Der letzte Teil unserer Serie zum Anlegerverhalten und typischen Fehlern von Investoren. Am Ende dieses Artikels finden Sie Links zu den Teilen I, II, III und IV der Serie.
1949 prägte Benjamin Graham den Spruch: „Der schlimmste Feind des Investors ist wahrscheinlich er selbst“. Dies trifft exakt den Kern dieser Serie und die Gründe, weswegen sie geschrieben wurde. Seitdem haben Wissenschaftler - bewusst oder unbewusst - Daten gesammelt und analysiert, die diese Worte der Investmentlegende untermauern. Besonders unser heutiges Thema, die Selbstüberschätzung, war jahrelang Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. In einfachen Worten ist Selbstüberschätzung die Überzeugung, dass man selbst Recht hat, mehr, als es in der Realität zutrifft. Dass wir dabei auf dem Holzweg sind, wird Vielen von uns täglich vor Augen geführt. Meist sind die Folgen unserer Selbstüberschätzung aber nicht sehr schlimm und wir können schnell darüber hinweggehen.
Ich will Ihnen jedoch heute einige wissenschaftliche Ansätze vorstellen, die daraufhin deuten, dass diese Verhaltensweise zu den häufigsten Fehlern zählt, die wir als Investoren begehen können. Und es ist nicht nur ein sehr oft auftretender Fehler - er lässt sich auch mit erstaunlicher Genauigkeit nachweisen.
Anders als die anderen Verhaltensweisen und -theorien, die wir zuvor behandelt haben, kann man die Erkenntnisse zum Thema „Selbstüberschätzung“ nicht einer einzelnen Gruppe von Forschern zuschreiben. Seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gab es verschiedene Studien, in denen das Phänomen erforscht und dokumentiert wurde. Einige der aufschlussreichsten Beobachtungen stammen aus den 1970er und 1980er Jahren vom US Office of Naval Research, der Forschungsabteilung der US-Navy. Die Wissenschaftler Lichtenstein und Fischoff stellten amerikanische Soldaten, britische Studenten und CIA-Analysten auf die Probe. Den Teilnehmern wurden einfache Fragen gestellt, wie beispielsweise „Was hat eine höhere Auflage: Das Time Magazine oder der Playboy“. Im Anschluss wurde abgefragt, wie sicher sich die Befragten sind, dass ihre Antwort richtig ist. Als man diese Angaben den richtigen Angaben gegenüberstellte, zeigte sich, dass die Studienteilnehmer im deutlichen Maße dazu tendierten, sich selbst zu überschätzen. Beispielsweise vermuteten die Befragten, dass sie bei der Unterscheidung zwischen europäischen und amerikanischen Handschriften in 70 bis 80 Prozent der Fälle richtig gelegen hätten - dabei waren es nur 50 Prozent.
Psychologisch gesehen, resultiert die Selbstüberschätzung aus der asymmetrischen Bewertung von Informationen. Dabei wird unterschieden zwischen Informationen, die der Einschätzung der Versuchsperson entsprechen, und solchen, die ihr widersprechen. Dazu ein kurzes Beispiel: Hat man Aktien eines Unternehmens gekauft, das dann mit seinen Quartalszahlen die Erwartungen übertrifft, speichert man dies als „bestätigende“ Information ab. Gleiches gilt, wenn man die Aktien verkauft hat, und das Unternehmen dann mit seinen Zahlen enttäuscht. Tritt die erwartete Entwicklung ein, steigt das Selbstvertrauen des Investors. Doch entwickelt sich die Situation anders als erwartet, nimmt das Selbstvertrauen des Investors – wenn überhaupt - kaum ab. In der Wissenschaft wird dieses Phänomen „Bestätigungsfehler“ genannt - wir suchen nach Informationen, die unsere Einschätzung untermauern und nehmen nur diese wahr. Gegenteilige Nachrichten werden ignoriert.
Im Laufe der Jahre haben zahlreiche Studien bewiesen, dass das Phänomen der Selbstüberschätzung tatsächlich existiert. Es wurden auch einige seiner Eigenschaften bekannt:
1. Je weniger man weiß, desto sicherer ist man sich.
2. Der Umkehrschluss trifft ebenso zu: Je mehr man weiß, desto unsicherer ist man.
3. Werden die Fragen, die man gestellt bekommt, schwieriger, ist man sich umso sicherer und
4. Selbstüberschätzung hat nichts mit dem Alter, Geschlecht, Intellekt oder der ethnischen Herkunft zu tun. Zusammenfassend kann man sagen, dass jeder sich selbst überschätzt, vor allem, wenn das zu lösende Problem schwierig ist und man wenig darüber weiß. Klingt ganz nach Investieren, nicht wahr?
In den Jahren 1991 bis1996 haben Terrance Odean und Brad Barber eine Studie mit über 66.000 Privathaushalten mit Wertpapierdepots durchgeführt. Sie wollten untersuchen, ob das Phänomen der Selbstüberschätzung auch bei Aktienkäufen eine Rolle spielt. Die beiden Forscher stellten die These auf, dass Investoren, die sich selbst überschätzen, häufiger die Papiere in ihrem Depot wechseln als Investoren, die weniger zuversichtlich sind. Der dahinterstehende Gedanke leuchtet ein: Wenn wir Aktie A verkauft und Aktie B gekauft haben, dann wohl deshalb, weil wir von Aktie B eine bessere Entwicklung erwarten als von Aktie A. Die beiden Wissenschaftler wollten herausfinden, ob eine häufigere Umschichtung des Portfolios zu einem höheren Ertrag führt. Schaltet man alle Einflussfaktoren außer der Umschichtung aus, muss die Differenz im Ertrag auf die Umschichtung zurückzuführen sein, so lautete die zugrunde liegende Annahme. Die Differenz im Ertrag wäre damit auch abhängig vom Vertrauen in die eigene Urteilskraft.
Dieser Ansatz war revolutionär. Denn vor der Veröffentlichung der Studie im Jahr 2000 waren die Größen der Wissenschaft weitgehend der Meinung, dass die Zahl der Umschichtungen in einem Portfolio wenig mit den Erträgen zu tun hat. 1980 hatten Grossman und Stieglitz ihre Theorie vorgestellt, dass Investoren nur dann handeln, wenn der Nutzen größer ist als die dabei entstehenden Kosten. Der erwartete Nutzen aus dem Besitz von Aktie B (also die Hoffnung auf höhere Erträge) müsste dementsprechend höher sein als die Kosten (Gebühren, Steuern, etc.) für den Verkauf von Aktie A und den Kauf von Aktie B. Daher sollten Umschichtungen normalerweise einen positiven oder gar keinen Einfluss auf die Erträge haben.
Odean und Barber widerlegten diese Theorie mit ihrer aufschlussreichen Analyse, die zeigte, dass eine häufige Umschichtung sogar einen äußerst negativen Effekt auf die Erträge hat. So brachte der nach Marktkapitalisierung gewichtete Index NYSE/Amex/Nasdaq-Total-Stock in den Jahren 1991 bis 1996 auf Jahressicht eine Rendite von 17,9%, während die Privathaushalte mit einer Umschichtungsquote von 75 Prozent nur auf durchschnittlich 16,4% kamen. Die Gruppe der Privatpersonen, die ihre Depots auf Jahressicht am meisten umstrukturierte (fast alle Titel zweimal komplett auswechselte), erzielte sogar nur einen Ertrag von durchschnittlich 11,2%.
Allein der Unterschied in den Erträgen der beiden Gruppen ist aber nicht ausreichender Beweis für das Phänomen der Selbstüberschätzung, werden Sie nun vielleicht sagen. Aber als hätten sie diesen Einwand geahnt, haben Odean und Barber eine Fama-French-Regression gemacht, um Faktoren wie die Marktrisiken (das Beta), die Größe eines Unternehmens oder die Größe des Portfolios auszuschließen. Nach diesen Anpassungen kristallisierte sich vor allem eine Erkenntnis heraus: dass Investoren weniger Rendite (vor und nach Abzug der Kosten) erzielen, als wenn sie die Aktien einfach gekauft und gehalten hätten. Die Depots, in denen am meisten verändert wurde, brachten im Vergleich zu den Depots, in denen am wenigsten verändert wurde, einen Ertrag ein, der im Monat 46 Basispunkte niedriger lag, auf Jahressicht netto 5,5 Prozent.
Die Daten zeigen, dass eine höhere Umschlagshäufigkeit (hierfür können Sie auch „Selbstüberschätzung in Bezug auf die Auswahl von Aktien, Bonds oder Fonds“ einsetzen) zu einer niedrigeren Rendite führt - ganz gleich, wie groß das Portfolio ist, ob die Märkte steigen oder fallen und auf welche Wertpapierstrategie oder welches Beta der Investor setzt.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass der höchste jährliche Ertrag, der in diesem Beitrag genannt wurde, der des Index NYSE/Amex/Nasdaq-Total-Stock gewesen ist. Auch wenn es gut möglich ist, dass Investoren einen Index schlagen und es immer wieder auch Anleger gibt, die das schaffen - es ist nicht sehr wahrscheinlich. Und genau das ist der entscheidende Punkt! Den meisten Investoren, sowohl professionellen als auch Privatanlegern, fällt es sehr schwer, auf Dauer den Markt zu schlagen.
In den letzten Jahren hat sich langsam die Erkenntnis verbreitet, dass häufiges Umschichten, höhere Gebühren und Kosten sowie Selbstüberschätzung zu schmerzhaften Einbußen führen können. Während sich derartige Gedanken durchsetzten, rückten Anlagevehikel wie börsennotierte Fonds (ETFs) in den Vordergrund. ETFs schichten selten um, sie weisen niedrige Gebühren auf und sind kaum abhängig von den Entscheidungen einer Person - sei es ein professioneller Investor oder ein Privatanleger. ETFs also als Mittel gegen Selbstüberschätzung? Gleichwohl darf aber man eines nicht vergessen: Auch wenn eine Investition in ETFs sich aus all diesen Gründen anbietet, kann man die Papiere falsch einsetzen!
Damit endet unsere Serie über die Schnittstellen von Verhaltensökonomie und Investieren. Mit diesem Wissen aber, so hoffe ich, können Sie den schlimmsten Feind besiegen, der Ihnen beim Investieren begegnen kann: sich selbst.
Lesen Sie hier Teil 1-4 unserer Serie zu typischen Anlegerfehlern:
Teil I: Einführung in die Verhaltensökonomie oder: wie Anleger Fehler vermeiden können
Teil II: Alles eine Frage des Maßstabs: Risikoaversion ins Verhältnis gesetzt
Teil III: Wenn Verluste überproportional schmerzen: Das Phänomen der Verlustaversion
Teil IV: Einmal gekauft, immer daran festgehalten. Warum der Besitzeffekt fatale Folgen haben kann
Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.