Deutschlands Wirtschaft steht unter erheblichem Druck: Hohe Energiekosten als Folge des Ukraine-Krieges, schwächelnde Nachfrage aus China und zunehmender Konkurrenzdruck durch asiatische Produkte belasten das Wachstum. Nach zwei aufeinanderfolgenden Jahren zwischen Stagnation und Rezession droht 2025 ein drittes Jahr ohne Aufschwung. Nun könnten hohe neue Zölle auf wichtige deutsche Exportgüter anstehen, mit denen US-Präsident Donald Trump droht. Rund 10,4 % aller deutschen Exporte gingen 2024 in die USA, bei PKWs waren es 13 %.
Zwar hat die US-Regierung einen Teil der am 2. April angekündigten “reziproken” Zölle für 90 Tage ausgesetzt, doch der Zollsatz von 25 % auf deutsche Autos ist in Kraft. Auch für die Pharmabranche sind neue Abgaben im Gespräch, während auf alle anderen Produkte ein Mindestzoll von 10 % erhoben wird.
Anfang Mai dürfte der Deutsche Bundestag Friedrich Merz zum neuen Bundeskanzler wählen. Dann bleiben rund zwei Monate, bevor die von Trump angeordnete Aussetzung der erhöhten Zölle endet.
Kann sich die deutsche Wirtschaft erholen?
Der Start ins Jahr 2025 war für die deutsche Wirtschaft überaus verhalten. Das Bruttoinlandsprodukt stagnierte im ersten Quartal 2025 ersten Schätzungen zufolge, und im zweiten Quartal wird mit einem leichten Rückgang gerechnet. “Vor dem Hintergrund der globalen Handelskrise und der Turbulenzen an den Finanzmärkten ist ein Rückgang der Wirtschaftsleistung kaum zu vermeiden”, schreibt die Deutsche Bank in einer Research Note.
Die Spanne der BIP-Prognosen für Deutschland im Jahr 2025 ist breit: Sie reicht von -0,1 % (RWI) bis +0,4 % (OECD). Ihre Gemeinschaftsdiagnose haben die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute Anfang April deutlich gesenkt: von ursprünglich 0,8 % auf nur noch 0,1 %. Immerhin: Für 2026 erwarten die meisten Institutionen eine moderate Erholung mit Werten zwischen 0,8 % und 1,5 %.
“Die geopolitischen Spannungen und die protektionistische Handelspolitik der USA verschärfen die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage in Deutschland”, sagt Torsten Schmidt, Konjunkturchef des RWI. “Zusätzlich sehen sich deutsche Unternehmen einem verstärkten internationalen Wettbewerb ausgesetzt – vor allem aus China. Nicht zuletzt lasten strukturelle Schwächen wie der Fachkräftemangel und hohe bürokratische Hürden auf den Wachstumskräften.”
Die Deutsche Bank schreibt in einer Research Note: “Der globale Handelskonflikt erhöht den Zeitdruck auf die neue Bundesregierung, aus der (leicht restriktiven) vorläufigen Haushaltsführung herauszukommen und dringend benötigte finanzpolitische Impulse zu setzen.” Zwar seien Maßnahmen wie der Industriestrompreis oder erhöhte Abschreibungsregeln für Investitionen hilfreich, doch reichten sie allein nicht aus, um den Zoll-Schock abzufedern, so Robin Winkler, Chefvolkswirt Deutschland, und Marc Schattenberg, Senior Economist bei der Deutschen Bank.
Infrastruktur und Verteidigung kommt Schlüsselrolle zu
Die neue Regierung plant ein umfangreiches Investitionsprogramm, das durch ein frisch im Grundgesetz verankertes Sondervermögen finanziert werden soll. Es umfasst Ausgaben für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz. Doch die Umsetzung dürfte dauern: “Gerade am Anfang wird vermutlich viel Geld in die Aufstockung geleerter Lager gestellt werden und einiges an Material aus dem Ausland bestellt werden”, heißt es in einer Analyse von DWS-Chefstratege Vincenzo Vedda.
Infrastrukturinvestitionen gelten als konjunkturell besonders wirksam, da sie laut DWS „einen fiskalischen Multiplikator von eins“ aufweisen. Allerdings bremsen Planungsverfahren und langsame Umsetzung den Effekt. In ihrer Frühjahrsprognose 2025 rechnen die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute mit einem Wachstumsimpuls von rund 0,5 Prozentpunkten durch die staatlichen Mehrausgaben.
