Regulierung und Eurokrise dämpfen ETF-Wachstum 2011

Geldflüsse und Vermögenswerte in Europa rückläufig/iShares ist der große Gewinner des Jahres 2011, wie aus der Morningstar-Statistik hervorgeht.

Ali Masarwah 12.01.2012
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Nach Jahren des rasanten Wachstums hat die ETP-Branche in Europa 2011 eine Pause hingelegt. Wie aus der Morningstar-Statistik zum Jahresende 2011 hervorgeht, konnten die Mittelzuflüsse in Höhe von 13,308 Milliarden Euro nicht verhindern, dass das Volumen der europäischen Index-Branche gegenüber dem Ultimo 2010 von 221 Milliarden auf 213 Milliarden Euro zurückging. Im Jahr 2008 hatte die ETP-Branche noch ungeachtet stark fallender Aktienmärkte dank der hohen Neuinvestitionen deutlich zugelegt.

Zwar konnte sich die Branche der Anbieter der passiven Investmentvehikel im abgelaufenen Jahr deutlich besser schlagen als die aktiven Asset Manager, die laut Morningstar-Daten 2011 per Ende November knapp 108 Milliarden Euro an Abflüssen aus Publikumsfonds hinnehmen mussten. Allerdings verschleiern die per saldo positiven Absatzzahlen etliche markante Trends bei ETPs im vergangenen Jahr.

Zum einen bröckelte der Vertrieb merklich im vierten Quartal. In den letzten drei Monaten des Jahres mussten ETPs netto 2,236 Milliarden Euro an Abflüssen hinnehmen. Allein im Dezember verkauften Anleger europaweit ETPs im Umfang von 2,207 Milliarden Euro. Dies dürfte auf die hohe Nervosität an den Märkten im Zuge der Verschärfung der Eurokrise zurückgehen. Von Oktober bis Dezember wurde alles verkauft, was das Label „Euro“ aufweist. So waren ETPs für Euro-Bonds die Morningstar-Fondskategorie mit den höchsten Abflüssen europaweit. Sie verloren netto 2,278 Milliarden Euro im vierten Quartal. Das machte denn auch den Großteil der Abflüsse in diese Renten-ETF-Kategorie im Gesamtjahr aus (2,734 Milliarden Euro). Damit trug diese Kategorie die rote Absatzlaterne. ETFs der Kategorie Aktien Standardwerte Eurozone – Stichwort Euro Stoxx 50 – waren mit Abflüssen von 2,492 Milliarden Euro die ETF-Kategorie mit der zweitschwächsten Absatzbilanz im vergangenen Jahr.

Wohl kaum ein ETP-Anbieter steht so prominent stellvertretend für die Fluchtbewegung aus Euro-Raum-Anlagen wie die französische Gesellschaft Lyxor. Die ehemalige Nummer zwei in Europa musste 7,930 Milliarden Euro Nettomittelabflüsse aus ihren ETPs hinnehmen und wurde per Ende 2011 mit Blick auf das verwaltete Vermögen von db X-trackers auf den dritten Rang verwiesen. Auch im vierten Quartal ging mit einem Absatzminus von 2,751 Milliarden Euro das Tempo der Desinvestitionen bei der Société-Générale-Tochter unvermindert weiter. 2011 brach das Vermögen in Lyxor-ETPs gegenüber dem Vorjahresultimo um 28,2% auf 28 Milliarden Euro ein. Dem französischen Haus machte die Konzentration auf Euroland-Aktien und –Anleihen sowie auf Emerging-Markets-ETPs schwer zu schaffen.

Allerdings dürfte die Unwucht in der Produktpalette von Lyxor nicht der einzige Grund für die bemerkenswerten Marktverschiebungen 2011 sein. Regulatoren und internationale Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hatten 2011 Swap-ETF als eine potenzielle Quelle von "systemischen Risiken" ausgemacht. Die Diskussion hat im zweiten Halbjahr eine neue Dynamik bekommen. Inzwischen sehen sich die Anbieter swap-basierter ETP jenseits der allgemeinen Kritik an der ETP-Branche als besonders stigmatisiert. Anbieter, die dagegen voll replizierende Produkte anbieten, sehen sich im Vorteil. Der Hintergrund: Swap-ETP sind derivatebasierte Produkte. Sie halten die Aktien oder Anleihen, aus denen sich ein Index zusammensetzt, nicht direkt. Die Index-Performance wird bei den so genannten synthetischen ETPs vielmehr durch ein Tauschgeschäft mit einer Investmentbank dargestellt. Voll replizierende Produkte investieren demgegenüber physisch in die Indexwerte (lesen Sie hier mehr).

Die Folge der Debatte um die Risiken von Swap-ETF haben Anleger 2011 offenbar stark verunsichert. Auch das dürfte ein Grund sein, warum Lyxor das Absatz-Schlusslicht bildete. Auch Anbieter wie Comstage (Commerzbank), db X-trackers (Deutsche Bank), BNP Paribas (Easy ETF) und ETF Securities verzeichneten Abflüsse. Sie alle replizieren Indizes vorwiegend oder vollkommen synthetisch. Spiegelbildlich mauserte sich der ETP-Marktführer iShares noch stärker zum Anlegerfavoriten in Europa (siehe die Tabelle). Im vergangenen Jahr verzeichnete die BlackRock-Tochter, die vorwiegend physisch replizierenden ETPsanbietet, europaweit Zuflüsse in Höhe von 11,513 Milliarden Euro. Damit verwies iShares alle anderen ETP-Anbieter auf die Ränge. In gebürtigem Abstand folgte die UBS auf Platz zwei der Absatzliste mit 2,77 Milliarden Euro an Zuflüssen, gefolgt von der Zürcher Kantonalbank (1,868 Milliarden Euro), Amundi (1,689 Milliarden), Source, Julius Baer sowie Credit Suisse.

 

Dies führt zum dritten Trend in diesem Jahr, der auf den ersten Blick paradox erscheint: Deutsche Aktien-ETFs waren 2011 sehr stark gefragt – ungeachtet der hohen Risikoaversion. Vielleicht sogar wegen der hohen Risikoaversion? Offenbar sehen Investoren Aktien aus Deutschland als solide Anker inmitten unsicherer Kantonisten: Die deutsche Wirtschaft schlägt sich relativ wacker im Vergleich zu den anderen Ländern der Eurozone, und die deutsche Stabilitätspolitik gilt vielen als Musterbeispiel und Blaupause für die Sanierung von maroden Finanzsystemen - sogar Frankreich! Wie dem auch sei: Der iShares Dax war mit Zuflüssen von 8,069 Milliarden Euro der am meisten gefragte ETP im vergangenen Jahr. Auch der db x-trackers Dax war mit einem Absatzplus von 4,031 Milliarden 2011 stark gefragt.

Der vierte und letzte große Trend des Jahres 2011 ist der Run auf Edelmetall- beziehungsweise Goldprodukte, was angesichts der klassischen Funktion von Gold als Krisenwährung eher verständlich ist als die massiven Investitionen in Dax-ETPs. Davon profitierten vor allem die Schweizer Anbieter ZKB, Julius Baer, und UBS. Eine Besonderheit dieser Schweizer Produkte, die im restlichen Europa nicht zum öffentlichen Vertrieb zugelassen sind, ist die Tatsache, dass es sich bei ihren Edelmetall-ETPs um Sondervermögen handelt und nicht um ETCs, also rechtlich gesehen Fonds und keine Inhalberschuldverschreibungen sind, wie es bei ETPs auf Einzelmetalle sonst der in Europa der Fall ist. Dies hat den anderen ETP-Anbietern, die Gold-ETC anbieten, freilich nicht geschadet: auch sie profitierten von dem Sachwerte-Fokus der Anleger, wie aus der unteren Tabelle hervorgeht.

Hinweis: Morningstar schätzt die Daten zum Absatzgeschäft der ETP-Industrie in Europa auf monatlicher Basis. Wir wenden folgende Methodologie an: Es werden - kurz gesagt - die Volumina der in Europa gelisteten ETFs, zu denen Daten vorliegen, zum Ende des jeweiligen Monats mit ihrem Volumen zum Monatsanfang abgeglichen. Die Residualgröße, die sich nicht auf die Performance-Entwicklung zurückführen lässt, stellt die (positive oder negative) Nettoabsatzleistung des jeweiligen ETPs dar. Die aggregierten Morningstar-Daten geben zuverlässig und sehr zeitnah die ETP-Absatztrends in Europa wider, können sich aber von den offiziellen Daten der Anbieter und Fondsverbände unterscheiden. Unterschiede basieren im wesentlichen auf unterschiedlichen Kategorisierungen von ETPs. Die Schätzverfahren können auch durch die Dynamik der Zuflüsse innerhalb eines Monats beeinflusst werden.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich