Kommentar: Es ist der Investor, Stupid!

ETF-Transparenzoffensiven zielen nicht immer auf den Anleger ab. Ein Kommentar von Ali Masarwah.

Ali Masarwah 24.10.2011
Facebook Twitter LinkedIn

Die ETF-Anbieter warten in diesen Tagen mit immer neuen Transparenzinitiativen auf. Beispiele gefällig? In der abgelaufenen Woche hat Lyxor ETF eine Selbstverpflichtung vorgelegt, die Standards mit Blick auf Transparenz, Effizienz und Liquidität ihrer Produkte festlegt (lesen Sie hier die Meldung). Einen anderen Weg hat ETF-Marktführer iShares eingeschlagen. Im Zuge einer europaweiten Initiative hat die Blackrock-Tochter einen Leitfaden für Anleger erstellt, der sie in der Analyse und Auswahl von börsennotierten Wertpapieren (ETP, steht für Exchange Traded Products) unterstützen soll (lesen Sie hier weiter). Man darf getrost auch die Umstellung von einigen ETF der Credit Suisse von Swap-basiert auf voll replizierend als Teil der Charme-Offensive der Branche zählen.

Alles für die Anleger also? Nicht unbedingt. Natürlich wollen sich die Anbieter in einem schärferen Wettbewerbsumfeld auch in Position bringen und um die Günst der Investoren buhlen.  Erinnern wir uns: Wir befinden uns im Jahr 2011, einem Jahr, in dem ETF-Anleger schärfer zwischen Ansätzen und Anbietern trennen. Einige ETF-Produzenten profitieren von der heutigen Marktlage (vor allem iShares und – noch – db x-trackers), andere nicht (ETF-Lab, Lyxor). Vorbei sind die guten alten Zeiten wie weiland 2008, in denen das Anleger-Manna (also die Geldzuflüsse) im Gießkannenprinzip auf die ETF-Anbieter niederging.  Der Markt differenziert – aus welchen Gründen auch immer - und das ist auch gut so. Schließlich profitieren Investoren stärker von einer offenen Wettbewerbssituation unter den ETF-Anbietern als von einem semi-oligopolistisch organisierten Markt.

Der entscheidende Grund für den Offenheitsdrang der ETF-Anbieter ist in der heutigen Zeit allerdings die drohende Regulierungskeule. Nichts fürchtet die Branche derzeit mehr, als von den nationalen und supranationalen Aufsichtsbehörden in die Büßerecke der Finanzmarktzocker und Systemgefährder verbannt zu werden. Diese Gefahr droht durchaus. Man möge noch über die jüngste Auslassung von US-Senator Jack Reed schmunzeln, der ETFs als die neuen "Massenvernichtungswaffen" brandmarkte. Dass Regulatoren ETF indes offen mit Themen wie „systemische Risiken“ in Verbindung bringen, hat die Branche tief getroffen. Die laufende Diskussion über die Risiken der rasant wachsenden Wertpapiergattung wurde im Frühjahr 2011 durch Analysen und Diskussionspapiere von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und dem Financial Stability Board der G-20-Staaten losgetreten. Sie ist mitnichten zuende.

Es ist also nicht nur die Ebene der Anleger, die die ETF-Anbieter jetzt in ihren PR-Kampagnen (und als nichts anderes sollten die Transparenzinitiativen verstanden werden) adressieren. Frei nach dem berühmten Slogan der ersten Präsidentschaftswahlkampagne von Bill Clinton 1992 gegen Georg H. W. Bush, „It´s the economy, stupid!“ (es geht um die Wirtschaft, Dummerchen!), ist die verborgene Agenda in der heutigen ETF-Debatte: „It´s the regulation, stupid!“

Die ETF-Emittenten überbieten sich förmlich in ihren Bemühungen, als die Guten dazustehen, die immer nur den Anleger im Blick haben. Und jeder tut das auf seine Weise: Die Tochtergesellschaften der Investmentbanken, die Swap-ETF produzieren (das sind die, die die Aufsichtsbehörden vor allem im Blick haben), präsentieren sich gleichermaßen als anlegerfreundlich wie hochgradig ungefährlich. Die meisten besichern die Swaps vollständig (und teilweise mehr!) und zeigen dem Anleger auf ihren Websites, dass sie nicht dabei sind, ihm illiquide Collateral-Schmudelkisten unterzujubeln.

Die Anbieter voll replizierender Produkte wiederum halten die Standarte des transparenten Sondervermögenanbieters hoch, des fiduziarisch handelndem Asset Managers. Das setzt sie allerdings zugleich besonders unter Druck, da auch die vermeintlich lupenreinen Asset Manager Swap-ETF im Bauchladen führen. Alle physisch replizierenden ETF-Anbieter sind in den vergangenen zwei Jahren umgefallen und verkaufen heute Swap-ETF, weil es bei der Abbildung komplexer und exotischer Indizes nun einmal ohne Derivate nicht geht. (Wer geglaubt hat, dass ein Fondshaus freiwillig auf das Emerging-Markets-Geschäft verzichtet, kann getrost als naiv bezeichnet werden.)

Was bedeutet das Ganze für den Anleger? Glücklicherweise zunächst nichts Schlimmes. Denn ein Nebenprodukt des Wettbewerbs der ETF-Anbieter um die Gunst der Regulatoren sind tatsächlich auch bessere Konditionen für die Investoren. Das müssen nicht nur günstigere Kosten sein, sondern auch ein Mehr an Sicherheit. Dass Lyxor beispielsweise den Swap in seinen ETF nunmehr jeden Tag auf null setzt, ist für Anleger, die der Stabilität von, sagen wir, französischen Investmentbanken misstrauen, durchaus ein gewichtiges Argument. Und wenn Credit Suisse nunmehr dieselbe Qualität bei ihrem jüngst auf physische Replikation umgestellten Brasilien-ETF darstellen kann wie vorher bei Brasilien-Swap-ETF, ist ein gutes Signal.

Die Charme-Offensive der ETF-Anbieter kann aber auch nerven, weil Überflüssiges als höchst relevant hochstilisiert wird. Wenn etwa die Société-Générale-Tochter Lyxor verkündet, keine Wertpapierleihe in ihren ETF vorzunehmen, dann ist das nicht nur alter Hut, sondern auch dazu angetan, davon abzulenken, dass die Investmentbank Société Générale durchaus Aktien verleiht. (Dass das Risiko der Mutter auch für die Tochter Konsequenzen hat, sei an dieser Stelle ins Gedächtnis gerufen). Und wenn iShares seine „Swap“-ETF nunmehr in „Derivate“-ETF umbenennt, um auch wirklich alle Anleger davon zu überzeugen, dass man begriffen hat, dass der Einsatz von Derivaten Risiken mit sich bringt, dann kann man das als naiv-rührend bezeichnen. Oder auch einfach als überflüssig.

Die relevanten Entscheidungen, die die Richtung der Industrie prägend beeinflussen werden, dürften in der nächsten Zeit weniger aus der Mitte der ETF-Branche kommen, sondern aus der Ecke der Regulatoren, die wild entschlossen sind, nicht noch einmal wie 2007/08 von einer Finanzmarktkrise auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Kollateralschäden der kommenden ETF-Regulierung in Grenzen halten. Und dass die ETF-Branche auch baldmöglichst begreift, dass es eigentlich heißen muss: „Es ist der Investor, Stupid!“

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich