Herr Keppler, Ihre Value-Philosophie, die sich an Benjamin Graham anlehnt, ist langfristig ausgerichtet. Grundlage ist - vereinfacht gesagt – die Annahme, dass Aktien in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren um ihren fairen Wert oszillieren. Sie kaufen Aktien, die nach Ihrem Modell unterbewertet sind und verkaufen sie, wenn sie leicht überbewertet sind. Passt das noch in die heutige Zeit, in der die Anlagezyklen immer kürzer werden?
Natürlich passt unsere Philosophie in die heutige Zeit. Wenn wir unsere Prinzipien laufend in Frage stellen würden, dann wären es doch keine Prinzipien! Unser Investmentansatz ist nicht zeitspezifisch, sondern generisch, also allgemeingültig. Sonst wären wir ja auch nicht in der Lage, signifikante Unter- und Überbewertungen zu identifizieren. Wenn die teuerste Aktie oder das teuerste Land nur um zwei Prozent überbewertet und die preiswerteste Aktie nur um drei Prozent unterbewertet wäre, dann könnte man darauf keine Value Strategien aufbauen. Insofern ist Value Investing so interessant wie selten. Das Ausmaß der Unterbewertungen, das wir heute feststellen, ist vergleichbar mit historischen Tiefstbewertungen, wie wir sie Ende 1974 oder Ende 1981 erlebt haben. Das gilt umso mehr, wenn man die Opportunitätskosten, also die derzeit niedrigen Zinsen, berücksichtigt.
Wie reagieren Sie auf Faktoren wie die Euro-Schuldenkrise, die ja nicht von Ihren quantitativen Modellen unmittelbar erfasst werden können?
Wenn man einen stringenten Prozess hat, dann kann man auf solche Ereignisse allenfalls ein wenig taktisch reagieren. Wobei wir in unseren Publikumsfonds immer voll investiert sind und insofern sich diese Frage nicht stellt. Sie spielen auf die Frage an, ob heute alles anders ist? Klare Antwort: nein. Es passiert immer wieder, dass Value-Prinzipien kurzfristig überlagert werden von anderen Trends. Das ist übrigens bereits seit 1999 der Fall. Aktien wurden in den vergangenen 12, oder sogar 15 Jahren systematisch der Käufer beraubt. Dass viele Anleger eher in Anleihen von Euro-Staaten statt in Aktien investiert haben, wurde regelrecht dadurch forciert, dass diese Anleihen nicht mit Eigenkapital unterlegt werden mussten. Ende 1999 lag das Kurs/Gewinn-Verhältnis des MSCI Weltaktienindex bei 35, heute liegt es bei 12. Die Aktienbewertungen haben sich also gedrittelt. Heute sieht es für Aktien also wieder sehr gut aus.
Risikomanagement heute wird im aktiven Fondsmanagement zunehmend kurzfristiger definiert. Viele bisher long-only-Fondsmanager setzen mechanistische CPPI-Modelle und andere Risikomanagement-Tools ein, die prozyklisch wirken. Das ist aktiv, aber doch anderes, als was Sie unter aktivem Management propagieren und praktizieren.
Für uns ist der klassische „Margin of Safety“, die Graham’sche Sicherheits-marge immer noch das wichtigste Risikomanagement-Tool. Unsere Fonds weisen derzeit Bewertungsvorteile gegenüber ihren Benchmarks von bis zu 40 Prozent auf. Das ist im historischen Vergleich ein ungewöhnlich hoher Abschlag. Ansonsten spielt für uns der Erwartungswert des Verlusts eine wichtige Rolle. Das ist das Produkt der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Verlustes mit dem Durchschnittsverlust aller Verlustperioden. Aber dieser Wert beschreibt eher das Ex-post-Risiko und ist für die Evaluierung des Ex-ante Risikos nur von beschränktem Nutzen.
Sie investieren in erster Linie antizyklisch und stemmen sich somit gegen den Markt. Wenn heute die Markttrends viel schärfer und kurzzeitiger verlaufen als früher, dann können Sie ein Problem bekommen, wenn Sie weit hinten liegen. Beispielhaft dafür war ja das Jahr 2008, in dem klassische Value-Strategien – insbesondere Dividendenstrategien – nicht gelaufen sind.
Wir stemmen uns nicht unbedingt gegen den Markt. Wir definieren „Value“ auch nicht als antizyklisches Investieren. Uns ist es egal ob andere Marktteilnehmer die gleiche oder eine gegenteilige Meinung haben als wir. Warren Buffett hat das sehr treffend formuliert: „Sie haben nicht deshalb recht, weil andere Personen die gleiche oder eine gegenteilige Meinung haben wie Sie; Sie haben nur dann recht, wenn Ihr Entscheidungsprozess rational ist.“
Welche Stellschrauben haben Sie innerhalb der vergangenen fünf Jahre an Ihrem Investment-Prozess verändert?
Keine. Dazu gab es bisher keinen Anlass. Unsere Modelle sind lernfähig; wenn es also etwas anzupassen gibt, passiert das automatisch. In der Wahrnehmung der Anleger hat sich allerdings einiges geändert. Hoch verschuldete Unternehmen gelten heute riskanter als vor 2008, weil sich die Konkursgefahr subjektiv erhöht hat. Ebenso hat eine hohe Dividende heute bei sehr niedrigen Zinsen einen höheren Stellenwert als noch vor wenigen Jahren.
