Deutsche Aktien vor den Wahlen weiter auf Rekordjagd

So könnte die Rallye weitergehen.

Antje Schiffler 19.02.2025
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Illustration of hands placing vote in ballot

Der deutsche Aktienmarkt hat einen Rekord nach dem anderen aufgestellt, während sich das Land der Bundestagswahl am 23. Februar nähert. Treiber ist eine Kombination aus politischer Erwartung, starken Unternehmensgewinnen und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Zusammensetzung des Marktes mit der starken Gewichtung von Industrie- und Technologieunternehmen hat ihn zudem in der aktuellen globalen Anlagelandschaft gut positioniert, und die relative Unterbewertung der europäischen Aktien im Vergleich zum US-Markt hat die Attraktivität weiter erhöht.

Der Morningstar Germany Index hat Beginn der Woche in nur 34 Handelstagen in diesem Jahr bereits 19 Allzeithochs markiert und liegt mit einem Plus von fast 12,4% sowohl vor seinen europäischen Pendants als auch vor dem US-Markt (alle Daten beziehen sich auf den 17. Februar).

Schuldenbremse im Mittelpunkt

„Der Markt preist derzeit das bestmögliche Ergebnis der Wahlen ein“, sagte Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity, in einem Webinar am 18. Februar. Die Anleger - viele davon aus dem Ausland - sind zuversichtlich, dass Friedrich Merz und die CDU, die derzeit in den Umfragen führt, schnell eine Koalition bilden und Reformen wie die Lockerung der „Schuldenbremse“ umsetzen werden. Die Schuldenbremse limitiert das strukturelle Defizit des Bundes auf 0,35% des BIP jährlich.

„Ohne eine Lockerung der in der Verfassung verankerten fiskalischen Zwangsjacke Deutschlands würde es Merz schwer fallen, seine potenziellen Mitte-Links-Koalitionspartner davon zu überzeugen, ernsthaften wachstumsfördernden Reformen zuzustimmen“, schrieb Holger Schmieding, Chefvolkswirt von Berenberg, in einer Research Note vom 17. Februar. ”Außerdem würde ihm der fiskalische Spielraum fehlen, um die Militärausgaben entschlossen zu erhöhen und gleichzeitig die öffentlichen Investitionen zu steigern und die Unternehmen und Haushalte durch deutliche Senkungen der Steuern und Stromgebühren zu entlasten.“

Eine Lockerung der Schuldenbremse könnte zu höheren Staatsausgaben für Infrastruktur, Verteidigung und Digitalisierung führen, was der Wirtschaft einen dringend benötigten Schub geben und Sektoren wie Bau, Verteidigung, Technologie und Finanzen zugute kommen würde.

Die CDU liegt derzeit bei etwa 30-32% der Stimmen, ihre bevorzugten Koalitionspartner SPD und/oder Grüne kommen auf etwa 14-17% bzw. 12-14%. Die Märkte gehen derzeit davon aus, dass die rechtsgerichtete AfD nicht in Regierungsverantwortung kommt.

Aktienmarktrekorde vor dem Hintergrund der Rezession

Die robuste Kursentwicklung geschieht vor dem Hintergrund einer eingetrübten wirtschaftlichen Stimmung: Europas größte Volkswirtschaft tritt nun ins dritte Jahr der Stagnation ein und liegt in Sachen konjunktureller Aussichten deutlich hinter den europäischen Nachbarn zurück. Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit zwei Jahren in der Rezession. Laut dem deutschen Wirtschaftsministerium wird das BIP-Wachstum im Jahr 2025 bei mageren 0,3% stagnieren.

Spanien - mit einem Wachstum von 3,2% im Jahr 2024 der wirtschaftliche Outperformer in der Eurozone - liegt bei der Aktienperformance knapp hinter dem deutschen Markt.

In den letzten Jahren waren die deutschen Unternehmen mit zahlreichen Schocks konfrontiert, die ihre Geschäftstätigkeit und ihr Wachstum erheblich beeinträchtigt haben. Die Covid-19-Pandemie verursachte weitreichende Unterbrechungen der Lieferkette, Arbeitskräftemangel und eine Verlangsamung der Wirtschaft. Es folgte die durch Russlands Angriffskrieg gegen die Urkaine ausgelöste Energiekrise, die zum sprunghaften Anstieg der Energiepreise führte, wovon insbesondere die energieintensiven Industrien in Deutschland betroffen waren. Darüber hinaus haben Angebotsschocks aus China, Inflationsdruck und steigende Zinssätze die Unternehmen weiter belastet, während die anhaltenden geopolitischen Spannungen und handelspolitischen Unsicherheiten, einschließlich der drohenden US-Zölle unter Trumps neuer Regierung, die wirtschaftlichen Herausforderungen noch verstärkt haben.

Drohende Zölle

Die Automobilindustrie und das verarbeitende Gewerbe sind besonders von den drohenden Zöllen betroffen, und die Unternehmen überprüfen jetzt ihre Lieferketten, um mögliche Störungen abzumildern. Obwohl die Anleger diese Sorgen bisher weitgehend abgetan haben, könnte jede Eskalation der Handelsspannungen für Volatilität auf dem Markt sorgen.

„Die deutschen Dax 40-Unternehmen erwirtschaften 80% ihres Umsatzes außerhalb Deutschlands und rund 24% in den USA“, sagte Sören Hettler, Leiter der Anlagestrategie DZ Research, in einem Interview mit Morningstar. Im Vergleich dazu erwirtschaften die 40 Large-Cap-Unternehmen weniger als 20% ihres Umsatzes in ihrem Heimatmarkt.

Die Performance des hiesigen Aktienmarktes sei eine Folge der robusten Weltwirtschaft, betonte die Deka in einer Research-Note vom 17. Februar und fügte hinzu, es sei zudem wahrscheinlich, dass die Europäische Zentralbank ihre Leitzinsen in diesem Jahr weiter senken werde. Im Gegensatz dazu könnten Anleger, die in den nächsten Monaten Zinssenkungen der US-Notenbank erwarten, enttäuscht werden. Die sich ausweitende Spanne zwischen den Zinssätzen in der Eurozone und in den USA könnte europäischen Aktien ebenfalls Rückenwind geben, so Michael Field, European Market Strategist bei Morningstar.

Diese 6 Aktien treiben die deutsche Aktienrallye an

Die Outperformance des Aktienmarktes ist zudem nicht breit angelegt. Unternehmen wie SAP SAP haben maßgeblich dazu beigetragen, den Markt auf Rekordhöhen zu treiben. Der Technologieriese verzeichnete in den letzten 12 Monaten einen Anstieg seines Aktienwerts um 70%, was mehr als 9% der Gewinne des Morningstar Germany Index von 30,08% in diesem Zeitraum ausmacht. Wie seine Branchenkollegen profitiert auch der Technologiekonzern von der KI-Welle.

Siemens SIE und Deutsche Telekom DTE verzeichneten in den letzten 12 Monaten ebenfalls deutliche Kursgewinne und trugen mit 3,67% bzw. 3,27% zu den Gewinnen des Index bei, so die Daten von Morningstar Direct. Siemens verzeichnete starke Unternehmensgewinne, die von der weltweiten Nachfrage nach Elektrifizierung und industriellen Gütern angetrieben wurden.

Die Deutsche Telekom verzeichnete 2024 ebenfalls eine robuste Performance und plant, das Wachstum durch Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz und ein datengesteuertes Geschäftsmodell zu beschleunigen. Das Raumfahrt- und Verteidigungsunternehmen Rheinmetall hat allein seit dem 14. Februar um mehr als 15% zugelegt, getrieben von der Erwartung höherer Verteidigungsausgaben in Europa.

Die Performance hat jedoch einen Haken: Drei dieser Aktien werden inzwischen überbewertet gehandelt, während drei weitere nach Morningstar-Schätzungen fair bewertet sind.

Anlagemöglichkeiten in deutschen Aktien

„Nach einer starken Performance im Jahr 2024 sind deutsche Aktien nun fair bewertet und werden auf Basis der Kurs/Fair-Value-Schätzung mit einem Faktor von knapp über 1 gehandelt. Sie sind derzeit zwar nicht ganz billig, aber auch nicht teuer“, so Field von Morningstar. Von den 49 deutschen Aktien, die Morningstar abdeckt, werden 24 derzeit im unterbewerteten Bereich gehandelt. „Wir sehen zahlreiche Aktienchancen, wobei der Automobilsektor der attraktivste Bereich ist."

Die deutsche Autoproduktion hat unter der schlechten Regierungspolitik gelitten, was die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt und Investitionen ins Ausland getrieben hat, so Morningstar-Aktienanalystin Rella Suskin in einer Research-Note vom 17. Februar. Die bevorstehenden Wahlen bieten eine Chance für Veränderungen, da die politischen Parteien versprechen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken.

Die zu erwartenden Koalitionsregierungen könnten diese Politik jedoch abschwächen. „Ohne einen fokussierten strategischen Rahmen, der die Kostenwettbewerbsfähigkeit in Deutschland fördert, werden die Erstausrüster ihre Investitionen weiterhin ins Ausland lenken und dabei einen Ausgleich mit der Notwendigkeit schaffen, ihre hoch integrierten deutschen Hauptquartiere zu erhalten. Dies wird die Renditen weiter belasten.“

Bewertungen der wichtigsten europäischen und des US-Marktes

Daten abgerufen am 17. Februar

Warum die Innenpolitik für Mid- und Small Caps von großer Bedeutung ist

Bewertungsbewusste Anleger könnten sich auch Mid- und Small-Cap-Aktien zuwenden und nach Chancen in Bereichen suchen, die noch nicht das gleiche Wachstum wie Large-Caps aufweisen. Viele dieser Unternehmen sind direkter von der deutschen und europäischen Wirtschaft abhängig, was sie anfälliger für innenpolitische Veränderungen und makroökonomische Schwankungen macht. Ihre Performance war uneinheitlich, wobei einige von sektorspezifischen Trends wie der Digitalisierung profitierten, während andere mit der anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation zu kämpfen hatten.

Laut Sören Hettler von der DZ Bank erwirtschaften mittelständische Unternehmen etwa 55% ihrer Einnahmen in Europa, darunter einen erheblichen Anteil von 24% in Deutschland, was sie empfindlicher gegenüber den lokalen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen hierzulande macht.

Vor allem Mid- und Small-Cap-Unternehmen, die stärker von der heimischen Wirtschaftspolitik abhängig sind, suchen nach der Wahl nach Klarheit und Stabilität, fügt er hinzu: „Eine neue Regierung, die sich für den Abbau von Bürokratie und mehr Investitionen in kritischen Bereichen einsetzt, könnte das Vertrauen der Anleger stärken und weitere Kapitalzuflüsse in den deutschen Markt bewirken.“

Warum die Bundestagswahl für die Anleihemärkte wichtig ist

Spekulationen über eine Lockerung der Schuldenbremse haben dazu beigetragen, dass die Renditen von Bundesanleihen nach dem abrupten Ende der Ampel-Koalition am 6. November, das zu den vorgezogenen Neuwahlen an diesem Wochenende führte, in die Höhe getrieben wurden. Höhere Ausgaben würden bedeuten, dass Berlin mehr Anleihen ausgeben muss, was das Angebot erhöht und die Anleihekurse nach unten drückt. An den Anleihemärkten bewegen sich die Renditen und die Kurse von Anleihen in der Regel in entgegengesetzte Richtungen.

Darüber hinaus hat die Aussicht auf ein Zerwürfnis in der Ukraine die Renditen nach oben getrieben - nachdem sie Ende Januar/Anfang Februar gesunken waren. „Die Finanzmärkte konzentrieren sich nicht nur auf die positiven Wachstumsaussichten, sondern auch auf die Kosten für die Sicherung und den Wiederaufbau der Ukraine in der Zukunft“, schrieb die Deka in ihrer Research Note vom 17. Februar inmitten der Nachricht, dass die USA und Russland Gespräche über die Ukraine aufnehmen werden.

„Europa wird eine bedeutende Rolle bei der Finanzierung dieser Bemühungen spielen müssen. Diese Belastung lastet auf den Anleihemärkten und hat insbesondere die Renditen deutscher Staatsanleihen in die Höhe getrieben.“


Der Autor/Autorin oder die Autoren besitzen keine Aktien der in diesem Artikel erwähnten Wertpapiere. Informieren Sie sich über die Redaktions-Richtlinien von Morningstar.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.