Zugleich warnen sie: “Deutschland leidet nicht nur unter einer Konjunkturschwäche, sondern hat vor allem Strukturprobleme. Sie lassen sich nicht durch eine bloße Erhöhung der Staatsausgaben lösen und machen potenzialstärkende Reformen umso dringlicher. So braucht etwa das Sozialsystem Anpassungen an den demografischen Wandel, damit die Lohnnebenkosten nicht weiter stark steigen.”
„Von Mehrausgaben für Verteidigung und Infrastruktur profitieren eher kleine Wirtschaftsbereiche“, heißt es weiter. Das Problem: Diese sind bereits gut ausgelastet und haben nur wenig freie Kapazitäten. Das Resultat: Die Preise dort dürften weiter steigen.
Deutsche Aktien sind gefragt – wie können sich Anleger positionieren?
Während die Konjunktur schwächelt, zeigen sich die Kapitalmärkte durchaus robust. So waren deutsche Aktien zum Jahresauftakt trotz schwacher Konjunktur gefragt: Im Februar 2025 verzeichneten deutsche Aktienfonds nach neun Monaten mit Abflüssen erstmals wieder Nettomittel zu. 1,28 Mrd. Euro flossen in die Anlageklasse – der höchste Wert seit 2015.
Bis Trumps Zollpolitik die globalen Aktien- und Anleihenmärkte ab dem 2. April auf Achterbahnfahrt schickte, erreichte der Morningstar Germany Index mehrere Rekordstände.
Es waren vor allem Finanztitel und Industriewerte, die zu den Gewinnen in diesem Jahr beitrugen, geht aus Daten von Morningstar Direct hervor. Allianz SE und Müncher Rück legten seit Jahresgebinn 10,1 bzw 14,6% zu. Ganz vorne allerdings: Rheinmetall. Das Verteidigungsunternehmen gilt als klarer Profiteur der Fiskalpakete. Morningstar Aktien-Analystin Loredana Muharremi passte die Schätzung des fairen Wertes Mitte März vor dem Hintergrund steigender europäischer und deutscher Verteidigungsausgaben deutlich an - von 1.310 auf 2.220 EUR je Aktie. Insgesamt trug dieser Titel 2,17 Prozentpunkte zu der guten Performance des Morningstar Germany Indexes im bisherigen Jahresverlauf bei. Federn lassen musste indes Europas inzwischen größter Konzern nach Marktkapitalisierung SAP, der in diesem Jahr bisher 4,87% einbüßte und so die Indexperformance um 0,81 Punkte schmälerte.
Die jüngste Marktkorrektur bietet Anlegern die Chance, viele Titel günstiger zu erwerben. Aktuell sind 31 der 49 von Morningstar-Analysten bewerteten deutschen Aktien unterbewertet.
Nur der spanische Aktienmarkt konnte unter den großen europäischen noch mehr zulegen als der deutsche Markt. Im Februar waren europäische Large-Cap-Blend-Aktien die am zweitstärksten nachgefragte Anlageklasse unter den europäischen Anlegern und verzeichneten Nettozuflüsse in Höhe von 6 Mrd. EUR. Auslöser war eine beginnende Umschichtung: Viele Anleger verlagerten ihr Kapital weg von den überteuerten US-Märkten hin zu europäischen Aktien. Ausschlaggebend waren Bewertungsunterschiede sowie die Aussicht auf eine fiskalpolitische Lockerung in der EU und in Deutschland.
Analysten bleiben für Europa positiv gestimmt. „Europas Widerstandsfähigkeit und Unterbewertung im Vergleich zu den USA schafft einen fruchtbaren Boden für selektive Qualitätsaktien und Dividendenstrategien“, schreibt Polar Capital in einer Research Note vom 16. April. „Mit Blick auf die Zukunft sollten Anleger eine Erhöhung ihrer Allokation in Europa in Betracht ziehen.“
Die DWS sieht den US-Aktienmarkt als Hauptleidtragender der US-Zollpolitik. Zwar werden die Zölle Europa nicht verschonen. Doch die „hohe Bewertungskluft in Kombination mit der Reform der deutschen Schuldenbremse machen Europas Aktien relativ gesehen interessant“, so CIO Vedda.