Die Qualität Ihrer Fonds hat in den vergangenen Jahren im Peer-Group-Vergleich überwiegend nachgelassen. Woran liegt das?
Marktauswahlstrategien haben in den letzten Jahren nicht gut funktioniert. Dafür gibt es zumindest im Nachhinein verschiedene Gründe. In den Industrieländern haben sich die USA ganz oben gehalten. Der amerikanische Aktienmarkt ist derzeit mit rund 51 Prozent im MSCI Weltindex der Industrieländer am höchsten gewichtet. Wenn die Großen besser abschneiden als die Kleinen, funktioniert der Gleichgewichtungseffekt nicht. Das war zuletzt 1998 und 1999 der Fall, als Large Caps nicht nur Small Caps, sondern auch die Mega Caps besser waren als die Large Caps. Seit 2008 haben uns auch noch diverse Währungseffekte das Leben schwer gemacht. So brachte der Gleichgewichtungseffekt auf Länderbasis seit 1970 über 41 Jahre einen jährlichen Performancevorteil von drei Prozent. Im gleichen Zeitraum verlor der US Dollar gegenüber der D-Mark beziehungsweise dem Euro 2,2 Prozent pro Jahr. Allein diese beiden Effekte haben seit 2008 nicht gut funktioniert, und das hat sich auf fünf Prozentpunkte pro Jahr summiert. Das hat unsererer relativen Performance geschadet.
Und wie lange könnten die Märkte weiter gegen Sie laufen?
Das wird sich in Zukunft nicht so fortsetzen, da die Bäume nicht in den Himmel wachsen und die Großen nicht noch größer werden. Ich habe einen aktuellen Aufsatz mit dem Thema „The Small Country Effect Revisited“ im Journal of Investing veröffentlicht. 1993 hatten wir zum ersten Mal auf das Phänomen hingewiesen, dass kleine Aktienmärkte eine signifikant bessere Wertentwicklung als hochkapitalisierte Märkte aufweisen. Im Vergleich zu unseren Marktauswahlverfahren haben unsere Aktienselektionsverfahren in den letzten beiden Jahren deutlich besser abgeschnitten und damit auch die Fonds, die auf aktiver Stock Selection basieren, wie etwa der Abakus World Dividend, der Abakus Asia Growth oder der Keppler-Emerging Markets-LBB-Invest.
Auch globale Dividendenstrategien haben seit 2007 nicht so funktioniert wie lange Jahre davor. Wenn Sie sagen, dass ihre Fonds auf Sicht von fünf Jahren outperformen sollen, dann könnte es 2012 eng werden.
Unser Ziel ist es, die jeweiligen Benchmarks auf Sicht von drei bis fünf Jahren zu schlagen. Unter- und Überbewertungen bereinigen sich aufgrund der Mean-Reversion im Durchschnitt in drei bis fünf Jahren Es gibt aber kein Naturgesetz, das besagt, dass eine Mean Reversion genau so lange dauern muss. Wir hatten auch schon mal eine Halteperiode von nur fünf Monaten, als der japanische Aktienmarkt in nur 5 Monaten bis Ende Mai 1994 um 43 Prozent stieg. Oder umgekehrt 19 Jahre in Brasilien mit Jahresdurchschnittsrenditen von 21,6 Prozent bis Dezember 2007. Sie tun mir jedoch unrecht, wenn Sie sagen, die Dividendenstrategien seien seit 2007 nicht aufgegangen. Alle unsere Dividendenfonds haben die Märkte outperformt. Die Underperformance von anderen Fonds liegt vor allem an den enttäuschenden Ergebnissen unseres Marktauswahlverfahrens. Das gehört leider ebenso zur Mean Reversion. Nach vielen Jahren Outperformance gibt es auch mal ein paar schlechtere Jahre. Wichtiger ist, dass unsere Flaggschifffonds, die beiden Global Advantage Funds Major Markets und Emerging Markets High Value, seit Auflegung 1993 im Durchschnitt aller 1-, 3-, 5, 10- und 15-Jahresperioden ihre jeweilige Benchmark geschlagen haben.
Funktioniert Ihre quantitative Investmentstrategie nicht besser in entwickelten Märkten als in den ineffizienteren Emerging Markets, wo die Informationsversorgung nicht so gut ist?
Zunächst sind ineffiziente Märkte die Voraussetzung, die Benchmark schlagen zu können! Es gelten bei quantitativen Fondsmanagern auch dieselben Prinzipien bei Emerging Markets wie bei entwickelten Märkten. Da wir nicht auf fundamentales Research angewiesen sind und also nicht das Management von Firmen treffen und Geschäftsmodelle studieren, müssen wir umso stärker auf die Konsistenz der Zahlenwerke achten. Bei Quants gilt der Spruch „Garbage in, Garbage out“. Ein sehr gutes Beispiel, wie gut man auch bei rein quantitativen Modellen auf Fehlentwicklungen reagieren kann, war der Fall Enron. Wir haben frühzeitig gesehen, dass der Umsatz stark gewachsen war und gleichzeitig der Gewinn schrumpfte. Das haben wir nicht verstanden, und so haben wir die Enron-Aktie aus den Portfolios entfernt. Eine ähnliche Situation haben wir heute mit Blick auf die europäischen Banken. Hier sagen uns die Zahlen, dass die teuren Unternehmen zugleich die attraktiven sind. Das macht aber keinen Sinn.
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