptisch bleiben. Das Problem ist, dass die Skeptiker jetzt in beiden Kammern des US-Kongresses und im Weißen Haus an die Macht gekommen sind. Müssen die Befürworter nachhaltigen Investierens ihren Kurs ändern?

Kunal Kapoor: Das glaube ich nicht. Ich denke, wichtig ist, uns klarzumachen, dass es nicht nur um das E, das S oder das G geht. Worüber wir wirklich reden, ist der Versuch, Daten zu finden und Datenbanken zu erstellen, die Menschen sinnvoll nutzen können, um zu messen, wie groß die finanzielle Bedeutung, die Wesentlichkeit der Maßnahmen ist, die sie ergreifen, und wie sie darüber denken sollten. Und ich denke, wir sind uns alle einig, dass es in Ordnung ist, bei einigen Daten anderer Meinung zu sein. Das Entscheidende ist vielmehr, die Dinge zu finden, die wichtig sind, und diese in Portfolios umzusetzen. Angenommen, Sie leben hier in Nordeuropa oder irgendwo in den USA oder im Vereinigten Königreich. Dann möchten Sie vielleicht ein Portfolio, das die Wirtschaft an Ihrem Wohnort widerspiegelt, und Sie möchten sich stark für den Kauf lokaler Produkte einsetzen und bei Ihren Investments den Schwerpunkt auf lokale Produkte legen. Das kann man mit Hilfe von ESG-Daten tun und das sollte nicht strittig sein. Es gibt einige Dinge, zu denen Menschen unterschiedliche Standpunkte haben, und ich bin der Meinung, dass das alles gut ist, denn das ist es, was Märkte ausmacht. Wir müssen nicht bei allem einer Meinung sein.

Strobl: Die Individualisierung wird also wichtiger werden, weil pauschale ESG-Angebote ein stumpfes Instrument sein könnten für die Menschen, die erreicht werden sollen?

Kapoor: Ja, ich nenne es Personalisierung oder die Möglichkeit, unsere eigenen Vorlieben auszudrücken. Sie haben bestimmte Vorlieben im Leben, ich habe auch bestimmte Vorlieben. Ich denke, wenn wir unsere Vorlieben in einem Portfolio ausdrücken können, ist das für uns als engagierte Anleger großartig.

Strobl: Bereits 2023 sagte Larry Fink von BlackRock, dass er den Begriff ESG nicht mehr verwende, weil er zu einer Waffe geworden sei. Seitdem ist er wohl noch mehr zu einer Waffe geworden. Muss dieses Akronym auseinandergenommen oder neu verpackt werden, um die nächsten vier Jahre zu überleben?

Kapoor: Ich denke, das Wichtigste ist, die Daten zu finden, auf dies es einem selbst ankommt, und darüber nachzudenken, wie man damit ein Portfolio aufbauen und die außergewöhnlichen Ergebnisse erzielen kann, die man sich wünscht. Ich mache mir also weniger Gedanken darüber, wie das Akronym lauten muss oder wie es sich weiterentwickeln könnte. Ich denke vielmehr darüber nach, wie wir sicherstellen können, dass die Daten nützlich, vergleichbar und stets auf dem neuesten Stand sind, damit die Menschen Investmententscheidungen treffen können, und zwar auf eine Art und Weise, die ihnen persönlich zusagt. Und wie ich bereits sagte, können Menschen sich dieselben Daten ansehen und zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Das ist völlig in Ordnung für mich.

Strobl: Was Unternehmen betrifft, so gibt es in den USA angesichts des politischen Klimas einen gewissen kulturellen Wandel. Erwarten Sie eine Zunahme des Greenhushing, das bisher eher ein Nischenbegriff ist, bei dem Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsbemühungen herunterspielen oder sogar verstecken, um politischen Forderungen nachzugeben?

Kapoor: Das glaube ich nicht. Und ich sage das deshalb, weil die Unternehmen, die das tun, es oft aus langfristigen finanziellen Gründen tun. Niemand stellt einen Versicherer in Frage, wenn dieser eine Entscheidung darüber trifft, ob er in einem Küstenmarkt tätig sein will oder nicht, weil er die Preise für Policen und das Schadenspotenzial auf der Grundlage sich ändernder Wettermuster nicht festlegen kann. Das ist eine ganz normale Geschäftsentscheidung. Ich denke daher, jedes Unternehmen sollte sich Gedanken darüber machen, was es wertvoller macht und was dafür sorgt, dass es eine großartige Unternehmenskultur hat und dass seine Mitarbeiter engagiert sind. Themen wie Lohngleichheit sind meiner Meinung nach in vielen Unternehmen sehr wichtig und haben mit Greenhushing nichts zu tun. Ich denke, wenn Sie sicherstellen wollen, dass Ihre Mitarbeiter gleichermaßen motiviert sind und gerecht entlohnt werden, sind Daten wie diese unglaublich nützlich. Es gibt überhaupt keinen Grund, sie zu vertuschen.

Strobl: Also wird es in Zukunft auf die Wesentlichkeit ankommen?

Kapoor: Ja. Ich glaube, man vertuscht es, wenn man nicht weiß, was man tut, und es nur tut, weil man versucht, Punkte abzuhaken. Ich glaube, die Unternehmen müssen herausfinden, was wirklich nützlich ist, was ihre Ergebnisse vorantreibt, was ihre Mitarbeiter motiviert und das Unternehmen wertvoller macht.

Strobl: Vielen Dank, Kunal. Ich bin Lukas Strobl von Morningstar.


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Über den Autor

Lukas Strobl  ist Redaktionsleiter für die EMEA-Region bei Morningstar.