Die DZ Bank sieht die Aktienmärkte angesichts der Unsicherheit zunächst volatil seitwärts tendieren, ist aber mittelfristig ebenfalls positiv gestimmt. “Erst im späteren Verlauf der zweiten Jahreshälfte dürfte in der Wahrnehmung der Marktteilnehmer wieder Platz für andere Einflussfaktoren sein,” schreiben Sören Hettler und Christoph Müller in einem DZ-Bank-Blogbeitrag vom 11. April mit Blick auf geplante Steuersenkungen in den USA und erste reale Effekte der europäischen Fiskalprogramme. “Im Zuge der unseres Erachtens auf längere Sicht zu erwartenden Stimmungsaufhellung sehen wir den DAX und den Euro Stoxx 50 zum Jahresende 2025 bis auf 23.000 bzw. 5.400 Punkte klettern. Bis Mitte 2026 gestehen wir den beiden europäischen Indizes Aufwärtspotenzial bis hin zu neuen Rekordständen im Bereich von 25.000 und 5.900 Zählern zu“, heißt es.
Für investierte Anleger bedeutet dies, dass sie langen Atem beweisen müssen. Dan Lefkovitz, Stratege bei Morningstar Indexes, rät Investoren, sich vom täglichen Hin und Her an den Börsen nicht verrückt machen zu lassen. „Es ist entscheidend, die großen Aufwärtstage des Marktes zu erleben. Deshalb ist es eine schlechte Idee, in Aktien hinein- und wieder herauszuspringen“, schreibt er. „Wenn Sie abwarten, kann Ihr Portfolio von unvorhergesehenen Aufschwüngen profitieren.“
Bundesanleihen als sicherer Hafen
Auch an den Anleihemärkten sind die jüngsten Umwälzungen nicht spurlos vorbeigegangen. So sind die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen bis Anfang März stark gestiegen – getrieben von der Erwartung erhöhter Neuverschuldung durch das neue Fiskalpaket. Die Kurse, die sich entgegen den Renditen entwickeln, fielen. “Am 5. März erlebten die Bundesanleihen ihren schwärzesten Tag in der Geschichte der Eurozone, als die Rendite der 10-jährigen Referenzanleihe um 30 Basispunkte in die Höhe schoss”, sagt Alessandro Tentori, CIO Europe bei AXA Investment Management. “Die starke Reaktion des Marktes hängt damit zusammen, dass Berlin über die Rolle des Verfechters einer orthodoxen Fiskalpolitik hinausgeht und seinen großen fiskalischen Spielraum für Strukturprojekte nutzt. Dies könnte ein Signal für eine Veränderung der wirtschaftlichen Bedingungen in Europa sein ”
Doch mit der Eskalation des Handelskonflikts rückte Anfang April ein anderer Aspekt in den Vordergrund: Bundesanleihen wurden verstärkt nachgefragt, weil die sprunghafte US-Zollpolitik den Status der US-Staatsanleihen als sicherer Hafen in Zweifel zog. Die hohe Nachfrage ließ die Kurse steigen, die Renditen fielen.
„Die Renditen von Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit liegen mit derzeit gut 2,50 % auf einem Niveau, das zuletzt Anfang März zu beobachten war. Damals hatte die Aussicht auf eine massive Ausweitung der Verschuldung und Lockerung der Schuldenbremse zu einem Anstieg von zeitweise auf über 2,90 % beigetragen. Seitdem kommen die Renditen unter Schwankungen zurück”, so die Helaba am 16. April.
Ähnlich sieht es aus mit zweijährigen Bundesanleihen, doch hier kommt noch ein weiterer Aspekt ins Spiel: die Erwartung weiterer und schnellerer Zinssenkungen durch die Europäische Zentralbank wegen des trüberen Konjunkturausblicks durch den Handelskrieg. Diese drückten die Renditen der 2-jährigen Anleihen seit Anfang März um 0,26 % nach unten, verglichen mit einem Minus von 0,15 % für die zehnjährigen Anleihen.
„Fixed Income Manager sind der Ansicht, dass die Renditen von Bundesanleihen auf dem derzeitigen Niveau attraktiv sind“, sagt Evangelia Gkeka, Morningstar Senior Analyst Fixed Income. „Angesichts der Tatsache, dass die Emission von Anleihen zur Finanzierung höherer Ausgaben zunehmen dürfte, ist zu erwarten, dass die Renditen etwas steigen werden, da die Knappheitsprämie nachlässt (es wird ein größeres Angebot an Anleihen auf den Markt kommen). Darüber hinaus sind Bundesanleihen aufgrund ihrer Safe-Haven-Eigenschaften weiterhin ein guter Diversifikator in einem global ausgerichteten Portfolio.“
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