Man müsste schon ein mutiger Analyst sein, um zu sagen, dass 2025 das Jahr ist, in dem europäische Aktien endlich besser abschneiden als ihre US-amerikanischen Pendants, aber die Voraussetzungen dafür könnten gegeben sein.
In den letzten fünf Jahren haben die US-Indizes ihre europäischen Konkurrenten deutlich übertroffen. In diesem Zeitraum war die Inflation zeitweise fast zweistellig, was bedeutet, dass die Anleger real kaum in die Gewinnzone kamen.
Marktbewertung ist der Schlüssel
Warum glaube ich, dass Europa endlich die Wende schaffen kann? Erstens: die Bewertungen. Bis vor kurzem waren wir der Meinung, dass der nordamerikanische Markt durchaus attraktiv ist. Vor allem, wenn man sich mit Small-Cap- und Value-Aktien beschäftigt. Im letzten Quartal konnten wir jedoch einen Aufholeffekt in den USA beobachten, bei dem selbst diese weniger beliebten Bereiche Gewinne verzeichneten, so dass sich ihre Bewertungen unseren Schätzungen für den fairen Wert deutlich annäherten. Der breitere US-Markt wird jetzt mit einem Aufschlag von etwa 6 % auf unsere Fair Value-Schätzung gehandelt. Europa hingegen ist um etwa 5 % unterbewertet, was es auf dem Weg ins Jahr 2025 zu einem attraktiven Angebot macht.
Was könnte die Bewertungslücke zwischen den USA und Europa schließen? Erstens, die relative wirtschaftliche Kluft zwischen Europa und den USA schließt sich. Der Internationale Währungsfonds erwartet für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,2 % in den USA und 1,6 % in Europa. Die USA wachsen also zweifellos schneller, aber nicht mehr doppelt so schnell wie Europa.
Dann kommen die Zinserwartungen ins Spiel.
Analysten erwarten Zinssenkungen von 100 Basispunkten in Europa, während es in den USA nur 25 Basispunkte sind. Dies bedeutet, dass die Unternehmen in Europa in weitaus größerem Maße von niedrigeren Schuldendienstzahlungen profitieren werden, was für europäische Aktien sehr viel günstiger sein dürfte.
Könnten Konsumaktien wieder anziehen?
Während eines Großteils des Jahres 2024 haben wir den relativen Wert der europäischen Verbrauchersektoren hervorgehoben, wobei sowohl zyklische Konsumgüter als auch Basiskonsumgüter mit attraktiven Abschlägen auf unsere Fair Value-Schätzungen gehandelt wurden.
Aber auch hier gibt es einen Unterschied zwischen dem, das billig ist, und dem, was in den Startlöchern steht. Und diese Konsumsektoren blieben 2024 massiv hinter dem allgemeinen europäischen Markt zurück und erzielten nur Renditen im niedrigen einstelligen Bereich.
Warum sollte das 2025 anders sein? Die Konsumgüter-Unternehmen hatten nach der Pandemie mit einer hohen Inflation und der unpopulären Aufgabe zu kämpfen, Preiserhöhungen an die Endverbraucher weiterzugeben oder alternativ die Gewinnspannen zu schmälern. Da sich die Inflation nun dem Ziel der Zentralbanken von 2 % nähert, verzeichnen viele Konsumgüterhersteller einen Anstieg der Absatzzahlen, da die Verbraucher es sich endlich leisten können, mehr zu kaufen. Auch die Zinssätze sind ein entscheidender Faktor, der die verschuldeten Haushalte entlastet und mehr verfügbares Einkommen für Konsumgüter freisetzt.
Value- und Small-Cap-Aktien: Zeit zu glänzen?
Angesichts der relativ schwachen Konjunktur in Europa ist es nur logisch, dass Small-Cap- und Value-Aktien mit einem erheblichen Abschlag gegenüber dem allgemeinen Markt gehandelt wurden. Die Anleger haben es vorgezogen, in Large Cap-Aktien investiert zu bleiben, die als die sicherere Option angesehen werden. Und sie haben auch vor traditionellen Value-Aktien zurückgeschreckt, da sie der Meinung waren, dass viele dieser Titel die alte Wirtschaft repräsentieren. Derzeit werden Small Cap-Aktien mit einem Abschlag von fast 30 % auf unsere Fair-Value-Schätzung gehandelt und Value mit einem Abschlag von fast 20 %.
Eine große Veränderung, die wir an den US-Märkten im letzten Quartal beobachtet haben, ist die Verringerung der Bewertungslücke zwischen diesen Kategorien und dem allgemeinen Markt. Die Marktbedingungen in Europa verbessern sich, wobei der große Unterschied in Zinssenkungen besteht. Wenn die Zinssätze noch weiter sinken, könnten die Anleger dazu gebracht werden, mehr Kapital in Small-Cap- und Value-Aktien zu investieren, wodurch sich die Bewertungslücke dem annähert, was wir derzeit in den USA beobachten, wo Small-Cap-Aktien mit einem Abschlag von nur 7 % und Value-Aktien mit einem Aufschlag von 1 % gehandelt werden.
Ölpreise und Aktien im Fokus
Da Trump nun wieder an der Macht ist und die OPEC-Kürzungen bald auslaufen werden, erwartet jeder, dass das Ölangebot 2025 die Nachfrage übersteigen wird. Unterdessen warnt die Weltbank, dass das Risiko für das globale Wachstum eher nach unten gerichtet ist, was die Nachfrage dämpfen würde. Sollte sich dieses Ungleichgewicht bewahrheiten, könnte es in diesem Jahr zu gedämpften oder sogar gedrückten Ölpreisen führen.
Total Energies Aktie ist unterbewertet
Quelle: Morningstar Direct.
In der Öl- und Gasindustrie hat dies in letzter Zeit zu einer Schwäche der Aktienkurse geführt. Wir sehen erhebliches Kurspotenzial bei den Aktien europäischer Ölkonzerne wie TotalEnergies TTE und BP BP. und wir sehen bei den Öldienstleistungsaktien noch höheres Aufwärtspotenzial.
Für den übrigen europäischen Markt könnten die niedrigeren Energiepreise ein willkommener Impuls sein, insbesondere für deutsche Industrieunternehmen, von denen viele seit dem Abbruch der billigen russischen Gaslieferungen um ihre Wettbewerbsfähigkeit kämpfen.
Michael Field, CFA, ist europäischer Marktstratege für Morningstar. Lesen Sie mehr von seinen Kolumnen here.
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